Er hätte es wirklich einfacher haben können. Immerhin kommt Andreas, 49 Jahre, aus München. Und dort, so erzählt man sich, entscheidet man spätestens zum Zeitpunkt seiner Geburt, ob man Roter oder Blauer sein möchte. Andreas hingegen wandte sich erst im Alter von 16 Jahren seinem Blau zu. Einem anderen Blau: Er wurde Fan des FC Chelsea. Gut, zunächst war auch er ein Sechzger, spielte sogar bis zur B‑Jugend bei den Löwen, doch dann ließ er den Sport zunehmend schleifen, wechselte auf die Tribüne und wurde zentraler Bestandteil der Löwen-Fanszene. Als Mitglied der seinerzeit berüchtigten Hooligan-Gruppierungen „Migthy Blues“ und „Blue Death“ wurde er rund um das Grünwalder Stadion verehrt und gefürchtet zugleich. Eine Jugendsünde. Doch sein Blick wanderte schon zu dieser Zeit beständig gen England, dem Mutterland des Fußballs. Die engen Stadien, das raue Klima, der überwältigende Support der Fans, all das reizte den heranwachsenden Andreas.
Im Januar 1978 reichte das Ersparte erstmals für einen Trip nach London. Seine Bleibe am Earls Court lag nur wenige Straßen von der Stamford Bridge, der Heimat des FC Chelsea, entfernt. „Zum Glück habe ich damals nicht in der Nähe der White Hart Lane gewohnt“, sagt Andreas. „Das wäre heute ein Graus.“ Und so betrat er am 28. Januar 1978 zum ersten Mal Chelsea-Land. Im FA-Cup-Viertrundenmatch gegen Burnley erlebte er ein famoses 6:2 der Blues. Die Stimmung, die Enge, der Geruch, das Unmittelbare, all das packte ihn sofort. Er verlor sein Herz an den FC Chelsea und hat dafür eine lapidare Erklärung: „Die sind auch weiß-blau, sie haben einen Löwen im Wappen, groß umstellen musste ich mich also nicht.“ Aus Andreas, dem Draufgänger aus der Löwenszene, wurde Chelsea-Andy. Mit Schal, Schiebermütze und Pins geschmückt und nur noch drei D‑Mark in der Jeanstasche trat er die Heimreise nach München an. Dort wunderten sie sich über die neue Liebe ihres alten Kompagnons: „Viele wussten nicht einmal, dass Chelsea in London ist.“ Er erklärte es ihnen. Ein Mal, hundert Mal, bis es auch der Allerletzte verstanden hatte. Heute weiß man in München, dass Andreas sein Leben in den Dienst des FC Chelsea gestellt hat. Seit 34 Jahren reist er nun schon nach England, besucht immer wieder auch unterklassige Begegnungen und gilt als einer der ersten deutschen Groundhopper überhaupt. Bis heute hat er fast alle englischen und schottischen Profistadien gesehen. Nur zwei Spielstätten meidet er aus tiefster Abneigung: „Ins Old Trafford und den Celtic Park werde ich nie einen Fuß setzen. Eher friert die Hölle zu.“
Doch seit dem Einstieg des russischen Investors Roman Abramowitsch ist er auch nur noch selten an der Stamford Bridge. „Die Stimmung im Stadion war schon nach der Abschaffung der Stehplätze hinüber, aber wenn ich heute die ganzen Fantouristen sehe, wird mir schlecht.“ Chelsea-Andy traf deswegen nach dem Titelgewinn der Blues im Jahr 2005 eine Entscheidung: Er beschloss, erst wieder ein Liga-Heimspiel seines Klubs zu besuchen, wenn er in der zweiten Liga spielt. „Früher bist du hin und hast für fünf Pfund dein Ticket gekauft. Das ist heute unmöglich. Das mache ich so nicht mit.“ Stattdessen begleitet er seinen Klub nun zu den Auswärtsspielen in ganz Europa: Tel Aviv, Nikosia oder Cluj – Chelsea-Andy ist den Blues mittlerweile über 60 Mal ins Ausland gefolgt. Er schätzt die Erlebnisse in der Ferne und das Privileg des internationalen Wettbewerbs. Und dennoch sagt er: „Ich weiß, dass die Ära Abramowitsch irgendwann vorbei sein wird. Dann spielen wir vielleicht auch wieder ganz unten.“ on Europas Thron träumt er seit der Niederlage im Champions-League-Finale 2008 gegen Manchester United sowieso nicht mehr. Vielmehr vermisst er die Stimmung, die Enge, das Unmittelbare, eben all das, was im Januar 1978 aus dem Löwen-Hooligan Andreas Chelsea-Andy werden ließ. Einen Fußballfan, der zugibt: „Ich sehne mich ein bisschen nach Grimsby und Rotherham.“ Von Europas Thron träumt er seit der Niederlage im Champions-League-Finale 2008 gegen Manchester United sowieso nicht mehr. Vielmehr vermisst er die Stimmung, die Enge, das Unmittelbare, eben all das, was im Januar 1978 aus dem Löwen-Hooligan Andreas Chelsea-Andy werden ließ. Einen Fußballfan, der zugibt: „Ich sehne mich ein bisschen nach Grimsby und Rotherham.“