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Seite 3: Ein Wechselgesang fegt über den Kontinent

In den Tagen nach dem Unglück hängen die Wolken tief über Cha­peco. Die Straßen sind ver­lassen. Die Men­schen bleiben zu Hause, und wenn sie doch aus der Tür gehen, machen sie sich auf den Weg zum Sta­dion. Am 30. November etwa, am Tag, als das Final-Hin­spiel statt­finden sollte, füllt sich die Arena Conda bis auf den letzten Platz. Die Men­schen singen Eeeee, vamos, vamos, Cha­peeee.“ Und als hätten die Fans in Medellin sie gehört, machen auch sie sich auf den Weg in ihr Sta­dion und beginnen ihrer­seits mit Gesängen: Eeeee, vamos, vamos, Cha­peeee.“ Sie alle hatten zwei Tage den Atem ange­halten, geweint und getrauert, und nun fegt ihr Wech­sel­ge­sang über 4500 Kilo­meter, als wollte er den Kon­ti­nent aus den Angeln heben. 

In jenen Tagen tru­deln Bei­leids­be­kun­dungen aus der ganzen Welt ein. Spieler wie Ronald­inho, Eidur Gud­johnsen, Riquelme oder Zé Roberto erklären, dass sie in der kom­menden Saison für den Klub auf­laufen möchten und dabei auf ein Gehalt ver­zichten werden. Der AS Saint-Eti­enne trägt bei einem Liga­spiel das Wappen von Cha­pe­coense auf der Brust, und San Lorenzo läuft kom­plett in den Tri­kots der Bra­si­lianer auf. Atle­tico Nacional teilt der­weil mit, dass es auf den Copa-Titel ver­zichtet und for­dert zugleich, ihn an Cha­pe­coense zu ver­geben. Kurz darauf kommt der süd­ame­ri­ka­ni­sche Fuß­ball­ver­band Con­mebol dem Wunsch nach.

Als eine Woche nach dem Unglück die Toten in die Heimat gebracht werden, ist die Stadt Cha­peco wie gelähmt. Es regnet in Strömen, und die Stadt ertrinkt in Mil­lionen Tränen, als die Särge vom Flug­hafen ins Sta­dion gebracht werden. Dort, in der Arena Conda, liegen sich die Men­schen in den Armen. Auch Ilaides Padilha, die Mutter des ver­stor­benen Danilo, ist da. Als sie inter­viewt wird, stellt sie plötz­lich eine Gegen­frage. Sie möchte von einem Jour­na­listen wissen, wie er sich fühle, schließ­lich seien unter den Toten auch 20 Reporter. Dem Inter­viewer ver­schlägt es die Sprache. Er weint, er heult, er bricht bei­nahe zusammen, und sie nimmt ihn in den Arm, als wäre er ihr Sohn.

Herz und Flug­zeug sollten unser Mar­ken­zei­chen sein“

In jenen Tagen berichten auch andere Hin­ter­blie­bene von ihren Män­nern, Söhnen oder Brü­dern. Rosan­gela Lou­reiro, die Witwe des ver­stor­benen Cleber San­tana, erzählt von einer gemein­samen Reise, die sie mit zwölf anderen Cha­pe­coense-Paaren geplant hätten. Nach dem Finale wollten sie nach Punta Cana in die Domi­ni­ka­ni­sche Repu­blik fliegen. Sie hatte sich des­halb eine Täto­wie­rung ste­chen lassen: ein Herz – und ein Flug­zeug. In einem Inter­view mit Glo­boe­sporte erklärt Lou­reiro: Wir alle, auch die Männer, wollten das Tattoo tragen. Als Andenken an ein tolles Jahr und eine traum­hafte Reise: Herz und Flug­zeug sollten unser Mar­ken­zei­chen sein.“

In jenen Tagen, die geprägt sind von Schmerz und Leid, tau­chen aber auch Geschichten von sagen­haften Zufällen und unfass­baren Glücks­mo­menten auf. Die Welt erfährt etwa von den sechs Insassen des Fluges LMI2933, die wie durch ein Wunder über­lebten – unter ihnen auch die Chape-Spieler Alan Ruschel, Jakson Foll­mann und Neto. Oder die Men­schen hören von den Glück­li­chen, die aus ver­schie­denen Gründen die Reise nicht ange­treten haben. Von Mar­celo Boeck, dem dritten Tor­hüter, der nicht mit­reiste, weil er Geburtstag hatte – und der nun sein Kar­rie­re­ende erklärt. Von Matheus Saroli, dem Sohn von Trainer Caio Junior, der erst am Flug­hafen bemerkte, dass er seinen Pass ver­gessen hatte, wes­wegen er wieder heim­kehren musste. Oder von Moises Ribeiro Santos, der sich im Sommer so stark ver­letzte, dass er den kom­pletten Herbst in der Reha ver­brachte. Eigent­lich wäre er wieder fit gewesen, sagt er. Und als sein Trainer ihm eröff­nete, dass er ihn trotzdem nicht mit­nehmen werde, war er am Boden zer­stört. Eine Woche nach dem Unglück sagt er einer bra­si­lia­ni­schen Zei­tung: Gott beschützte mich. Aber warum hat er die anderen nicht beschützt?“

Das Rück­spiel gegen Atle­tico Nacional hätte am 7. Dezember in Curi­tiba statt­ge­funden, 450 Kilo­meter nord­west­lich von Cha­peco. Chapes Sta­dion ist schlichtweg zu klein für ein Pokal­fi­nale. Am diesem 7. Dezember also findet nun kein Spiel statt, das Sta­dion ist trotzdem voll. Über 30.000 Fans beten und trauern. Sie ver­wan­deln das Rund in ein grün-weißes Lichter- und Fah­nen­meer. Es sind Men­schen aus Curi­tiba und Cha­peco, aus der ganzen Region. Sie singen: Eeeee, vamos, vamos, Cha­peeee!“ Immer und immer wieder. Es ist der Gesang, den die Spieler nach dem Final­einzug gegen San Lorenzo in der Kabine ange­stimmt hatten. Sie singen so lange, bis sie heiser sind und noch länger. Und dann ist es wieder still.