Die schönsten Momente des Fußballs, die schlimmsten Momente des Fußballs und der WM-Start: Das waren die Monate April bis Juni.
April
Aufreger des Monats: Elfmeterpfiff in der Halbzeitpause
Es war der 30. Spieltag und die Abstiegskandidaten Mainz und Freiburg taten sich extrem schwer, vor das gegnerische Tor zu kommen. Die logische Konsequenz war ein tristes 0:0 zur Halbzeit – oder wie es Bela Rethy ausdrücken würde: „Ein Spiel, das von seiner Spannung lebt“. Als sich die Fans im Mainzer Stadion beim Halbzeitpfiff erhoben, erwartete keiner, dass heute noch was Historisches passieren würde. Und schon gar nicht in der bereits abgelaufenen ersten Halbzeit. Doch dann pfiff Guido Winkmann plötzlich auf Elfmeter. In der Halbzeitpause. Wie wie sich herausstellte, hatte Winkmann ein Handspiel kurz vor der Pause übersehen. De Blasis verwandelte den Elfer und brachte die Mainzer in der Halbzeitpause in Führung – und zwar komplett regelkonform. Der neue Halbzeitstand war trotzdem zu absurd, um es den von den Bier- und Wurstständen wiederkehrenden Fans erklären zu können. Die Freiburger brachten das VAR-Chaos beim nächsten Heimspiel mit einem Banner auf den Punkt: „Bitte bleiben Sie in der Halbzeit auf ihren Plätzen. Sie könnten ein Tor verpassen.“
Spieler des Monats: Riedle Baku
Wenn Jungs von ihrer Fußballkarriere träumen, können sie es sich nicht schöner erträumen als das, was Riedle Baku im April 2018 erlebte. Bakus Fußballkarriere zündete an einer Autoraststätte irgendwo im Nirgendwo zwischen Mainz und Freiburg. Er war gerade mit der Mainzer U23 auf dem Weg zu einem Spiel, als ihm mitgeteilt wurde, dass er sofort aus dem Bus steigen und nach Mainz umkehren sollte. Sandro Schwarz hatte den 20-Jährigen kurzerhand in den abstiegsbedrohten Bundesligakader berufen – und das auch noch gegen den Champions-League-Aspiranten RB Leipzig. In Mainz angekommen, erhielt Baku eine schnelle taktische Einweisung und absolvierte sein erstes Bundesligaspiel, das er sogar mit einem Treffer krönte. Seine Leistung war so überzeugend, dass er eine Woche später in Dortmund wieder in der Startelf stand. Auch hier schoss er ein Tor und sicherte Mainz durch den 2:1‑Auswärtssieg den Klassenerhalt.
Spiel des Monats: Liverpool – Manchester City (3:0)
Die Auslosung zum Viertelfinale der Champions League 2018 war eine dieser Gegebenheiten, die jeden Journalisten dazu verleiten, einen Epos zu konstruieren, der weit über das Sportliche hinaus geht. Jürgen Klopp, der menschennahe, emotionale und authentische Publikumsliebling gegen Pep Guardiola, das verkopfte Taktik-Genie. Die konstruierten Geschichten rund um das große Viertelfinale hätten eine zweitägige SkySportsNewsHD-Vorberichterstattung füllen können. Was dann auf dem Platz geschah, sprengte dann auch alle Erwartungen. Manchester City, das die Premier League mit einer unbeschreiblichen Dominanz schon im April gewonnen hatte und später die historische 100 Punkte-Marke knacken sollte, ging an der Anfield Road unter. In einer wahnsinnig unterhaltsamen ersten Halbzeit demontierte Jürgen Klopp seinen ewigen Widersacher Guardiola mit drei Toren und stand schon nach 30 Minuten so gut wie im Halbfinale. Ein denkwürdiger Moment des letzten Jahres. Den man nicht mal konstruieren musste.
Video des Monats: Eigenlob stinkt
Torjubel sind ja oft genug einfach nur dämliche Egotrips. Der Jubel des Rumänen Stefan Blanaru auch. Und doch ist bei ihm irgendwie alles anders. Irgendwie geil.
Mai
Aufreger des Monats: Der Abstieg des HSV
Im Mai 2018 stieg nach 54 Jahren das letzte Gründungsmitglied der Bundesliga ab. Als es dann tatsächlich soweit war, als der HSV zum ersten Mal seinen Kopf nicht in letzter Minute aus der Abstiegsschlinge ziehen konnte, gab es nicht den Schockzustand, den viele vom Bundesligadino erwartet hätten. Ausgerechnet jetzt, in der dunkelsten Stunde der von vielen Höhen und Tiefen geprägten Vereinsgeschichte, hielt der Verein ungewohnt solidarisch zusammen. Und der Klub, dem tausende Deutsche hämisch den Abstieg gewünscht haben, wird mit Vorfreude zurück erwartet. Denn irgendwie gehören sie einfach dazu.
Spieler des Monats: Loris Karius
Nach einem Champions-League-Finale die Silbermedaille entgegenzunehmen, gehört zu den enttäuschendsten Momenten größter Fußballer. Und trotzdem kann sich keiner dieser Spieler ausmalen, was in Loris Karius vorgegangen sein muss, als er im Mai diesen schweren Gang zum Podium antrat. Denn dieser Siegerehrung sind zwei grausame und unerklärliche Aussetzer vorangegangen, die für Liverpool und für Karius vor allem eines waren: Endgültig. Liverpools Taum vom Champions-League-Sieg und Karius‘ Zeit bei Liverpool waren spätestens nach dem zweiten Patzer beendet. Klopp verpflichtete im Sommer mit Alison Becker den teuersten Torwart aller Zeiten und verlieh Karius in die Türkei. Der versucht jetzt Abseits der großen Bühne wieder auf die Beine zu kommen. Was er mit seiner Silbermedaille gemacht hat, werden wie wohl nie erfahren.
Spiel des Monats: Eintracht Frankfurt – Bayern München (3:1)
„Bruder, schlag der Ball lang!“. In einer Mannschaft wie einer Büffelherde, konnten diese Worte von Ante Rebic nur an eine Person gerichtet sein: An Kevin-Prince Boateng, den Anführer und Personifikation der Büffelherde. In Deutschland in Ungnade gefallen und in Frankfurt auferstanden, schloss Boateng in diesem Sommer den Frieden mit seinem Heimatland und sich selbst. Und das, mit dem größtmöglichen Abgang, den man sich wünschen könnte: Am Ende einer weiteren tristen Bundesligasaison, in der der FC Bayern schon wieder Anfang April mit einer gähnenden Dominanz Meister wurde, waren die Erwartungen an ein Pokalwunder gering. Dass Eintracht Frankfurt als Underdog, mit einem bereits an Bayern München verlorenen Trainer, dieses Finale gewann, ist die Sensation des Fußballjahres. Boateng antwortete: „Bruder, ich schlag der Ball lang!“. Fußball kann so einfach sein.
Video des Monats: Immer noch Bog!
Bogdan Glabicki wurde 1947 geboren, ist jetzt 71 Jahre alt – und traf im Mai beim 8:2‑Sieg seiner Truppe Hutnik Huta Czechy gegen Sep Zelechow. Noch toller: Danach gab es einen schönen Oldschool-Hüpfer-Jubel.
Juni
Aufreger des Monats: Deutschland fliegt schon in der WM-Gruppenphase raus
„Kann in Watutinki der Geist von Campo Bahia aufkommen?“, fragte Jessy Wellmer Philip Lahm am Tegernsee. Es war die am häufigsten gestellte Frage im WM-Vorfeld. Nicht etwa ob der Kader zu alt sei oder ob mit der Angelegenheit um Özil falsch umgegangen worden sei. Nein, im journalistischen Interesse lag das WM-Quartier. Zu dem Zeitpunkt konnte man noch nicht ahnen, dass nur zwei Wochen später das Unvorstellbare wahr wurde und die deutsche Mannschaft, die sonst mit einer fast absurden Selbstverständlichkeit sechs Turniere in Folge immer mindestens ins Halbfinale geschwebt war, als Gruppenletzter ausscheiden sollte. Als die deutsche Mischung aus Weltmeistern und Confed-Cup-Siegern zwei Wochen später fassungslos auf dem Rasen saß, kannte man die Gründe für das Debakel: Ein überaltertes Team, Grüppchenbildung und nicht zuletzt zahllose Fortnite-Abende, die Bierhoff dazu bewegte, das WLAN in Watutinki abzuschalten. Mit anderen Worten: „Nein Jessy Wellmer, der Geist von Campo Bahia ist nicht aufgekommen. Aber ob das an Watutinki lag, ist die andere Frage.“
Spieler des Monats: Luka Modric
Am zweiten Spieltag der Gruppenphase zeigte Kroatien, dass sie zu den besten Nationen der Welt gehören. Beim überraschenden 3:0 gegen den Vizeweltmeister Argentinien stach dabei vor allem ein Mann heraus: Luka Modric. Auch wenn ihm das extravagante Auftreten von Cristiano Ronaldo oder die hinreißenden Solos von Lionel Messi fehlen, ist Luka Modric der Mann der Weltmeisterschaft. Der schüchtern wirkende Kroate leitete fast im Unsichtbaren das Spiel seiner Mannschaft und entdeckte dazu auf der großen Bühne ungeahnte Torgefahr. So ist es nicht zuletzt sein Verdienst, dass sich die Kroaten, die vor der WM nur einige wenige Fußballfachmänner auf ihrer Favoritenliste hatten, bis ins Finale durchkämpften.
Spiel des Monats: Frankreich – Argentinien (4:3)
Es war ein Spiel der Giganten: Zwei Weltmeister mit berechtigten Hoffnungen auf den WM-Sieg. Und obwohl das Spiel Spannung, Hingabe und unglaubliche Traumtore auf beiden Seiten bot, ging es als endgültige Geburtsstunde des Weltstars Kylian Mbappé in die Geschichtsbücher ein. In diesem unfassbar aufregendem WM-Spiel war schon nach zwölf Minuten klar, welcher Spieler der entscheidende Faktor sein wird: Nach Mbappes 70-Meter-Solo, mit dem er selbst mit Ball am Fuß bei der Leichtathletik-Europameisterschaft nicht negativ aufgefallen wäre, brachte ihn Rojo im Strafraum zu Fall. Er hatte keine andere Wahl – Mbappe war so schnell, er wäre wohl ohne Mühe mit Ball ins Tor gesprintet. Selbst ausführen durfte er den Elfmeter nicht. Kein Problem, denn in der zweiten Halbzeit entscheiden seine zwei Traumtore das Spiel.
Video des Monats: Weltmeisterliches Konfliktpotenzial
Die Unachtsamkeit, eine Hochzeit auf den Abend eines WM-Spiels zu legen, birgt ein gewisses Konfliktrisiko. Dieser argentinische Fußballfan kann nicht verstehen, wie man bei der Planung eines so wichtigen Tages, nicht nachforscht, ob er mit einem WM-Gruppenspiel, wie Deutschland gegen Schweden kollidiert. Im daraus resultierenden Beziehungsstreit mit seiner Freundin spricht er so manchem Fußballfan aus der Seele.