Liam Boyce spielte einst eher erfolglos für die zweite Mannschaft von Werder Bremen. Jetzt wurde er Torschützenkönig in Schottland, obwohl er weder für Celtic noch für die Rangers spielt. Die Geschichte eines außergewöhnlichen Wandels.
Es gehört zu den großen Mysterien des Fußballs, dass Spieler nach einem Vereinswechsel plötzlich wie ausgetauscht wirken. Manche kriegen auf einmal kein Bein mehr auf den Boden, andere blühen richtig auf. Nehmen wir nur mal Bas Dost.
Der Holländer war in seinem letzten Jahr in Wolfsburg so gründlich aufs Abstellgleis geraten, dass ihn der Klub nicht mal verabschiedete, als Dost Ende August nach Portugal floh, zu Sporting Lissabon. Dort wurde er in der gerade abgelaufenen Saison nicht einfach nur Torschützenkönig, sondern deklassierte die Konkurrenz: Dost gelangen 34 Tore in ebenso vielen Spielen, der zweitbeste Schütze traf nur 19-mal.
Staunen in Bremen
Interessanterweise ist Dost nur einer von mehreren Spielern, die sich bei einem deutschen Klub nicht durchsetzen konnten und jetzt gerade in einer europäischen Liga Torschützenkönig geworden sind.
So hat der Finne Teemu Pukki, der in seinen zwei Jahren bei Schalke nie aus der Rolle des Ersatzmannes herauswuchs, die reguläre Saison in Dänemark als erfolgreichster Goalgetter beendet (auch wenn er in den jetzt laufenden Playoffs zur Meisterschaft vom jungen Marcus Ingvartsen überholt wurde).
Noch überraschender ist die Wandlung von Marcus Berg. Der Schwede war vier Jahre beim HSV unter Vertrag, konnte aber weder in Hamburg überzeugen noch während seiner Ausleihe zu PSV Eindhoven.
Von Zero to Hero
Vor einigen Wochen nun krönte sich Berg mit 22 Treffern im Trikot von Panathinaikos zum Torschützenkönig der griechischen Super League. Noch mehr als in Wolfsburg, Schalke und Hamburg dürfte man derzeit aber in Bremen staunen. Denn gleich zwei Kicker, die nicht mal in Werders zweiter Mannschaft Bäume ausrissen, machen international von sich reden.
Da wäre zum einen der Ungar Marko Futacs. Er wechselte 2009, kurz vor seinem 19. Geburtstag, nach Bremen, wo vieles gegen ihn lief. Zuerst musste er lange auf seine Spielerlaubnis warten, dann wurde er nur bei der Reserve eingesetzt und zwischendurch an den Zweitligisten Ingolstadt ausgeliehen.
An diesem Wochenende nun wurde er zum Torschützenkönig in Kroaten. Mit sechs Treffern allein in den vergangenen beiden Spielen landete der Stürmer vom Tabellendritten Hajduk Split schließlich bei 18 Treffern aus 36 Spielen.
Womit wir bei der wohl verblüffendsten Tormaschine des Saison 2016/17 sind. Es ist schon erstaunlich genug, dass ein Spieler die Torjägerkanone in Schottland erringt, obwohl er nicht für Celtic spielt. Aber dass dieser Spieler Liam Boyce heißt, ist nahezu unglaublich.
Der heute 26 Jahre alte Nordire ging 2010 vom Belfaster Klub Cliftonville FC zu Werder Bremen II, nachdem sich ein Wechsel nach Fürth zerschlagen hatte. Boyce unterschrieb in Bremen zwar einen Vertrag über zwei Jahre, doch da er nur auf der Ersatzbank hockte, spielte er schon im Sommer 2011 bei verschiedenen Klubs vor.
Eine Odysee von Niedergang
Der junge Mann konnte weder den englischen Viertligisten Oxford United noch den FC Bologna von sich überzeugen. Im Oktober 2011 löste Boyce seinen Vertrag bei Werder auf und absolvierte ein Probetraining in Kilmarnock. Auch das verlief unbefriedigend und so kehrte Boyce heim, schloss sich wieder Cliftonville an und kickte in der beschaulichen nordirischen Liga mit ihrem Zuschauerschnitt von knapp 1.000 Fans.
Am vergangenen Wochenende spielte Liam Boyce nicht für Kilmarnock, sondern in Kilmarnock. Er trug das Trikot von Ross County, dem Verein aus der Kleinstadt Dingwall in den Highlands, der sich seit fünf Jahren auf geheimnisvolle Weise in der ersten Liga Schottlands hält.
Kilmarnock ging in Führung, doch kurz vor der Pause konnte der Torwart der Gastgeber einen Schuss nicht festhalten und Boyce nickte den Ball aus einem Meter Entfernung ins Netz. Mitte der zweiten Hälfte verschätzte sich ein Verteidiger von Kilmarnock bei einem langen Ball, Boyce kam ans Leder – und überlupfte von der Strafraumgrenze den Torwart.
Junkfood bei Werder
Es war das 48. Saisontor für Ross County – und Nummer 23 für Boyce. Es sicherte seinem Team den Sieg und ihm selbst die Torjägerkrone in Schottland. Hinter ihm liegen gleich drei Spieler von Celtic, doch keiner war so effizient wie Boyce, der im Verlauf der Saison nur 55-mal aufs gegnerische Tor schoß, was bedeutet, dass 42 Prozent seiner Versuche im Netz landeten.
Wie ist so eine Wandlung möglich? Countys Co-Trainer Billy Dodds sagte der BBC: „Er bekam seine Chance bei Werder Bremen, weil er ein geborener Torjäger ist. Aber er saß da in seinem Hotel und hat wahrscheinlich Junkfood gegessen. Er kam zurück und hat sich dann mit Sportwissenschaft beschäftigt. Er hat Gewicht verloren, er ist kräftiger geworden, er ist spritziger. Und das hat einen Top-Spieler aus ihm gemacht.“