Vor sechs Jahren spielte Jonas Hector noch beim SV Auersmacher, jetzt bei der EM in Frankreich. Das Erfolgsgeheimnis des Kölners: seine Freunde vom Dorf.
Clemens lobt auch Ihr ausgeprägtes Verständnis für Räume auf dem Platz. Sind Sie in der Defensive vergleichbar mit dem, was der selbsternannte „Raumdeuter“ Thomas Müller in der Offensive ist?
Ähnlich ist vielleicht, dass ich mich in den Zwischenräumen auf dem Platz gut zurechtfinde. Ich weiß, wo ich zu stehen habe, um angespielt zu werden. Das macht Thomas Müller im offensiven Bereich bekanntlich immer sehr gut, wenn er zwischen Mittelfeld und Abwehr steht. Ich habe das als ehemaliger Zehner möglicherweise noch im Blut.
Ist das Verständnis für Raum auch für den defensiven Part von Nutzen?
Auf jeden Fall, wobei ich mich anfangs als Linksverteidiger an die defensiven Räume und Abstände zum Nebenmann erst gewöhnen musste.
Aber in der Mitte hat man eine Menge mehr Platz um sich herum. Ist es nicht hinten links leichter zu spielen?
Dafür ist man dann aber auch Teil der letzten Kette. Wenn man dort überspielt wird, brennt’s meistens richtig. Das ist eine größere Verantwortung: Wenn der Ball durch die Schnittstelle geht und man seinen Mann mal laufen lässt, ist sofort eine Eins-gegen-eins-Situation gegen den Torwart da. Darauf musste ich mich einstellen.
In der Nationalmannschaft waren Sie 2015 der Spieler mit den meisten Länderspielminuten. Gab es einen Moment, der für Sie innerlich ein Durchbruch war?
Als ich im März letzten Jahres gegen Australien mein erstes Spiel über 90 Minuten gemacht habe, war ich schon zufrieden, weil ich das Vertrauen vom Trainer bekommen habe. Die Mitspieler haben mich ebenfalls akzeptiert, das war schon ein gutes Gefühl. Und nach meiner ersten Torvorlage im Polen-Spiel dachte ich: „Jetzt bist du da!“
Nun haben Sie das Problem, in Köln mitunter als Sechser eingesetzt zu werden, während Sie in der Nationalmannschaft Linksverteidiger sind. Bringt Sie das vielleicht sogar um ihren Platz im Nationalteam?
Das war noch kein Thema und ist, denke ich, kein Ausschlusskriterium für die Nationalmannschaft. Man hat in der Vergangenheit doch gesehen, dass auf der anderen Seite die Außenverteidigerposition ebenfalls von gelernten Sechsern gespielt wurde, wie etwa Emre Can oder Sebastian Rudy. Es kann sogar ein Vorteil sein, das Spiel im Zentrum zu kennen. Man hat heute als Außenverteidiger schließlich auch Räume nach innen.
Sie sprechen über Fußball sehr analytisch, lösen Sie im Spiel viel über den Kopf?
Das versuche ich auf jeden Fall. Man kann sich einige Meter sparen, wenn man richtig steht oder richtig läuft.
War das immer schon so?
Ja, ich habe immer darauf geguckt, wie Fußball gespielt wird. Mich interessiert das Spiel an sich. Ich habe für mein Freiwilliges Soziales Jahr, das ich bei uns im Verein absolviert habe, sogar die C‑Lizenz als Trainer gemacht. Da habe ich schon einen kleinen Einblick in das Trainerdasein bekommen und taktische Dinge gelernt, die man als Spieler des SV Auersmacher so nicht durchgearbeitet hätte.
Bedauern Sie es, nicht im Nachwuchsleistungszentrum gewesen zu sein, wo Sie das alles viel früher gelernt hätten?
Ich habe mich schon mal gefragt, was anders gelaufen wäre. Aber ich möchte meine Jugendzeit nicht eintauschen, wenn ich ehrlich bin, weil ich nicht nur auf Fußball fixiert war.
In der Rückschau überwiegt für Sie der Vorteil, mit den Freunden im gewohnten Umfeld gewesen zu sein, den Nachteil, nicht früher mehr Fußball gelernt zu haben?
Auf jeden Fall!
Inzwischen sind Sie zwar Fußballprofi, aber weiterhin nicht komplett auf Fußball fixiert. Wie viel Zeit und Engagement wenden Sie für Ihr BWL-Fernstudium auf?
Ich versuche, beides so zu verbinden, dass nichts dem anderen schadet.
Macht Ihnen das Studium denn Spaß?
Es gibt da schon trockene Fächer, die nicht so viel Spaß machen. Andererseits hat man Berührungspunkte mit Themen, die nichts mit Fußball zu tun haben.
Brauchen Sie das denn?
Manchmal tut es echt gut.