Im November 2016 sterben bei einem Flugzeugabsturz 71 Menschen, darunter fast alle Profis der AF Chapecoense. Nun, vier Jahre nach der Tragödie, ist der Verein, dessen Schicksal die ganze Welt bewegte, wieder in Brasiliens erste Liga aufgestiegen.
In den Tagen nach dem Unglück hängen die Wolken tief über Chapeco. Die Straßen sind verlassen. Die Menschen bleiben zu Hause, und wenn sie doch aus der Tür gehen, machen sie sich auf den Weg zum Stadion. Am 30. November etwa, am Tag, als das Final-Hinspiel stattfinden sollte, füllt sich die Arena Conda bis auf den letzten Platz. Die Menschen singen „Eeeee, vamos, vamos, Chapeeee.“ Und als hätten die Fans in Medellin sie gehört, machen auch sie sich auf den Weg in ihr Stadion und beginnen ihrerseits mit Gesängen: „Eeeee, vamos, vamos, Chapeeee.“ Sie alle hatten zwei Tage den Atem angehalten, geweint und getrauert, und nun fegt ihr Wechselgesang über 4500 Kilometer, als wollte er den Kontinent aus den Angeln heben.
In jenen Tagen trudeln Beileidsbekundungen aus der ganzen Welt ein. Spieler wie Ronaldinho, Eidur Gudjohnsen, Riquelme oder Zé Roberto erklären, dass sie in der kommenden Saison für den Klub auflaufen möchten und dabei auf ein Gehalt verzichten werden. Der AS Saint-Etienne trägt bei einem Ligaspiel das Wappen von Chapecoense auf der Brust, und San Lorenzo läuft komplett in den Trikots der Brasilianer auf. Atletico Nacional teilt derweil mit, dass es auf den Copa-Titel verzichtet und fordert zugleich, ihn an Chapecoense zu vergeben. Kurz darauf kommt der südamerikanische Fußballverband Conmebol dem Wunsch nach.
Als eine Woche nach dem Unglück die Toten in die Heimat gebracht werden, ist die Stadt Chapeco wie gelähmt. Es regnet in Strömen, und die Stadt ertrinkt in Millionen Tränen, als die Särge vom Flughafen ins Stadion gebracht werden. Dort, in der Arena Conda, liegen sich die Menschen in den Armen. Auch Ilaides Padilha, die Mutter des verstorbenen Danilo, ist da. Als sie interviewt wird, stellt sie plötzlich eine Gegenfrage. Sie möchte von einem Journalisten wissen, wie er sich fühle, schließlich seien unter den Toten auch 20 Reporter. Dem Interviewer verschlägt es die Sprache. Er weint, er heult, er bricht beinahe zusammen, und sie nimmt ihn in den Arm, als wäre er ihr Sohn.
„Herz und Flugzeug sollten unser Markenzeichen sein“
In jenen Tagen berichten auch andere Hinterbliebene von ihren Männern, Söhnen oder Brüdern. Rosangela Loureiro, die Witwe des verstorbenen Cleber Santana, erzählt von einer gemeinsamen Reise, die sie mit zwölf anderen Chapecoense-Paaren geplant hätten. Nach dem Finale wollten sie nach Punta Cana in die Dominikanische Republik fliegen. Sie hatte sich deshalb eine Tätowierung stechen lassen: ein Herz – und ein Flugzeug. In einem Interview mit Globoesporte erklärt Loureiro: „Wir alle, auch die Männer, wollten das Tattoo tragen. Als Andenken an ein tolles Jahr und eine traumhafte Reise: Herz und Flugzeug sollten unser Markenzeichen sein.“
In jenen Tagen, die geprägt sind von Schmerz und Leid, tauchen aber auch Geschichten von sagenhaften Zufällen und unfassbaren Glücksmomenten auf. Die Welt erfährt etwa von den sechs Insassen des Fluges LMI2933, die wie durch ein Wunder überlebten – unter ihnen auch die Chape-Spieler Alan Ruschel, Jakson Follmann und Neto. Oder die Menschen hören von den Glücklichen, die aus verschiedenen Gründen die Reise nicht angetreten haben. Von Marcelo Boeck, dem dritten Torhüter, der nicht mitreiste, weil er Geburtstag hatte – und der nun sein Karriereende erklärt. Von Matheus Saroli, dem Sohn von Trainer Caio Junior, der erst am Flughafen bemerkte, dass er seinen Pass vergessen hatte, weswegen er wieder heimkehren musste. Oder von Moises Ribeiro Santos, der sich im Sommer so stark verletzte, dass er den kompletten Herbst in der Reha verbrachte. Eigentlich wäre er wieder fit gewesen, sagt er. Und als sein Trainer ihm eröffnete, dass er ihn trotzdem nicht mitnehmen werde, war er am Boden zerstört. Eine Woche nach dem Unglück sagt er einer brasilianischen Zeitung: „Gott beschützte mich. Aber warum hat er die anderen nicht beschützt?“
Das Rückspiel gegen Atletico Nacional hätte am 7. Dezember in Curitiba stattgefunden, 450 Kilometer nordwestlich von Chapeco. Chapes Stadion ist schlichtweg zu klein für ein Pokalfinale. Am diesem 7. Dezember also findet nun kein Spiel statt, das Stadion ist trotzdem voll. Über 30.000 Fans beten und trauern. Sie verwandeln das Rund in ein grün-weißes Lichter- und Fahnenmeer. Es sind Menschen aus Curitiba und Chapeco, aus der ganzen Region. Sie singen: „Eeeee, vamos, vamos, Chapeeee!“ Immer und immer wieder. Es ist der Gesang, den die Spieler nach dem Finaleinzug gegen San Lorenzo in der Kabine angestimmt hatten. Sie singen so lange, bis sie heiser sind und noch länger. Und dann ist es wieder still.