Schön: Drittligist Cambridge United kegelt den neureichen Millionen-Klub Newcastle United aus dem FA Cup. Noch schöner: Trainer Mark Bonner ist in Cambridge geboren und arbeitet seit etlichen Jahren im Verein. Professionell Fußball hat er aber nie gespielt.
Dimitar Mitov fiel auf die Knie. Mit geballten Fäusten schrie der Keeper seine Freude Richtung Himmel. Wenige Meter von ihm entfernt stapelten sich seine Mitspieler und die Betreuer in einer Jubeltraube. Gelbe Rauchschwaden, die aus dem Gästeblock emporstiegen, begleiteten die Szenerie. Gerade eben war im St. James’ Park eine Sensation über die Bühne gegangen: Drittligist Cambridge United hatte das neue Wannabe-Schwergewicht Newcastle United aus dem FA Cup geschmissen. Und Mark Bonner, der Trainer des Underdogs? Der hatte nicht viel Zeit zum Feiern. Er musste zügig das Stadion verlassen.
Während es für sein Team und den mitgereisten Anhang im Freudentaumel zurück nach Cambridge ging, war der 36-Jährige schon auf dem Weg nach Burton. Mit einigen weiteren Trainern aus Großbritannien absolvierte er im dortigen St. George’s Park einen zweitägigen Lehrgang, um bald seine UEFA Pro-Level Lizenz zu erhalten. „Das Wochenende war bereits in den Kalender eingetragen“, sagt Bonner. „Das ist Fußball, nicht wahr? Man geht ziemlich schnell zum nächsten Schritt über.“ Für ihn allerdings kein Problem, dass er nicht ausgiebig mit Fans und Anhang feiern konnte: „Der schönste Moment war für mich, etwas entfernt zu stehen und all das ein wenig zu beobachten.“
Mark Bonner ist in Cambridge geboren und aufgewachsen. Über mehrere Jahre war er im Jugendbereich des Vereins tätig, seit März 2020 ist er Trainer der ersten Mannschaft – und das überaus erfolgreich. Bonner rettete den Klub in seinem Premierenjahr vor dem Abstieg aus der vierten englischen Liga. „Mein erstes Match war ein Heimspiel gegen Colchester United. Wir haben zwei späte Tore erzielt und damit am Ende 2:1 gewonnen. Das Stadion ist explodiert“, erzählt er. „Das war der Startpunkt für alles, was danach kam.“
Was danach kam? Nach sieben Jahren Viertklassigkeit gelang Cambridge United in der Folgesaison überraschend der Aufstieg in die League One – mit einem Trainer, der zu seiner aktiven Karriere weit von der League One entfernt gewesen ist. Wenn man es überhaupt aktive Karriere nennen darf. Denn Bommer hat nie professionell die Fußballschuhe geschnürt.
„Selbst gespielt zu haben, hat ohne Zweifel seine Vorteile“, sagt er selbst. Ganz ohne die Erfahrung als Profifußballer gehe es deshalb auch nicht. Sein Trainerteam habe Bonner deshalb auch aus Leuten zusammengestellt, die bereits erfolgreiche Karrieren an der Seitenlinie oder auf dem Spielfeld vorweisen können. „Ich umgebe mich mit Leuten, die die Fähigkeiten und Erfahrungen besitzen, die ich nicht habe.“ Seine Spieler jedoch würden respektieren, dass ihr Trainer sie versteht, ohne jemals auf demselben Niveau gespielt zu haben.
Dass Mark Bonner nie Fußballprofi war, tut seinem Erfolg bei Cambridge United jedenfalls keinen Abbruch. In Fankreisen ist der Trainer aber nicht nur wegen der positiven Resultate beliebt. „Die Anhänger sehen, dass mir das Team, der Klub und die Stadt wirklich am Herzen liegen“, sagt er. „Wahrscheinlich ist da auch eine unmittelbare Verbundenheit, weil ich hier her komme.“
Als Kind war Mark Bonner selbst oft im Abbey Stadium, der Heimstätte von Cambridge United. Sogar als Dauerkartenbesitzer. Doch als Fan des Klubs sieht er sich heute nicht mehr. Das müsse man differenzieren, findet er. Fans würden zwischen den Extremen schwenken. Zu emotional, zu unberechenbar. Er wiederum müsse eine emotionalen Ruhe haben, um unter Druck die richtigen Entscheidungen für den Klub treffen zu können. Deshalb sagt Bonner: „Der Verein bedeutet mir viel, aber ich würde mich nicht als Fan bezeichnen.“
Fans hat Cambridge United auch ohne Mark Bonner genug. 5.000 von ihnen hatten die Reise nach Newcastle angetreten. Sie erlebten den größten Tag in der jüngeren Vereinsgeschichte. Mit 1:0 rang der Underdog den turmhohen Favoriten aus der Premier League am Ende nieder. „Die größte Aufgabe war, sicherzustellen, dass die Spieler nicht eingeschüchtert sind, denn für die meisten von uns war es das erste Mal, in so einem Stadion mit solch einer Atmosphäre zu spielen.“ Deshalb habe er seine Mannschaft auch nicht mit zu viel Informationen überladen wollen. „Man muss die Spieler dann einfach spielen lassen und ihnen vertrauen.“
Das Vertrauen zahlte die Mannschaft ihrem Trainer zurück. Bonners Zweifel legten sich allerdings erst, als das Spiel auch wirklich zu Ende war. „Bis zum Schlusspfiff war ich nicht überzeugt“, sagt der Trainer. Und Sekunden vor eben jenem wäre es tatsächlich geschehen: In der 94. Minute kam Newcastle noch einmal zum Eckstoß. Im Strafraum schraubte sich Newcastles Angreifer Joelinton in die Luft, setzte einen wuchtigen Kopfball aufs Tor, den Torwart Dimitar Mitov wie ein Achtarmiger aus der Luft fischte. Wenige Augenblicke später war Schluss.
Und damit reichte der goldene Treffer von Stürmer Joe Ironside, um der Millionen-Truppe von Newcastle um Neuzugang und Debütant Kieran Trippier eine nicht zu erwartende Niederlage zuzufügen. „Das Level des Gegners war deutlich höher, als wir das gewohnt sind und wir sind damit fantastisch umgegangen.“
Im Anschluss an das Spiel erhielt Cambridges Trainer zahlreiche Glückwünsche. Das Telefon habe in den letzten Tage nicht aufgehört zu klingeln, erzählt er. Für den Klub sei der Sensationssieg eine wundervolle Erinnerung. Gleichzeitig sei die ganze Presse und die Aufmerksamkeit „gut für das Profil des Klubs“.
Anfang Februar kann Mark Bonner mit seiner Mannschaft nun den nächsten Schritt im FA Cup gehen und den Sieg gegen Newcastle vergolden. Gegner ist dann der Zweitligist Luton Town. „Da sind wir wieder der Underdog und müssen Außergewöhnliches leisten, um weiterzukommen“, so Cambridges Trainer, zeigt sich aber optimistisch: „Wir haben ein Heimspiel in einem Lokalderby, das Stadion wird ausverkauft sein und wir werden unser Bestes geben.“ Mark Bonner wird dann erneut versuchen, für eine Überraschung zu sorgen. Diesmal dürfte er sich den Kalender freihalten für eventuelle Feierlichkeiten nach Spielschluss.