Jeden Monat erklärt Weltmeister Christoph Kramer in der aktuellen 11FREUNDE-Ausgabe das Profileben. Hier schreibt er über seinen engen Freund Salvo, Abende auf der Garage und Entbehrungen.
Salvo, einer meiner engsten Freunde, und ich saßen wie früher auf der Garage vor meinen Elternhaus. Hier hat alles angefangen. Als Kinder hatten wir auf die Wand des Bauernhofs nebenan mit Kreide ein Tor gemalt, das andere Tor war die Garage. Jetzt war Sommerpause in der Bundesliga, und es hatte uns wieder mal gepackt. Wir hatten den Ball rausgeholt und bis zehn Uhr abends gespielt. Nun wurde es langsam dunkel, und ich holte uns ein kühles Bier aus dem Keller. Salvo hatte immer noch den Blaumann an und war völlig außer Atem, weil er auf der Arbeit jede Raucherpause nutzt. Trotzdem war er zufrieden mit sich: „Siehst du, ich kann es doch noch.“
Salvo kann es immer noch
Ja, da hatte er Recht, er kann es wirklich noch! Er hat es immer gekonnt und wird es immer können. Salvo ist ein Achter oder Zehner mit viel Dynamik, feinem rechten Fuß und dem besonderen Instinkt, den man nicht erklären kann.
Als wir früher zwischen Hauswand und Garage kickten, hatten wir einen gemeinsamen Traum: Wir wollten in der Bundesliga spielen, am besten in der gleichen Mannschaft. Wir träumten von großen Spielen in den schönsten Stadien, wo uns die Fans zujubeln. Dieser Traum trieb uns an, deshalb war es auch egal, selten zu Hause zu sein. Seit wir sechs Jahre alt waren, hatten wir jeden Tag Schule und Training. Am Wochenende fuhren wir zu Spielen oder Turnieren durch ganz Deutschland und schliefen bei Gasteltern, weil wir zu jung waren, um ins Hotel zu gehen. In meiner Jugend gab es keine DVD-Abende, keine Partys und den ersten Kuss viel später. In der Schule verlor ich ein wenig den sozialen Anschluss, weil ich oft nicht da war, meine schulischen Leistungen litten auch. Dafür lernte ich schon früh, zu funktionieren und vor allem diszipliniert zu sein. Ich habe nie hinterfragt, ob das für die Entwicklung eines Kindes wirklich gut ist, ich hatte halt diesen Traum.
So viele zerplatzte Träume
Versteht mich bitte nicht falsch! Ich tat das alles unfassbar gern und würde meine Kindheit nicht eintauschen wollen. Aber vielleicht sage ich das auch nur deshalb, weil ich heute jeden Tag meinen Traum leben darf. Salvo hingegen hat nicht weniger investiert und nicht weniger entbehrt als ich, gehört aber zu den unzähligen Spielern, denen das verwehrt bleibt. Er hat für den Fußball sogar die Schule aufgegeben und schaut trotz vieler schöner Erinnerungen auch mit einem weinenden Auge zurück.
Jeder Profi kennt einen Salvo, der nicht weniger talentiert war und es trotzdem nicht geschafft hat, weil er vielleicht einfach nur an den falschen Trainer geraten ist oder sich verletzt hat. Wir, die es geschafft haben, hatten auf unserem Weg hingegen irgendwann auch einfach ein wenig Glück und sollten dankbar dafür sein. Das muss man zwar nicht auf Teufel komm raus zeigen, aber ein Gegenüber spürt Dankbarkeit, wenn man sie ausstrahlt. Man strahlt sie aber nur dann aus, wenn man die Dankbarkeit wirklich fühlt. Das passiert automatisch, wenn man ab und an darüber nachdenkt, wie es verdammt noch mal anders hätte laufen können. Wie bei so unzählig vielen zerplatzten Träumen.
PS: Salvo, du hast mal zu mir gesagt, dass dein Traum in mir weiter lebt. Dieser Satz bedeutet mir bis heute unfassbar viel, weil du ihn ernst meinst und weil ich weiß, was dir dieser Traum bedeutet hat.