Heute wird Uwe Rösler 55 Jahre alt. Weil er als Spieler in der Bundesliga keinen Anschluss fand, wechselte er Mitte der neunziger Jahre zu Manchester City – und entfachte einen ungeahnten Hype um deutsche Fußballprofis in England.
Gleich wird die Maine Road explodieren.
70 Minuten sind im Manchester-Derby gespielt und City liegt mit 1:2 hinten. Uwe Rösler, der schon im letzten Spiel gegen die Bolton Wanderers nur auf der Bank saß, macht sich für seine Einwechslung bereit. Ein Raunen legt sich über das Stadion: „Oooo-veyh!“ Rösler sprintet sofort los, er will hinein ins Geschehen, will beweisen, dass es ein Fehler von Alan Ball war, ihn in diesem Spiel draußen zu lassen. „Oooo-veyh!“ Wenige Sekunden später hat Rösler seine erste Ballberührung, Tempo auf links, „Oooo-veyh!“, am Sechzehner ein kurzer Blick und dann der angedrehte Flachschuss mit rechts ins lange Eck – 2:2. Wenn das Bild stehen würde, es sähe aus, als platze ein riesiger hellblauer Ballon hinter Peter Schmeichels Tor. Doch das Bild flackert: Uwe Rösler, der Stürmer, Ästhet des Jubelns, drückt seinen Finger immer wieder auf den Namen über seiner Trikotnummer 28: Rosler. Direkt vor ihm Alan Ball, der unbeliebte Trainer. Wenngleich sein Spieler getroffen hat, taumelt er nun wie ein Boxer in der letzten Runde.
Uwe Rösler: Ein Treter, der das Tor nicht trifft?
Die Moss Side, der einstige Arbeiterbezirk drei Kilometer südlich des Stadtkerns von Manchester, war eigentlich nie ein Ort für Magie. In den neunziger Jahren lebten hier über 50 Prozent Migranten, das Waffen- und Drogengeschäft florierte, das Viertel ist bis heute eines der ärmsten des Landes. Dennoch hatte das harte Pflaster für den ehemaligen DDR-Nationalspieler Uwe Rösler von Beginn an etwas Besonderes. Der soziale Raum war klar definiert und verstellte sich nicht durch seine Fassaden. Alleine der Weg zum Stadion, vorbei an den immergleichen Häusern, durch die rissigen Straßen, und dann die letzten Meter gemeinsam mit den Fans, die ihm auf die Schulter klopften, während er in der Kabine verschwand und sie den Weg zur Kurve einschlugen. „Viele meiner Freunde sagten später: ‚Mensch, Uwe, hier sieht ja ein Haus aus wie das andere.‘ Und sie hatten recht, Moss Side war keine Luxusgegend, doch ich war durch die Jahre in der DDR nichts anderes gewöhnt, ich mochte diesen Arbeitercharme“, sagt Rösler heute.
Als Uwe Rösler seinen Vertrag an der Maine Road unterschrieb, nahm kaum jemand Notiz davon. Im März 1994 war er im europäischen Fußball ein Nobody – ein Verlierer der Wendejahre. Nach drei guten Spielzeiten in Magdeburg hatte sich die Bundesliga für ihn als Scheinidyll entpuppt: Sie glänzte nach Außen, doch sie wirkte mit ihrer Cliquenwirtschaft im Inneren wie der konkrete Gegenentwurf zum DDR-Fußball, wo das Kollektiv zählte. Sinnbildlich für diese Zeit stehen die Zahlen aus seinem Jahr beim 1. FC Nürnberg: 22 Spiele, zwei Platzverweise, null Tore. Und dann splitterte ihm noch ein Knochen ab. Der ehemalige Topstürmer war unten angekommen – verletzt, vereinslos, und, was noch schlimmer war, ihm eilte der Ruf voraus, ein Treter zu sein, der das Tor nicht trifft.
Englands Anziehungskraft
Der Anruf seines Beraters kam unerwartet. Ein Verein aus England interessiere sich für ihn, Manchester City. Früher, noch zu DDR-Zeiten, hatte Rösler gelegentlich englischen Fußball im Westfernsehen geschaut. Freunde hatten ihm einmal eine Kassette mit englischen Fangesängen, Chants, geschenkt. Dennoch waren seine Erinnerungen bruchstückhaft: England, Mutterland des Fußballs, dort, wo die ehrliche Grätsche mehr zählt als der doppelte Übersteiger, der blutende Kopf von Terry Butcher, greisenhafte Gesichter von nie aufsteckenden Spielzerstörern wie Nobby Stiles, geniale Pässe von verrückten Offensivspielern wie George Best. England, das war mit Bildern aufgeladen und doch aufregendes Neuland. Seit Bert Trautmann, der bis in die sechziger Jahre 545 Spiele für City bestritten hatte, waren nur zwei Deutsche nach England gegangen: Matthias Breitkreutz und Stefan Beinlich wechselten 1991 zu Aston Villa.
Beinlichs Berater Jörg Neubauer war damals erstaunt über das aufkeimende Interesse der englischen Klubs an deutschen Spielern: „Noch in den Achtzigern interessierte sich die englische Liga nur für sich. Und andersherum war die Liga für Spieler vom europäischen Festland nicht attraktiv.“ Englands Fußball der Achtziger war rau, aber nicht auf eine charmante Art, der Fußball war abweisend: Es fehlte Geld an allen Ecken, die Stadien waren baufällig, 1989 ereignete sich die Hillsborough-Katastrophe, zudem erlebte der Hooliganismus seine Blüte. Noch in der Saison 1992/93 waren in der Premier League nur elf nichtbritische Spieler aktiv. Erst nach 1993, als Rupert Murdoch die englische Fernsehlandschaft umkrempelte, gewann die Premier League an Anziehungskraft.
Ein Einstand wie gemalt
Die erste Woche lief für Rösler wie gemalt: Am Sonntag landete er in Manchester, am Montag trainierte er erstmals mit der Mannschaft, und am Abend machte Rösler für Citys Reserveteam zwei Tore gegen Burnley. Zwei Tage später unterschrieb er einen Leihvertrag bis zum Ende der Saison. In den verbleibenden zwölf Ligaspielen traf Rösler fünf, in der kommenden Saison in 36 Spielen 22 Mal, am letzten Spieltag 1993/94 verhinderte er mit seinem Ausgleichstor gegen Sheffield den Abstieg, und im Januar 1995 zerlegte er Notts County mit vier Toren im Alleingang. Uwe Rösler war schnell angekommen in Manchester.