Nach einem beispiellosen Absturz hat der MSV Duisburg den Klassenerhalt in der dritten Liga mittlerweile fast sicher. Das sah vor wenigen Wochen noch ganz anders aus: Da warteten die Fans vor dem Stadion – und hupten!
Dieser Test erschien erstmals in 11FREUNDE #232. Das Heft ist hier bei uns im Shop erhältlich.
Kutten-Leroy steht auf dem Parkplatz vor dem Duisburger Stadion, nimmt einen Schluck aus der Flasche und sagt: „Ich steh immer hier. Steh hier draußen und trink Bier. Ich tu was für mein’ Verein.“ Dann nimmt er noch einen Schluck, reicht die Flasche weiter an einen seiner Freunde und schaut hoch zur Arena. Sein Verein, das ist der MSV Duisburg, Gründungsmitglied der Fußballbundesliga und mittlerweile Drittligist. An diesem Sonntag, dem 31. Januar 2021, ist der MSV Tabellenletzter und spielt gegen den VfB Lübeck, Tabellenvorletzter. Eine Stunde vor Anpfiff stehen Kutten-Leroy und 500 weitere Fans zwischen ihren Autos auf dem Parkplatz vor dem Stadion. Aufgrund der Pandemie dürfen sie nicht hinein. Manche trinken Bier. Fast alle hupen.
Kaum einen Verein in Deutschland hat die Corona-Pandemie so hart getroffen wie den MSV Duisburg. Das lässt sich in den Finanzbüchern nachschlagen und anhand der Tabelle ablesen. Als der Spielbetrieb im März eingestellt wurde, war der Verein elf Spieltage vor Schluss Spitzenreiter mit fünf Punkten Vorsprung auf einen Nicht-Aufstiegsplatz. Nun, ein Jahr später, kämpft er um den Klassenerhalt. Was ist in dieser Zeit geschehen? Und wie verändert sich die Identität eines Klubs im Fall eines solchen Absturzes?
„Die Leute geigen dir ehrlich die Meinung. Das ist eine Arbeiterstadt“
Moritz Stoppelkamp kennt die Details, und er weiß, wie die Menschen in Duisburg denken. Der Routinier, der 71 Bundesligaspiele gemacht hat, ist im Süden der Stadt aufgewachsen, hat als Kind für den MSV gespielt. Vor dreieinhalb Jahren ist er zurückgekehrt. „Die Leute geigen dir ehrlich die Meinung. Das ist eine Arbeiterstadt“, sagt er. So gesehen, passt er gar nicht hierher. Stoppelkamp ist ein feiner Techniker, noch immer der Angelpunkt im Duisburger Spiel, an ihm orientiert sich die Mannschaft. Aber er ist 34 Jahre alt. Als der DFB die Drittligasaison im Frühjahr 2020 per Mammutprogramm in sieben Wochen beenden wollte, litten Spieler wie er besonders. „Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass wir aufgestiegen wären, wenn es diese Pause nicht gegeben hätte.“ Es heißt, ältere Spieler hätten den Trainer Torsten Lieberknecht zu dieser Zeit gebeten, im Training auf die Bremse zu treten. Im Takt der englischen Wochen lechzten die Könner nach Pausen.
Es mehrten sich die Verletzten in einem ohnehin kleinen Kader. Stoppelkamp zerrte sich den Oberschenkel. „Das bedeutet normalerweise ein Spiel Pause“, sagt er. In diesem irren Sommer verpasste der Taktgeber drei Partien in sieben Tagen, seine Mannschaft holte ohne ihn zwei Punkte. Woran hat es gelegen? Diese Frage, sagt Stoppelkamp, habe er sich seit dem Saisonende oft gestellt. Bis zum vorletzten Spieltag hatte die Mannschaft alles in eigener Hand. Dann trifft Bayern München II in der letzten Minute zum 2:2. Stoppelkamp rechnet vor: „Wenn das Tor nicht fällt, dann wären wir Erster geworden und nicht Fünfter.“ Ein Tor entscheidet über den Aufstieg. Aber lässt sich das Schicksal eines Vereins anhand eines einzigen Schusses erklären? Im Fall Duisburg eher nicht.
Im Sommer hat der MSV seinen Kader umgebaut. Es sind nicht viele Abgänge, aber dem Team brechen die tragenden Säulen weg. Abwehrchef Marvin Compper beendet seine Karriere. Der Mittelfeldspieler Yassin Ben Balla wechselt nach Braunschweig, Lukas Daschner zum FC St. Pauli. „Die spielen jetzt zweite Liga. Das war unser Zentrum, die Jungs hatten Qualität“, sagt Kapitän Stoppelkamp. Ihn trifft es noch schlimmer: Dreieinhalb Monate muss er aussetzen, er hat Pfeiffersches Drüsenfieber. Als er zurückkehrt, wird Torsten Lieberknecht gerade entlassen. Nach der Corona-Pause gewann er fünf von 19 Spielen. Bei den Funktionären um Sportdirektor Ivica Grlic reift die Erkenntnis, dass der Kader den Anforderungen der Dritten Liga nicht gewachsen ist.