Weil ihm ein Defibrillator eingesetzt wurde, darf Christian Eriksen nicht in der italienischen Liga spielen. Tim Meyer, Arzt der deutschen Nationalmannschaft, findet das kategorische Verbot „ungewöhnlich“. Doch auch er sieht Leistungssport mit Defibrillator kritisch.
Der Moment, in dem der dänische Spieler Christian Eriksen im EM-Gruppenspiel gegen Finnland zu Boden ging, und es unklar war, ob er überleben würde, wird wohl vielen in Erinnerung bleiben. Er hatte einen plötzlichen Herzstillstand erlitten. Mittlerweile geht es Christian Eriksen besser und ihm wurde ein implantierbarer Defibrillator (ICD) eingesetzt. In Deutschland, den Niederlanden oder England dürfte er mit – oder trotz – Defibrillator spielen, sobald er wieder dazu fähig wäre. In Italien hingegen, also dort, wo er bei Inter Mailand unter Vertrag steht, nicht.
Das steht seit einer Woche fest: Christian Eriksen wird mit Defibrillator sicher nicht in der Serie A auflaufen dürfen. Bereits im Juni hatte Lucio Mos, der Vorsitzende des italienischen Sportkardiologen-Verbandes gegenüber „Radio Punto Nuovo“ gesagt, dass es in Italien verboten sei, mit einem implantierten Defibrillator Spitzensport zu betreiben. Mos sagte damals: „Die Protokolle sind in Italien sehr streng. Daher scheint es mir unmöglich, dass wir Eriksen in italienischen Wettbewerben wiedersehen.“ Es war also zu erwarten, am vergangenen Freitag äußerte sich der italienische Fußballverband dann definitiv zu der Causa. Ein Mitglied der wissenschaftlichen Kommission des Verbandes, Francesco Braconaro, sagte gegenüber dem italienischen Radio „Kiss Kiss“: „Nur wenn ihm der Defibrillator entfernt wird und ein Spezialist zeigen kann, dass es ihm körperlich wieder gut geht, kann er wieder für Inter spielen.“
Es irritiert, dass es in Italien kategorisch verboten ist, mit Defibrillator zu spielen, in anderen Ländern aber nicht. Verhindert die italienische Liga damit einem etablierten Spieler die Rückkehr oder ist es eine sinnvolle Regelung, die der Gesundheit des Spielers einen hohen Stellenwert beimisst?
Tim Meyer, Mannschaftsarzt der deutschen Nationalelf, sagt im Gespräch mit 11FREUNDE: „Ich finde das etwas ungewöhnlich, dass der italienische Verband offenbar so präzise Vorgaben macht. In Deutschland würde in den Regularien eher etwas stehen wie: ‚Wenn ein Arzt einen Sportler für untauglich erklärt, darf dieser nicht am Ligabetrieb teilnehmen.’ Aber dass wir einzelne Diagnosen aufführen oder sogar eine einzelne Maßnahme, das ist ungewöhnlich.“
Eriksen ist nicht der erste Fußballprofi, der unter den Augen Tausender im Stadion und vor Fernsehern zusammengebrochen ist. Dem ehemalige deutsche Fußballprofi Daniel Engelbrecht passierte das während seiner Karriere sogar dreimal. So auch am 20. Juli 2013, als er während eines Spiels der Stuttgarter Kickers gegen Rot-Weiß Erfurt einen Herzstillstand erlitt. Bei ihm wurden daraufhin eine Herzmuskelentzündung und chronische Herzrhythmusstörungen diagnostiziert. Seitdem trägt er einen Defibrillator in seinem Körper. Nach einem Jahr Pause spielte er trotz des implantierten Geräts wieder für die Kickers. Im Sommer 2017 plagten ihn jedoch erneut Herzprobleme und er beendete seine Karriere. Heute ist er Scoutingcoach und Botschafter der Techniker Krankenkasse.
Daniel Engelbrecht spielte in der dritten Liga, trotz Defibrillator. Der ehemalige senegalesische Nationalspieler Khalilou Fadiga wechselte wegen seines eingesetzten Defibrillators aus Italien nach England und lief dort in der Premier League auf. Auch der niederländische Nationalspieler Daley Blind spielt trotz Defibrillator für Ajax Amsterdam.
Sie alle tragen wie nun auch Christian Eriksen einen implantierbaren Defibrillator (ICD). Das Gerät wird bei Herz-Rhythmus-Störungen eingesetzt und folgt demselben Prinzip wie der Defibrillator, den man sonst von äußerlichen Anwendungen kennt – so wie der, der auch bei der Wiederbelebung von Eriksen zum Einsatz kam. Kommt es zu bösartigen Herzrhythmusstörungen, soll das Herz mit elektrischen Schocks wieder in den normalen Rhythmus gebracht werden. Der Unterschied ist, dass sich der ICD im Körper befindet. Das eingesetzte Gerät ist dadurch besonders präzise: Die Elektroden, die den Herzrhythmus registrieren und auch den elektrischen Schock abgeben, befinden sich direkt am Herzmuskel. Deswegen sind beim implantierten Gerät geringere Stromstärken ausreichend.
All die oben genannten Spieler tragen das Gerät in ihrer Brust nicht zum Spaß – sie haben ein höheres Risiko, dass ihr Herz nochmals derartige Rhythmusstörungen entwickelt. Dass die Angst bei seinem Sohn bei beinah jedem Spiel mitspiele, berichtete Daley Blinds Vater Danny vergangenen Dezember im Fernsehen.
Auch wenn eingesetzte Defibrillatoren in deutschen Regularien nicht kategorisch verboten sind, sagt Prof Dr. Tim Meyer: „Ich hätte alleine aus einer ärztlichen Sicht große Bedenken, jemanden mit einem Defibrillator professionell Fußball spielen zu lassen.“ Außerdem sei ein Defibrillator für den Otto-Normalverbraucher gebaut und nicht für einen Leistungssportler. Das Gerät müsse also vor Zusammenstößen geschützt werden. Meyer sieht eine weitere Problematik im professionellen Sport: „Das Betrachten der Fernsehübertragung eines Sportlers, der einmal oder gar mehrfach von einem Defibrillator geschockt wird, kann verstörend wirken und trägt gewiss nicht dazu bei, dass eine sportliche Aktivität ein positives Image behält.“
Bei Eriksen ist bislang nicht öffentlich bekannt, welche Krankheit seinen Zusammenbruch ausgelöst hat. Die zwei Herzerkrankungen, die im deutschen Sport am häufigsten registriert worden sind , sind die Herzmuskelentzündung, die häufig in Folge einer nicht vernünftig auskurierten Erkältung auftritt, und die vorzeitige koronare Herzerkrankung, auch Herzkrampfgefäßverkalkung genannt. Daniel Engelbrecht vermutet in Interviews, dass es eine nicht auskurierte Erkältung war, die zu seiner Herzmuskelentzündung geführt hat. Deswegen hält er heute Vorträge zum Thema Gesundheit im Sport.
Wie Eriksens Zukunft aussehen wird, ist noch ungewiss. Sein Vertrag bei Inter Mailand läuft noch bis 2024. Sein Trainer Simone Inzaghi sagte: „Er braucht Zeit, sich zu erholen. Aber natürlich werden wir ihn mit offenen Armen wieder bei uns begrüßen.“ Spielen wird er in der Serie A aber nicht.