Maulwürfe, Suff-Gerüchte, Gehaltszettel – Bayern wie in alten Zeiten. Eigentlich aber ist jeden Tag Zirkus an der Säbener Straße. Ein Besuch bei einem Bundesliga-Mythos.
Für Alexey Makeev sind die Rasenplätze an der Säbener Straße das, was Wimbledon für Boris Becker war. Er trägt ein blassrosa Trainingshemd, schwarze Shorts, weiße Stutzen mit Schienbeinschonern, Stollenschuhe und einen zerschlissenen gelben Lederball unterm Arm. Seine rote Sporttasche hat er unter der Holztribüne am Haupttrainingsplatz verstaut. Im Fußballerdress schlendert er zwischen den Trainingsbesuchern umher, grüßt Ordner, fängt hier und da ein Gespräch an oder ruft die Spieler auf dem Rasen wie gute alte Bekannte beim Vornamen.
Der „Forrest Gump von der Säbener“
Alexey stammt aus Kiew. Alles, was sie hier sonst noch von ihm wissen, ist, dass er bei seiner Mutter am Tierpark wohnt und schon seit sieben Jahren jeden Tag zum Training der Bayern-Profis kommt. Wenn die Spieler Schussübungen machen, steht er hinten auf dem Kunstrasenplatz und knallt seine Pille aufs leere Tor. Bittet Fitnesstrainer Lorenzo Buenaventura zum Stretching, lehnt sich der Ukrainer an die Bande, deutet Kniebeugen an und kreist mit den Hüften. Auf der Geschäftsstelle nennen sie ihn den „Forrest Gump von der Säbener“.
Weil er ein Sonnenschein ist und unermüdlich trainingsgeil. Egal ob es stürmt, schneit oder der Sommer es – wie an diesem Tag – fast ein wenig zu gut meint. Im FCB-Kosmos, wo seit jeher nur ein schmaler Grat die Grenze zwischen Normalität und Wahnsinn markiert, gibt Alexey den treuen Hofnarr. Lebendes Inventar wie so viele hier in Giesing, wo Kohorten von schillernden Weltstars im Alltag auf Normalgröße zusammenschnurren.
Die stille Hoffnung auf Sternenstaub
Ein weiteres Original neben all den Urviechern oben in der Chefetage. In Alexey Makeev verbindet sich die Hingabe des Fans mit der Überzeugung, längst Teil dessen zu sein, was sich jenseits der Werbebanden abspielt. Als sei vom Sternenstaub, der einen Bayern-Kader umschließt, ein wenig auf ihn abgefärbt. Und er ist längst nicht der Einzige, den diese stille Hoffnung an die Säbener lockt.
Es ist Anfang Juli. Der FC Bayern ist erst vor ein paar Tagen wieder ins Training eingestiegen. Obwohl längst nicht alle Nationalspieler aus dem Urlaub zurück sind, haben allein die 15 Profis, die dort schwitzend auf dem Rasen Koordinationsübungen machen, einen Marktwert von rund 200 Millionen Euro. Wenn Anfang August die Sommerferien beginnen, säumen an manchen Tagen mehr als 5000 Zuschauer das Gelände.
Zahllose Autos parken auf der schmalen Allee in zweiter Reihe. Und die Sightseeingbusse, zu deren fester Route das Klubgelände längst gehört, kommen kaum noch durch. An Hundstagen wie diesen aber ächzt selbst ein Rekordmeister. Nur knapp 200 Besucher sind morgens um 9 Uhr raus nach Giesing gekommen, um der Mannschaft beim Fünf gegen Zwei zuzuschauen. „Nurr eine Ballberührung, sswei …“, ruft Pep Guardiola. Die Besucher spitzen die Ohren.
Fleischige Grantler und der Stammtisch
Während bei anderen Klubs die Kommentare der Meckerrentner als stetes Grundrauschen ein Training begleiten, herrscht an der Säbener andächtige Ruhe. Kurzes Gelächter, als ein Rasensprenger losgeht und David Alaba von einer Wasserfontäne getroffen wird. Dann wieder Stille wie vorm Matchball auf dem Center Court. Das von Bäumen umrankte Sportplatzidyll besitzt alle Charakteristika eines Epizentrums für bajuwarische Lebensart.
Mitten auf der Anlage hat ein Biergarten geöffnet. Die zehn Ordner, die das Training bewachen, sind keine stiernackigen Security-Hools, sondern ältere Herren mit roten FCB-Kappen, die sich ein paar Euro zur Rente dazuverdienen. Parkbänke stehen auf den Grünstreifen unter Laubbäumen. Die Kiebitze mit dem Gamsbart am Hut, die fleischigen Grantler und den Schafkopfstammtisch sucht man hier dennoch vergeblich.
Die Präsenz der Stars überstrahlt alles
Die Motive, eine Trainingstunde des FC Bayern zu besuchen, unterscheiden sich ganz offenbar von denen bei der Konkurrenz. Bei anderen Bundesligisten kommen die Zuschauer nicht zuletzt, um sich ein Bild des Leistungsstands der Mannschaft zu machen. An der Säbener Straße begutachten die Menschen keine sportliche Übungseinheit, sondern erleben das Dargebotene wie Teenager das Konzert einer Boygroup, bei dem es nicht mehr um Musik geht, sondern die Präsenz der Stars alles andere überstrahlt.
Hier schweigen die Zuschauer, wenn die Bälle rotieren, weil sie auf exklusiven Einblick in eine Welt hoffen, die sie sonst nur aus dem Fernsehen und den Boulevardmedien kennen. Wie Zoobesucher gespannt darauf warten, dass der Elefant mit seinem Rüssel Wasser aus der Pfütze trinkt und in die Luft bläst, hoffen die Gäste hier darauf, intime Gesprächsfetzen vom Feld aufzuschnappen.