Sensibles Genie oder wahnsinniger Brutalo? An ihm schieden sich stets die Geister. Eric Cantona selbst genoss die Verwirrung in vollen Zügen.
„Die Möwen folgen dem Fischkutter, weil sie denken, dass Sardinen ins Meer geworfen werden. Vielen Dank.“ Dann stand er auf und ging. Das war alles. Gerade war in der Berufungskammer seine zweiwöchige Gefängnisstrafe in 120 Stunden Sozialarbeit umgewandelt worden, der Verband hatte ihm eine achtmonatige Sperre aufgebrummt, und das war alles. Es war ein genialer Coup. Bis die Journalisten begriffen hatten, dass wohl sie die Möwen waren und Cantona ihnen gerade Sardinen in Dosen hingeworfen hatte, die sie erst einmal aufbekommen mussten, war er längst wieder über alle Berge. Hatten sie wirklich eine Erklärung erwartet, eine Entschuldigung gar? Was sie bekommen hatten, war Futter. Akkurat verpackt. Eines der bekanntesten Zitate der Fußballgeschichte.
Cantona hat in der Öffentlichkeit nie ein Wort des Bedauerns über die Attacke verloren, im Gegenteil, er bezeichnete sie später sogar als Höhepunkt seiner Karriere. Wenn man dem damaligen Verbandsvorsitzenden David Davies glaubt, der später in seinen Memoiren „FA Confidential“ davon berichtete, entschuldigte sich Cantona während der Verhandlung vor dem Sportgericht „bei Manchester United, Alex Ferguson, Maurice Watkins, meinen Mannschaftskameraden, dem Verband – und der Prostituierten, die letzte Nacht mein Bett mit mir geteilt hat“, was nur deswegen nicht zu einer höheren Sperre führte, weil zwei der drei Richter Cantonas französisches Englisch nicht verstanden. Bei Matthew Simmons, den er immer nur als „den Hooligan“ bezeichnete, entschuldigte er sich nicht.
„Ich entschuldige mich bei Manchester United, Alex Ferguson, Maurice Watkins, meinen Mannschaftskameraden, dem Verband – und der Prostituierten, die letzte Nacht mein Bett mit mir geteilt hat“
Es ging nicht anders. Sich öffentlich zu entschuldigen, hätte bedeutet, den Medien zu geben, was sie von ihm erwarteten. Was sie von jedem anderen erwartet hätten. Das konnte er nicht. Er mochte Gegenstand der Berichterstattung sein, ihr Spielball würde er nicht werden. Er ließ sich nicht vereinnahmen, von niemandem. Und er rechtfertigte sich nicht. Niemals. Das ist es, was Eric Cantona bis heute aus der Masse der sogenannten Rebellen heraushebt. Er ist nie an den Punkt gelangt, an dem er sich eingestehen musste, dass das System größer ist als er selbst.
Nach seiner Sperre kam er noch einmal zurück und führte Manchester United zu zwei weiteren Meisterschaften. Dann erklärte er, auf dem Zenit seines Schaffens, mit nicht einmal 31 Jahren, seinen Rücktritt. Endgültig. Wie immer hatte er sich bis zuletzt die Möglichkeit offengehalten, am Ende mit aller Konsequenz das zu tun, was niemand erwartete. Dieser Maxime ist er immer treu geblieben, und ob er sich damit in Widersprüche verstrickte oder jemanden vor den Kopf stieß, spielte für ihn keine Rolle. Er rief in Internetvideos zum Sturz des Bankensystems auf und warb gleichzeitig für internationale Großkonzerne. Er kündigte an, bei den französischen Präsidentschaftswahlen kandidieren zu wollen, und amüsierte sich königlich über die Aufregung der Medien, ehe er das Ganze als PR-Kampagne für eine Obdachlosenstiftung entlarvte.
Er arbeitet heute abwechselnd als Sportdirektor für den wiederbelebten Operettenklub New York Cosmos und als ernstzunehmender Schauspieler in Frankreich. Er ist noch immer ein Mann der Gegensätze. Er ist noch immer Eric Cantona, Erlöser von Manchester United, König der Möwen.