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3. Liga

Dieser Text erschien erst­mals in 11FREUNDE #243. Das Heft ist hier im Shop erhält­lich.

Der Himmel über Havelse ist grau, es ist ein win­diger und nasser Mitt­woch­vor­mittag Mitte Dezember. Die Fuß­baller des Dritt­li­gisten TSV Havelse machen sich auf einem Kunst­ra­sen­platz warm. Hinter der einen Tor­aus­linie erstreckt sich ein weites, karges Feld, über dem ein Vogel­schwarm seine Runden dreht. Hinter der anderen stehen zwei ver­gilbte Plas­tik­stühle auf einer stei­nernen Erhö­hung. Von ihnen aus ließe sich gut auf den Rasen schauen, heute aber sitzt nie­mand dort. Vor den Stühlen liegen Oran­gen­schalen und Kron­korken, dahinter rat­tert eine Lüf­tungs­an­lage laut­stark vor sich hin.

Mit­ten­drin steht Kianz Froese. Lieber noch einmal“, sagt er, nachdem er eine Kraft­übung mit dem Ath­le­tik­trainer absol­viert hat. Zur Sicher­heit.“ Der 25-Jäh­rige grinst breit. Er fühlt sich offen­sicht­lich wohl hier in der nie­der­säch­si­schen Pro­vinz kurz vor Han­nover, bei einem Klub, bei dem nicht einmal der Sport­di­rektor haupt­amt­lich ange­stellt ist. Dabei hat er als Geschäfts­mann genug Geld ver­dient, um überall auf der Welt leben zu können. Zum Bei­spiel auf seiner Kaf­fee­plan­tage in Kuba. Oder unweit des Restau­rants in Toronto, in das er inves­tiert. Oder an einem abge­le­genen, son­nigen Ort, von dem aus er sich weiter um die Geschäfte eines E‑Com­merce-Part­ners des Logis­tik­rie­sens Amazon küm­mern könnte. Trotzdem: Havelse, Nie­sel­regen, grau-brauner Back­stein. Warum macht Kianz Froese das?

Er ist ein Her­aus­for­de­rungs­su­cher“

Wegen des Geldes defi­nitiv nicht“, sagt er. Er sei viel­mehr ein Her­aus­for­de­rungs­su­cher“. 1996 kommt er als Sohn eines Kana­diers und einer Kuba­nerin in Havanna auf die Welt. Froese pen­delt fortan zwi­schen den Her­kunfts­orten seiner Eltern und wächst glei­cher­maßen in Kanada und Kuba auf. Der Fuß­ball ist die ein­zige Kon­stante in seinem Leben.

Später besucht er ein Sport­in­ternat in Kuba, wo er sich zeit­weise direkt unter den Was­ser­lei­tungen des Schul­ge­bäudes duschen muss – lie­gend, wäh­rend dicht über seinem Kopf Strom­lei­tungen mit meh­reren hun­dert Volt ver­laufen. Keine klas­si­sche Brut­stätte für Pro­fi­fuß­baller. Ich wollte es trotzdem unbe­dingt nach Europa schaffen.“ Über die Junio­ren­na­tio­nal­teams von Kuba und Kanada emp­fiehlt sich Froese für einen Pro­fi­ver­trag, den er 2015 bei den Van­couver White­caps unter­zeichnet. Kurz zuvor nimmt er erst­mals Geld in die Hand und inves­tiert in ein Start-up, das Fit­ness­trai­ning per Video­coa­ching anbietet. Heute ist es ein mil­lio­nen­schweres Unter­nehmen, kurz nach Froese inves­tierten dort auch Pop­star Jen­nifer Lopez und die Base­ball­le­gende Alex Rodri­guez.

Depres­sionen in Deutsch­land

Viel­leicht hatte ich das ein­fach im Blut“, sagt Froese. My dad was always selb­ständig.“ Sein Vater Joe ver­diente mit einem Trans­port­un­ter­nehmen und der Erfin­dung von Solar­öfen ein Ver­mögen und gab es als Ent­wick­lungs­helfer in Afrika wieder aus. Er lernte seine Frau auf Kuba kennen, als er seine Öfen vor Ort vor­stellte. Sie arbei­tete für die Regie­rung und betreute das Pro­jekt. Als Joe in Kanada ein kleines Haus kauft, fleht Kianz ihn an, auch den Mer­cedes des Besit­zers zu kaufen. Den Wagen habe ich wei­ter­ver­kauft und tau­send Dollar Profit damit gemacht.“ Als ihm 2017 der Sprung nach Europa zu For­tuna Düs­sel­dorf gelingt, kauft er sich von seinem ersten Gehalt einige Bit­coins. Ob sich das aus­ge­zahlt hat? Schon“, sagt Froese und grinst ver­schmitzt.

Den­noch hat er in dieser Zeit mit Depres­sionen zu kämpfen. Sein Vater ist schwer an Krebs erkrankt, im Trai­ning ist er auf­grund der man­gel­haften fuß­bal­le­ri­schen Aus­bil­dung in Kanada und Kuba tak­tisch und phy­sisch über­for­dert, und es braucht Zeit, bis er sich an Deutsch­land gewöhnt. 2019 stirbt Joe, sein Sohn macht die schlimmste Zeit seines Lebens durch. Kianz Froese macht sich viele Gedanken in dieser Zeit. Über sich, sein Leben, die Welt. Heute spricht er offen und gefes­tigt dar­über.

Ich laufe über die Plan­tage, die Sonne scheint und ich denke: Fuck, ist das schön!“

Joe hin­ter­lässt seiner Frau und seinem Sohn eine Plan­tage auf Kuba. Heute bauen dort sieben Ange­stellte Kaffee und etwas Aloe vera an. Das ist mein Baby“, sagt Froese. Alle sechs Monate ist er als Co-Geschäfts­führer dort. Acht Hektar ist die Plan­tage groß, 2022 wird sie weiter wachsen. Ich laufe über die Plan­tage, die Sonne scheint und ich denke: Fuck, ist das schön!“

Froese sitzt in einem dunklen Trai­ner­ka­buff, durch die mit Tropfen bespren­kelte Fens­ter­scheibe hinter ihm sieht man das kleine Sta­dion des TSV. Eine Ama­teur­an­lage, nicht zuge­lassen für die Dritte Liga. Über Saar­brü­cken, wo Froese vier Tor­vor­lagen zum DFB-Pokal-Halb­fi­nal­einzug 2020 bei­steu­erte, ging es nach Havelse. Hier ist er Stamm­spieler im Mit­tel­feld. Er ist Pro­fi­fuß­baller, davon hat er immer geträumt. Seine geschäft­li­chen Tätig­keiten geben ihm zusätz­liche Sicher­heit, die der Pro­fi­sport nicht bieten kann. Sein großes Ziel ist es, meh­rere Mil­lionen Dollar zu ver­dienen und in ein Krebs­for­schungs­zen­trum zu inves­tieren. Kapi­ta­lis­ti­sche Struk­turen kri­ti­siert er, wohl­wis­send, dass er mit seinen Geschäften ein Teil davon ist. Aber es ist unmög­lich, ohne Geld etwas zu ver­än­dern. Das ist Fakt, leider.“

Im Moment will er den Fuß­ball genießen und schauen, wo es hin­geht. Dass Havelse weit weg von der großen Bühne ist? Egal“, sagt Froese. Ich darf hier eine neue Stadt erleben und mich als Pro­fi­fuß­baller beweisen. Wenn ich etwas anderes machen will, dann mache ich das. Diese Frei­heit habe ich mir erar­beitet. Das ist Luxus für mich.“