Wir bauen unsere Seite für dich um. Klicke hier für mehr Informationen.

Seite 2: Warum sich alle Engländer mit dieser Truppe identifizieren

Das Deli­rium ist auch eine Art Erlö­sung. In den letzten zwei Jahren war die gesell­schaft­liche Stim­mung auf der Insel alles andere als fröh­lich. Men­schen, die sich jetzt in Pubs vor Freude in den Armen fallen, hatten seit dem Brexit gelernt, sich gegen­seitig zu miss­trauen. Der Luxus, die blöde Politik zumin­dest für ein Paar Wochen ver­gessen zu können, ist für eine zer­ris­sene Gesell­schaft zwei­fellos eine will­kom­mene Ablen­kung. Dass die Regie­rung von The­resa May am Montag aus­ge­rechnet zwei Tage vor dem WM-Halb­fi­nale zusam­men­brach, wirkte irgendwie pas­send. Der ganze Druck, der sich über zwei Jahre auf­ge­baut hatte, war plötz­lich weg. Statt­dessen herrscht jetzt, in Ikea sowie im Par­la­ment, pures Chaos.

Wie Klas­sen­ka­me­raden

In erster Linie geht es hier alles aber nicht um Politik, son­dern um Fuß­ball. Um eine Fuß­ball­mann­schaft, die so sym­pa­thisch ist, dass sie auch den zynischsten Eng­land-Skep­tiker zum Lächeln bringt. Sie hat Harry Kane, den dicken Jungen aus Nord­london, aus dem ein Welt­stürmer gewachsen ist. Sie hat Jordan Pick­ford, den stirn­run­zelnden Tor­wart aus dem Nord­osten, der als zu klein galt, bevor er im Elf­me­ter­schießen zum Natio­nal­helden wurde. Sie hat Jesse Lin­gard und Dele Alli, Tech­niker aus der alten Schule, die aber auch für die bunte Viel­falt der modernen Nation stehen sollen. Sie hat Harry Maguire, den rup­pige Schrank mit dem großen Vor­der­kopf. Einen wie ihn hatte jeder damals als Klas­sen­ka­merad.

Und sie hat einen Trainer, der alle Kli­schees über den eng­li­schen Fuß­ball löschen will. Der mit akri­bi­scher, pro­fes­sio­neller Arbeit gezeigt hat, dass sich der Erfolg auf Wis­sen­schaft stützen muss. Der eine Sport­psy­cho­login anstellen ließ, um den Elf­me­ter­fluch zu besiegen, und der in den letzten zwei Jahren diese Mann­schaft Stück für Stück für auf­ge­baut hat. Als er zum Natio­nal­trainer ernannt wurde, waren viele ent­täuscht. Jetzt wollen sie ihn zum Ritter schlagen, zum Sir Gareth South­gate.

Beloh­nung

Von seiner Arbeit und seiner Art könnten viele in Groß­bri­tan­nien etwas lernen. Der eng­li­sche Fuß­ball wird sowieso die rich­tigen Lehren aus diesem WM-Erfolg ziehen, denn er ist auch eine Beloh­nung für die lang­sich­tige und durch­dachte Arbeit des Ver­bands. Aber für den Moment denkt keiner in Eng­land über Lehren oder Politik. Für den Moment denken alle nur an Kroa­tien, an die Träume vom zweiten WM-Titel. Für den Moment denken alle so wie Tom Nicholson: Es ist ein­fach nur groß­artig.