Vor vier Jahren kam fast die ganze Mannschaft von AF Chapecoense bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Nun ist der Klub zurück in der ersten Liga. Über ein unerwartetes Comeback.
Vor dem Start des Fliegers sagt Chapecoenses Torwart Danilo noch: „Im Finale werden wir unser Leben geben“. Es ist der 28. November 2016. Die Mannschaft von Associação Chapecoense de Futebol befindet sich auf dem Weg zum größten Spiel der Vereinsgeschichte. Das Finalhinspiel der Copa Sudamericana steht bevor. Ihr Gegner: Atlético Nacional. Doch dazu wird es nicht kommen. Das Leben, ihr Leben, wurde Danilo und seinen Kollegen genommen, bevor sie es auf dem Platz geben konnten. Kurz vor dem Zielflughafen Viru Viru, bei Medellín, Kolumbien, stürzt die Maschine ab und verunglückt am Berg El Gordo.
Ursächlich für den Absturz war Treibstoffmangel und eine Verkettung von mangelnder Planung und Kontrolle der örtlichen Luftraumbehörde. Eine Katastrophe, die sich hätte verhindern lassen. Am Berg sterben 71 Passagiere, darunter 21 Journalisten sowie Trainer, Funktionäre, Betreuer und fast die gesamte Mannschaft von Chapecoense. Sechs überleben, darunter der Torwart Jakson Follmann, der beim Flugzeugunglück seinen rechten Unterschenkel verliert, der Innenverteidiger Helio Neto sowie Linksaußen Alan Ruschel. Den 71 Verstorbenen gedenken die Fans seither in der 71. Minute. Dann rufen sie: „Vamos Chapé“.
Vier Jahre sind seit dem Absturz von LaMia-Flug 2933 vergangen. Vier Jahre, in denen der Verein eine neue Mannschaft zusammenstellen musste. Vier Jahre, in denen der Verein eine Gratwanderung zwischen Trauerbewältigung und der Frage nach dem „Wie geht’s weiter?” überstehen musste. Nun gelang AF Chapecoense der Wiederaufstieg in die Série A. Angeführt von Kapitän Alan Ruschel, der einzige Überlebende, der den Weg zurück auf den Rasen gefunden hat. Der Aufstieg in Brasiliens höchste Spielklasse steht beispielhaft für die Leidensfähigkeit, die zur DNA des Vereins geworden ist. Doch als Chapecoense 2019 in die Série B abstieg, hatte kaum jemand mit einer schnellen Rückkehr in die höchste brasilianische Spielklasse gerechnet.
Als die 200.000 Einwohner große Stadt Chapecó am Tag nach dem Flugzeugabsturz erwachte, liefen tausende Fans, Anteilnehmende und die Hinterbliebenen der Opfer wie einem Instinkt folgend zur Arena Condá, AF Chapecoenses Heimspielstätte, die 22.600 Zuschauern Platz bietet. An diesem Tag beherbergte sie weitaus mehr. „Das Stadion ist das Herz unserer Gemeinde“, sagte Daniel, der Vorsitzende des Fanclubs. Es folgte eine offizielle Trauerfeier, in der die Särge der verstorbenen Spieler und Mitarbeiter in das Stadion getragen wurden. Der AF Chapecoense stand nicht nur vor der Aufgabe, die Wunden zu heilen, sondern zugleich den ganzen Klub neu aufzustellen.
Chapé, wie der Verein von seinen Fans genannt wird, erreichte augenblicklich eine Welle der Solidarität im In- und Ausland. Der brasilianische Ligaverband hatte AF Chapecoense einen dreijährigen Abstiegsschutz gewähren wollen, den der Verein jedoch ablehnte. Der Finalgegner Atlético Nacional verzichtete auf den Pokalsieg, wodurch Chapecoense die Siegerprämie von zwei Millionen US-Dollar erhielt sowie die lukrative Teilnahme am Copa Libertadores garantiert bekam. Der FC Barcelona lud den Klub mit den grün-weißen Vereinsfarben zum traditionellen Saisonauftaktspiel um die Trofeu Joan Gamper ein. Klubs aus der heimischen Série A liehen dem Verein aus Santa Catarina kostenlos Spieler aus, um sie bei der Neubesetzung der Mannschaft zu unterstützen.
Innerhalb weniger Wochen gelang es dem neuen Präsidenten, Plínio Nês gemeinsam mit neuen und alten Mitarbeitern, eine Mannschaft für die neue Saison im Jahr 2017 zusammenzustellen. Es folgte eine Spielzeit, in der der Verein mit der harten Alltagsrealität im Profi-Fußball konfrontiert wurde. Während der Spielbetrieb seinen geregelten Gang ging, wirkte die Trauer weiter nach. Die neu zusammengestellte Mannschaft wollte in erster Linie dabei helfen, ein neues Kapitel aufzuschlagen. Doch die neuen Spieler zeigten sich zunehmend irritiert von dem Mitleid, das gar nicht ihnen gelten konnte. Keiner von ihnen war Teil der verunglückten Mannschaft. Der Vereinsführung hingegen freute sich über das anhaltende Medieninteresse und die neue große Anhängerschaft im Netz.
Sportlich befand sich die Mannschaft in einer Talfahrt. Vor dem Spiel gegen Gremio, dem Spitzenteam aus Porto Alegre, steht Chapé am 24. Spieltag auf dem 18. Tabellenplatz. Es folgte ein moralischer Hoffnungsschimmer: Alan Ruschel gibt nach über einem halben Jahr sein Comeback in der Liga. Einem halben Jahr, in dem er sich nicht nur sportlich zurückkämpfen musste. Immer wieder kamen ihm die Erinnerung an den Absturz hoch, sodass er sogar das Training abbrechen musste. Im Spiel gegen Gremio stand er nun in der Startelf. Die Kraft reichte für eine Halbzeit. Doch die genügte, um der Mannschaft wieder den Glauben zurückzugeben, der ihr in den Monaten zuvor gefehlt hatte. Chapecoense gewann das Spiel überraschend mit 1:0. Ein Sieg wie ein Fanal. In der Folge spielte die Mannschaft wie befreit auf, holt bis zum Saisonende 26 Punkte, beendete die Spielzeit auf den neunten Tabellenplatz und qualifizierte sich für die erste Runde des Copa Libertadores. Eine märchenhafte Geschichte.