Die rassistischen Übergriffe gegen Kevin-Prince Boateng sind nur das aktuellste Kapitel in der widerwärtigen Chronik von Rassismus im nationalen und internationalen Fußball. Die Liste der Vorfälle in den vergangenen zwölf Monaten zeigt: Die schönste Nebensache der Welt hat noch immer ein Rassismus-Problem.
6. Januar 2012 / Sportfreunde Lotte
„Ich bin seit 20 Jahren Mitglied im DFB-Kontrollausschuss, aber derart schwerwiegende Anschuldigungen sind mir noch nie untergekommen“, empört sich der Rechtsanwalt Erwin Bugar im „Focus“ und meint die Vorfälle im Regionalliga-Spiel zwischen Eintracht Trier und den Sportfreunden Lotte. Spieler aus Lotte hatten offenbar die dunkelhäutigen Trierer Jeremy Karikari und Marc Gouiffe á Goufan aufs Übelste beschimpft. „Affenkind“, „Neger“, „Affenkind“ – solcher Abfall. Kommentar von Lotte-Spieler Christian Schlösser: „Ich kann nur folgendes sagen: Ich habe Karikari niemals rassistisch beleidigt! Es sind Worte wie ›Arschloch‹, oder ›verpiss dich‹ gefallen, aber das ist ganz normal im Fußball“. Das DFB-Sportgericht verhängt schließlich zwei Sperren á drei Spiele. Für Lotte-Spieler Martin Hess wegen rassistischer Beleidigungen – und Jeremy Karikari, weil der Hess nach dem Abpfiff im Kabinengang eine Ohrfeige verpasst hatte.
8. Januar 2012 / FC Liverpool
Welche Folgen Ausfälle von populären Fußballprofis haben können, erleben im Januar 2012 Beobachter des FC Liverpool. Gerade erst hat die FA Liverpool-Stürmer Luis Suarez für acht Spiele gesperrt, weil der United-Spieler Patrice Evra als „Neger“ beleidigt hatte, da tauchen LFC-Fans beim Spiel gegen Oldham Athletic im Suarez-T-Shirt auf, und beschimpfen Oldham-Akteur Tom Adeyemi. Den treffen die rassistischen Gesänge so heftig, dass er kurz vor dem Abpfiff in Tränen ausbricht. Das Spiel wird kurzzeitig unterbrochen.
2. Februar 2012 / Göttingen 05
Die Fans von Göttingen 05 sind weit über die Grenzen Niedersachsen für ihre linkspolitische und antirassistische Haltung bekannt, zwei Spieler des Oberligisten hält das trotzdem nicht davon ab, einem Gegenspieler vom BV Cloppenburg „Verpiss dich, du schwarzes Schwein!“ zuzurufen. Folge: Drei Monate Sperre für beide Akteure.
8. Februar 2012 / John Terry
Die rassistischen Beleidigungen von John Terry gegen Anton Ferdinand ziehen auch 2012 noch ihre Kreise im englischen Fußball. Erst muss Terry sein Amt als Nationalmannschaftskapitän abgeben, dann tritt am 8. Februar Auswahltrainer Fabio Capello zurück. Er sei „absolut nicht einverstanden“ mit der Entscheidung des 14-köpfigen Exekutiv-Komitees, das Terry ohne Absprache mit Capello die Kapitänsbinde entzogen hatte.
15. Februar 2012 / Juventus Turin
Für die rassistischen Schmähgesänge seiner Anhänger im Pokalspiel gegen den AC Mailand verurteilt der italienische Fußballverband Juventus Turin zu einer Geldstrafe von 20.000 Euro.
17. Februar 2012 / FC Porto
Beim Europa-League-Auswärtsspiel gegen den FC Porto müssen sich Mario Balotelli und Yaya Touré von Manchester City anhaltende Affenlaute der portugiesischen Anhänger gefallen lassen. City erstattet Anzeige bei der UEFA, Portos Sprecher Rui Cerqueira weist die Vorwürfe mit der Begründung zurück, die Fans hätten eigentlich die Porto-Spieler Hulk und Kun Agüero anfeuern wollen: „Kun, Kun, Kun; Hulk, Hulk, Hulk. Das kann doch leicht als rassistisch missverstanden werden!“ Die UEFA verhängt eine Strafe über 20.000 Euro.
1. März 2012 / FC Liverpool
Immer wieder Liverpool. Im Frühjahr 2012 lässt sich Torwart Pepe Reina von einer spanischen Versicherungsgruppe für einen Werbespot vor den Karren spannen. Inhalt des Filmchens: Reina (dessen Nachname „Königin“ bedeutet) wird dem schwarzen Chef eines Ureinwohner-Stammes vorgestellt. Der sagt: „Du Königin, ich König“, setzt Reina eine Blumenkrone auf und der spricht den Slogan der Versicherung: „Ich fühle mich sicher.“ Die englische Organisation „Operation Black Vote“ geht Reina daraufhin hart an: „Wie würden sich wohl die Spanier fühlen, wenn die Engländer sie als rückwärtsgewandte, dumme und animalische Homosexuelle zeigen würden? Glaubt Reina, dass es okay ist, schwarze Menschen so darzustellen? Glaubt er, dass seine schwarzen Teamkollegen darüber lachen?“ Der Spot wird anschließend aus dem Verkehr gezogen.
20. März 2012 / Lokomotive Moskau
Christopher Samba, einst Profi bei Hertha BSC, wird im Ligaspiel seines Klubs Anschi Machatschkala gegen Lokomotive Moskau von einem VIP-Besucher mit einer Banane beworfen. Kommentar aus Moskau: „Bei uns ist nichts passiert. Unsere Fans haben sich vorbildlich verhalten.“
10. Mai 2012 / Jan Tomaszewski
„Ich will nicht, dass Franzosen und Deutsche das polnische Trikot tragen, die bereits für diese Länder gespielt haben, es nicht ins A‑Team geschafft haben und jetzt die Plätze unseren wahren Polen wegnehmen“, mosert im Vorfeld der EM 2012 Polens Ex-Nationaltorhüter Jan Tomaszewski und fängt sich dafür sogleich einen Rüffel von Polens Antirassismus-Experte Rafal Pankowski ein: „Leider werden die negativen Äußerungen von Tomaszewski mit einer nationalistischen, polnischen Identität in Verbindung gebracht, die hoffentlich einmal verschwindet.“
8. Juni 2012 / Ukraine
Beim ersten öffentlichen Training des holländischen EM-Kaders kommt es zu rassistischen Verunglimpfungen am Seitenrand. Kapitän Mark van Bommel bestätigt gegenüber holländischen Medien die Vorfälle: „Wir haben alle die Affenlaute gehört. Wenn so etwas während des Turniers passiert, werden wir sofort zum Schiedsrichter gehen und ihn bitten, einzuschreiten.“ Kommentar von Ukraines Ministerpräsident Mykola Asarow: „In der Ukraine gibt es keinen Rassismus.“ Einen Tag später wird Tschechiens Nationalspieler Theodor Gebre Selassie während des Gruppenspiels gegen Russland mit Affenlauten beleidigt. Die UEFA verurteilt den russischen Verband zu einer Zahlung von 120.000 Euro und einem Punktabzug von sechs Zählern für die EM-Qualifikation 2016.
16. Juni 2012 / Kroatien
Im Gruppenspiel zwischen Kroatien und Italien werfen kroatische Fans mit Bananen nach Mario Balotelli, Beobachter der FARE (Football Against Racism in Europe) bestätigen zudem einzelne Affenlaute im kroatischen Block. UEFA-Präsident Michel Platini bezeichnet die Rassisten daraufhin in einem Interview als „Arschlöcher“, seine Disziplinarkommission verhängt eine Strafe von 80.000 Euro gegen den kroatischen Verband.
27. Juni 2012 / Gazzetta dello Sport
Nach der Veröffentlichung einer Karikatur, die Italiens Stürmer Mario Balotelli als King Kong auf dem Londoner Big Ben zeigt, entschuldigt sich die „Gazzetta dello Sport“ bei ihren Lesern: „Wir können ehrlich zugeben, dass es nicht einer der besten Einfälle unserer großartigen Karikaturisten gewesen ist. Wenn sich jemand dadurch beleidigt fühlt, entschuldigen wir uns. Das Blatt hat immer gegen Rassismus in den Stadien und Affenlaute gegen Balotelli gekämpft.“
13. Juli 2012 / John Terry
Die Staatsanwaltschaft spricht John Terry von der Anklage, er habe seinen Gegenspieler Anton Ferdinand rassistisch beleidigt, frei.
27. Juli 2012 / John Terry
Trotz des Freispruches durch ein ordentliches Gericht, erhebt der englische Fußball-Verband FA Anklage gegen John Terry wegen rassistischer Äußerungen: „Es besteht der Verdacht, dass der Chelsea-Spieler am 23. Oktober 2011 gegenüber Anton Ferdinand beleidigende Worte bezüglich seiner Hautfarbe benutzte.“
21. August 2012 / Chemnitzer FC
Dresdens Spieler Mickaël Poté wird beim Pokalspiel gegen dem Chemnitzer FC mit Affenlauten verunglimpft. Poté reagiert mit hämischem Applaus und einer Affengeste. „Das war des deutschen Fußballs unwürdig“, kommentiert Dynamo-Präsident Andreas Ritter den Vorfall. Weil Chemnitzer Fans zudem Rauchbomben gezündet hatten, wird der Verein zu einer Strafzahlung von 25.000 Euro verdonnert.
2. September 2012 / FC Sochaux
Fans des französischen Erstligisten FC Sochaux beschimpfen ihren Spieler, den Algerier Ryad Boudebouz, während des Spiels gegen den HSC Montpellier. „Ich kann verstehen“, schreibt Boudebouz anschließend auf seinem Twitter-Account, „dass einige Fans mit meiner Leistung nicht zufrieden waren. Aber mit Sprüchen wie ›hau ab‹ oder ›dreckiger Araber‹ bin ich nicht einverstanden.“
20. September 2012 / FC Chelsea
Chelsea-Spieler John Obi Mikel schließt sein Twitter-Profil. Weil er mit einem Fehler im Champions-League-Spiel gegen Juventus Turin den späten Ausgleich der Italiener verursacht hatte, war sein Profil anschließend von rassistischen Beleidigungen überschwemmt worden.
21. September 2012 / Lazio Rom
Fans von Lazio Rom beschimpfen während des Europa-League-Spiels gegen Tottenham Hotspur die Spieler Jermain Defoe, Aaron Lennon und Andros Townsend mit Affenlauten. Lazio muss eine Strafe von 40.000 Euro zahlen.
21. September 2012 / Lewski Sofia
Wegen der Vorfälle im Europa-League-Spiel gegen FK Sarajevo am 19. Juli 2012, wird Lewski Sofia zu einer Zahlung von 30.000 Euro bestraft. Zuschauer aus Sofia hatten Spieler von FK Sarajevo rassistisch beleidigt und ein rassistischen Banner gezeigt.
27. September 2012 / John Terry
John Terry wird von der FA zu vier Spielen Sperre bestraft. Außerdem muss Terry, dessen rassistische Beleidigungen gegen Anton Ferdinand damit als erwiesen angesehen werden, 220.000 Pfund Strafe zahlen.
14. Oktober 2012 / AFC
Auf der Homepage des Asiatischen Fußball-Verbandes (AFC) erscheint ein Spielbericht, in dem die Spieler der Nationalmannschaft der Vereinigten Arabischen Emirate (UAEFA) als „Sandaffen“ bezeichnet werden. Die UAEFA legen Protest ein.
16. Oktober 2012 / Serbien
Während des Playoff-Spiels für die U‑21-EM zwischen Serbien und England kommt es zum Eklat, als serbische Zuschauer den dunkelhäutigen englischen Verteidiger Danny Rose mit Affenlauten beleidigen. Nationaltrainer Stuart Pearce sagt: „Ich denke, da gab es ganz sicher ein oder zwei rassistischen Zwischenfälle aus dem Publikum. Wir haben das der UEFA gemeldet.“ Der Verband verhängt eine Strafe über 80.000 Euro. Zu wenig, findet FA-Generalsekretär Alex Horne: „Wir sind von den Sanktionen enttäuscht. Rassismus ist inakzeptabel und sollte keinen Platz im Fußball haben. Wir sind der Meinung, dass die Strafen keine klare Ansage sind.“ Ende 2012 legt die UEFA Berufung gegen die Entscheidung ihrer eigenen Kontroll- und Disziplinarkammer ein.
30. Oktober 2012 / AS Rom
Wegen rassistischer Gesänge seiner Fans im Ligaspiel gegen Udinese Calcio, wird der AS Rom zu einer Zahlung von 20.000 Euro verurteilt.
30. Oktober 2012 / Mark Clattenburg
Schiedsrichter Mark Clattenburg soll während der Leitung des Premier-League-Spiels FC Chelsea gegen Manchester United die Chelsea-Spieler Juan Mata (Spanien) und John Obi Mikel (Nigeria) beleidigt haben. „Einer der Kommentare war definitiv rassistischer Natur“, bestätigt der Chef des Spielergewerkschaft PFA, Gordon Taylor. Clattenburg wird im wenige Wochen später von allen Anschuldigungen freigesprochen, Mikel, der den Schiedsrichter wegen der angeblichen rassistischen Beleidigungen in der Kabine beschimpft und bedroht hatte, wird für drei Spiele gesperrt und muss 75.000 Euro Strafe zahlen.
7. November 2012 / FC Millwall
Weil er Bolton Wanderers-Akteur Marvin Sordell rassistisch beleidigt hat, erhält ein 13-jähriger Fan des FC Millwall Stadionverbot. Der Klub bietet dem Teenager zudem einen Platz in einem Bildungsprogramm an. Der Täter entschuldigt sich per Brief bei seinem Opfer.
6. Dezember 2012 / Emre
Der türkische Nationalspieler Emre, 2007 bereits mit rassistischen Ausfällen auffällig geworden, soll der Prozess gemacht werden. Weil er im April 2012 als Spieler von Fenerbahce Istanbul seinen Gegenspieler Didier Zokora von Trabzonsspor rassistisch beleidigt haben soll, fordert die Istanbuler Staatsanwaltschaft sechs Monate bis zwei Jahre Gefängnisstrafe. Das Ergebnis der Anklage steht noch aus.
9. Dezember 2012 / Swansea City
Während des Premier-League-Spiels zwischen dem Swansea City und Norwich City wird ein Swansea-Anhänger festgenommen. Norwich-Spieler Sébastien Bassong, Ziel der rassistischen Attacken, meldet den Vorfall bei Schiedsrichter Howard Webb, per Stadionkameras wird der Täter ausfindig gemacht.
3. Januar 2013 / Pro Patria
Weil er im Testspiel gegen den italienischen Viertligisten Pro Patria gleich mehrfach rassistisch beleidigt wird, verlässt Mailand-Profi Kevin-Prince Boateng nach 26 Minuten den Platz. Seine Mitspieler folgen ihm. Das Spiel wird abgebrochen. Nach heftigen Reaktionen im In- und Ausland stellt sich einen Tag später der erste Täter.