Zum 70. Geburtstag von Paul Breitner erinnern wir an eine ganz besondere Begegnung aus dem Jahre 1973: Rio Reisers Band Ton Steine Scherben trifft den jungen Fußballstar. Flötist Jörg Schlotterer erzählt eine Geschichte von Trainingsanzügen und Zigarillos.
Rio Reiser hatte nie ein besonderes Bewegungstalent. Schon als Kind war er lieber drinnen als draußen, ein Stubenhocker, eine Leseratte. Er war damit die Ausnahme in unserer fußballbegeisterten Band Ton Steine Scherben. Fußball bestimmte unseren Lebenstakt. Lanrue, Kai, Nikel und ich gingen jeden Tag kicken. In unserer Wohngemeinschaft in Berlin wurde so gekocht, dass genau zum Anpfiff der Fernsehübertragung das Essen auf dem Tisch stand. Rio nervte das natürlich.
Als 1972 endlich unser neues Album „Keine Macht für Niemand“ fertig war, schickten wir die Langspielplatte voller Euphorie und aus purer Sympathie berühmten Menschen, die uns etwas bedeuteten. Heinrich Böll bedankte sich für unser Geschenk postwendend mit seinen gesammelten Werken. Und eines Morgens, wir hatten keine Klingel, klopfte es an unserer Tür: Paul Breitner! Im Trainingsanzug des FC Bayern! „Ja, Servus. Ihr habt mir hier diese Platte geschickt, gell? Und jetzt wollte ich mal wissen, was ihr für Leute seid.“ – „Ja, Paul, komm doch rein.“
Ich setzte einen Tee auf, und wir machten es uns auf dem Fußboden bequem. Ich weiß nicht, ob ich einen Joint baute, wahrscheinlich schon, Paul Breitner zündete sich zumindest gleich ein Zigarillo an. Ich erzählte ihm alles über die Band, die WG, unser Leben in Berlin. Paul berichtete aus der bunten Welt des Fußballs.
Die Scherben schnorren Breitner an, Reiser schläft weiter
Wir diskutierten über Mao Zedong, dann sagte er: “Wäre ich kein Fußballer geworden, ich würde heute nichts Besonderes sein.“ Dieser Satz stand damals sinnbildlich für Paul Breitner: ein kluger, junger Mann, keine Schablone, die Mao liest, sondern ein sympathischer Freak, so wie wir, mit seinen langen Haaren und wilden Koteletten – und ein phantastischer Fußballer. Einige Wochen später, wir waren mal wieder völlig abgebrannt und hatten nichts mehr zu essen, sah ich Paul Breitner in München wieder. Von Zeit zu Zeit mussten wir bei Leuten, die zu viel Geld hatten, schnorren, um über die Runden zu kommen. Ich fragte ihn also, ob er uns 10.000 D‑Mark leihen könne. Breitner war einverstanden. Doch dann verlief die Sache im Sande. Wir waren ihm ein wenig unheimlich geworden, forderten wir doch politische Aktionen von ihm als medienwirksame Person in Zeiten des Vietnam-Kriegs. Und so behielt er sein Geld, das er von uns wahrscheinlich eh nie wiedergesehen hätte.
Rio bekam übrigens von dem prominenten Besuch in unserer Wohnung nichts mit. Als der Fußballstar bei uns an der Tür klopfte, träumte er noch von einer besseren Welt. Ich ließ ihn schlafen.
Aufgezeichnet von Benjamin Apitius