Giorgio Chiellini tritt ab von der großen Fußballbühne. Und wohl jeder in der Welt des Fußballs verdrückt heimlich eine kleine Träne – auch all jene, die einst mit dem kantigen Juve-Verteidiger im Clinch lagen.
Luis Suarez biss ihm bei der WM 2014 in die Schulter. Sandro Wagner bekam ein Küsschen von Giorgio Chiellini, mitten in einem Champions-League-Match. Und Jordi Alba wurde vor dem Elfmeterschießen im EM-Halbfinale 2021 von dem baumlangen Italiener so „herzlich“ durchgeschüttelt, dass man sich kurzzeitig um die Gesundheit des kleinen Spaniers sorgen musste. Chiellini, inzwischen 37, hat sie alle getroffen: mal mit offener Sohle am Schienbein, mal mit seinem spitzen Ellbogen am Nasenbein, mal mit seinem gütigen Lächeln mitten ins Herz. Nun tritt der eisenharte Verteidiger mit dem butterweichen Kern von der Bühne. Vielleicht spielt er noch ein, zwei Jahre in den USA. Doch der ganz große Fußball ist vorbei für ihn.
Nach 17 unfassbar langen Jahren bei einem Verein sagt Giorgio Chiellini „Ciao“ und „Arrivederci“ zu Juventus Turin – zu jenem Klub also, mit dem er zehnmal italienischer Meister wurde. Einen dieser Titel musste er wegen der Match-Manipulationen des finsteren Juve-Paten Luciano Moggi wieder abgeben. Anschließend machte Chiellini den bitteren Zwangsabstieg in die Serie B mit, half beim Wiederaufstieg und sammelte anschließend weiter Pokale. Im vergangenen Sommer wurde er schließlich Europameister mit der „Squadra Azzurra“. Ein Triumph für die Ewigkeit.
Giorgio Chiellini hat 429 Serie-A-Partien (davon 392 für Juve), 74 Begegnungen in der Champions League (alle für Juve) und 116 Länderspiele bestritten. Entsprechend emotional war die Verabschiedung nach seinem letzten Liga-Heimspiel am Montagabend, einem bedeutungslosen 2:2 gegen Lazio. Nach dem Schlusspfiff wollte Chiellini das komplette Stadion umarmen. „Ich gehe mit Freude und in Frieden“, erklärte der kantige Kerl, der schon nach 17 Minuten ausgewechselt worden war – eine kleine Anspielung auf die Zahl seiner Dienstjahre bei den „Bianconeri“. Für Chiellini kam Matthijs de Ligt (22).
Zurück auf dem Rasen blieb einer, der dem Verabschiedeten jahrelang kaum von der Seite gewichen war. Wer Chiellini sagt, muss wohl auch Bonucci sagen: Leonardo Bonucci (34) war in den letzten zwölf Jahren der Partner von Giorgio Chiellini in der Juve-Innenverteidigung und über weite Strecken auch im Nationalteam. In der kommenden Saison wird „Bonnibauer“ bei Juve die Kapitänsbinde von seinem langjährigen Abwehrchef übernehmen. Eine große Ehre und eine schwere Bürde zugleich, wie er in einem offenen Brief an Chiellini gestand.
„Lieber Giorgio, wo soll ich beginnen?“, hatte Bonucci vor dem Lazio-Match auf Instagram geschrieben. „Heute ist dein Tag und ab heute wirst du dieses Team, diese Farben, diese Umkleidekabine vermissen. Du warst ein Vorbild, ein Anführer, ein Bruder, ein Freund. Wir haben mehr als ein Jahrzehnt zusammen verbracht, wir haben uns gefreut, wir haben gelitten, wir haben gekämpft, wir haben zusammengehalten, wir haben GEWONNEN. Mit Juve viel gewonnen, mit dem blauen Trikot (im Nationalteam; die Redaktion) etwas Einmaliges gewonnen.“