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Hin­weis: Dieser Text erschien erst­mals im Sep­tember 2018 in 11FREUNDE #203. Das Heft ist hier bei uns im Shop erhält­lich.

Bis­weilen bezieht eine beson­ders große Stunde ihre Erha­ben­heit aus über­bor­dender Scha­den­freude. Im April 2007 bei­spiels­weise, als der Bun­des­li­gist VfL Bochum wirk­lich drin­gend drei Punkte brauchte, vier Spiel­tage vor Sai­son­ende war er zwar Elfter der Bun­des­liga, aber vom Abstiegs­platz nur drei Zähler ent­fernt. Der FC Schalke 04 hin­gegen kam auf seiner end­losen Odyssee zum ersten Meis­ter­titel seit 1958 als Tabel­len­führer ins Ruhr­sta­dion, und er kam auch nicht allein. 10 000 Anhänger waren dabei, ver­mut­lich sogar 15 000, und benahmen sich wie bei einem Heim­spiel. Sie waren überall in allen Ecken des Sta­dions und leicht an ihren weißen T‑Shirts zu erkennen. Nord­kurve in deiner Stadt“ stand darauf.

Auch in der Ver­gan­gen­heit hatten die Schalker das Ruhr­sta­dion ver­schie­dent­lich quasi über­nommen und die Bochumer dabei behan­delt wie einen Knirps, dem man gön­ner­haft die Haare ver­strub­belt und ihn dann mit einem Klaps weg­schickt. Klar, der VfL Bochum ist ein ver­gleichs­weise kleiner Verein. Keiner seiner Fans würde ihn ernst­haft für den geilsten Klub“ halten und schon gar nicht der Welt“ (obwohl er es natür­lich ist), wäh­rend das in Gel­sen­kir­chen zum Grund­ver­ständnis gehört. Der VfL Bochum mag Fan­klubs in Berlin oder in Schwaben haben, in Eng­land oder Finn­land, aber ein flä­chen­de­ckender Kult ist er wahr­lich nicht. Eher erin­nert er an eng­li­sche Klubs, weil er die Stadt ver­kör­pert, wie dies auch Lei­cester City oder Derby County tun. Die meisten Anhänger des VfL kommen dem­entspre­chend aus Bochum oder aus den direkten Nach­bar­städten.

Bis das Blut in den Adern gefror

Wer diesen Klub liebt, berauscht sich nicht an seiner Größe, was das genaue Gegen­teil von Schalke ist. Doch an jenem Frei­tag­abend vor elf Jahren trieben es die Kon­quis­ta­doren aus der Nord­kurve mit ihrer Selbst­feier zu weit. Sie weckten damit eine Energie in der Ost­kurve, die den damals Königs­weißen zunächst das Blut in den Adern gefrieren ließ und sie dann lähmte. Nicht einmal der frühe Füh­rungs­treffer durch Kevin Kuranyi half Schalke, denn erst glich der geniale Zwetschge Misi­movic aus, und kurz vor der Pause erklang der Tor-Sir­taki. Der Grieche Theo­fanis Gekas hatte den VfL Bochum in Füh­rung geschossen. Der Rest war eine fana­ti­sche Ver­tei­di­gungs­schlacht auf dem Rasen mit fre­ne­ti­scher Unter­stüt­zung von den Rängen. Bochum siegte 2:1, was wichtig war im Abstiegs­kampf und Pre­mi­um­ma­te­rial für den Scha­den­freu­de­klas­siker: Ein Leben lang, keine Schale in der Hand.“ So blieb es 2007 auch des­halb, weil die Schalker ihr nächstes Aus­wärts­spiel in Dort­mund unter noch weit feind­se­li­geren Bedin­gungen ver­loren.

Jener Sieg über Schalke ist natür­lich nicht das ein­zige Spiel im Ruhr­sta­dion, das gefühlt von der Ost­kurve gewonnen wurde. Es gab in den acht­ziger Jahren Tri­umphe über Bayern oder die Lokal­ri­valen aus Dort­mund und Schalke, als noch 45 000 Zuschauer in ein Sta­dion gestopft wurden, das heute ein Drittel weniger Plätze aus­weist. Richtig war diese Redu­zie­rung, denn das Gedränge in der Ost­kurve war oft genug beängs­ti­gend, selbst wenn plötz­lich doch eine Ret­tungs­schneise gebildet werden konnte, weil einer mal ne Stange Wasser weg­stellen musste.

Ran­da­le­zen­trum

Gut roch das nicht, aber die Zeiten waren halt wilder. Die Picos“ durften weit­ge­hend unge­hin­dert über den Zaun klet­tern, wäh­rend die Spieler sich warm machten, um im Anstoß­kreis den Allah zu machen“, wie es damals hieß, wenn sehr junge Fans ihre Fahne aus­brei­teten, sich hin­k­nieten und ver­beugten, um die Gunst des Fuß­ball­gottes zu erwirken. Manchmal liefen sie dann noch vor die Gäs­te­kurve, um den Ange­reisten den Stin­ke­finger zu zeigen. Gegen den MSV Duis­burg lösten sie damit sogar mal eine Mas­sen­schlä­gerei auf dem Platz mit hun­derten Teil­neh­mern aus. Heute würde es danach Brennpunkt“-Sendungen geben, damals wun­derte sich nicht mal jemand, wenn ein Lang­haa­riger, der sich per Kutte als Mit­glied der wun­derbar benannten Ran­da­le­zen­trale Bochum-Grumme“ aus­wies, mit blu­tender Kopf­wunde auf der Treppe zum Block Q saß. Gekloppt wurde sich ansonsten eher im Bochumer Stadt­park, nur ein kurzer Umweg vom Sta­dion zum Bahnhof und im Zeit­alter des Hoo­li­ga­nismus ein beliebter Treff­punkt für alle Freunde der dritten Halb­zeit.

Ansonsten war Bochum selten ein gefähr­li­ches Pflaster. Die meisten Gäste kamen und kommen heute noch gerne, weil das Sta­dion noch eines ist und keine Arena – und das nur eine Vier­tel­stunde Fußweg vom Haupt­bahnhof ent­fernt. Gerne kamen sie aller­dings auch des­halb, weil hier oft was zu holen war. Kein Klub in der Geschichte der Bun­des­liga hat häu­figer daheim ver­loren als der VfL Bochum.

Dafür erlebte die Ost­kurve unter­wegs einige große Momente. Toll war der 6:0‑Sieg im Schalker Park­sta­dion, auf­re­gender aber noch Aachen 2002. Über 10 000 Bochumer beglei­teten ihre Mann­schaft dorthin zum letzten Sai­son­spiel. Der VfL siegte in Unter­zahl und sprang fünf Minuten vor Schluss erst­mals in der Saison auf einen Auf­stiegs­platz.

Das legen­däre erste Zweit­li­ga­spiel aller Bochumer Zeiten fand pas­sen­der­weise in Meppen statt, wo plötz­lich die Bier­bude durch die Aus­wärts­kurve tanzte. Unver­gessen bleibt auch der Trip zum Euro­pa­po­kal­spiel nach Trabzon und der Fan­ge­sang von damals: Das Schwarze Meer ist blau und weiß.“ Mehr Euro­pa­pokal war nie, denn die anderen Spiele, gegen Brügge, Ams­terdam und Lüt­tich, waren ja nicht viel weiter weg, als nach Bremen oder Stutt­gart zu fahren.

Ich glaube, dass damals etwas kaputt­ge­gangen ist“

Nur ist all das länger her, als den meisten Fans des VfL Bochum lieb ist. 2010 sind die einst­mals Unab­steig­baren“ zum sechsten Mal aus der Bun­des­liga abge­stiegen, und anders als zuvor ging es nicht direkt wieder zurück nach oben. Inzwi­schen spielt der Klub seine neunte Saison in der zweiten Liga in Folge, was mit­unter schon auf die Stim­mung schlägt.

Der VfL-Fan ist abwar­tend, er will zurück­er­obert werden“, sagt Dirk Mich­alowski, den alle Moppel“ nennen und der seit 21 Jahren Fan­be­auf­tragter des Klubs ist. Man könnte das auch so for­mu­lieren, wie Moppel das nie tun würde: Der VfL-Fan neigt dazu, leicht zickig zu sein und seine schlechte Laune zu kul­ti­vieren. Das war übri­gens schon vor der Ver­ban­nung in die Zweit­klas­sig­keit so. In der Ost­kurve gab es sogar mal hand­greif­liche Aus­ein­an­der­set­zungen ange­sichts der Frage, ob Peter Neururer noch der rich­tige Trainer für den VfL Bochum sei oder nur ein popu­lis­ti­scher Sprü­che­klopfer. Im Sep­tember 2009 mobbte das Bochumer Publikum dann den dama­ligen Coach Marcel Koller weg, weil er angeb­lich zu lang­weilig spielen ließ. Bei einem Heim­spiel gegen Mainz 05 trieb die Ost­kurve ihr Team trotz Füh­rung in die Nie­der­lage, Koller musste wirk­lich gehen. Am Ende der Saison stand zur Strafe der bis­lang letzte Abstieg. Er wurde durch ein 0:3 gegen Han­nover 96 besie­gelt, im Anschluss daran gab es Kra­walle. Ich glaube, dass damals etwas kaputt­ge­gangen ist“, sagt Dirk Mich­alowski.

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Gemeinhin unter­schätzt wird Bochum als Mode­stadt und die Ost­kurve als Hoch­burg der Styler.

Chris­toph Buck­stegen

Was genau da zer­brach, vermag er nicht zu sagen. Aber viel­leicht ahnen die meisten Fans, dass ihr Klub ein Moder­ni­sie­rungs­ver­lierer ist. Die Nach­barn aus Dort­mund und Schalke waren zwar immer schon größer, aber inzwi­schen haben sie sich wirt­schaft­lich in Gala­xien ver­ab­schiedet, die aus Bochum nur noch mit dem Tele­skop zu beob­achten sind. Weil das so ist, haben sich inzwi­schen die Fans des VfL Bochum und die von Arminia Bie­le­feld gegen­seitig als Anti­poden aus­ge­schaut, man ist schließ­lich etwa in der glei­chen Gewichts- und zumeist auch Spiel­klasse unter­wegs. Da kann man sich auf Augen­höhe schmähen und sogar kom­pli­zierte Gesänge anstimmen: Wir sahen Seu­chen, wir sahen Kriege, doch das schlimmste auf der Welt, Ost­west­falen-Idioten, scheiß Arminia Bie­le­feld.“ Nun ja, in Bie­le­feld werden sie über kom­ple­men­täres Liedgut ver­fügen.

Dabei soll hier nicht der Ein­druck einer mie­se­pe­trigen Fan­szene ent­stehen. Denn in der Ost­kurve ist durchaus Platz für Selbst­ironie im Sinne jenes wun­der­baren Satzes von Frank Goosen, der im Ruhr­ge­biet auf T‑Shirts gedruckt wird: Woan­ders is auch scheiße!“ Der Schrift­steller Goosen war einige Jahre lang im Auf­sichtsrat des VfL. Der Foto­graf und Fil­me­ma­cher Gerrit Star­c­zewski pflegt dazu das Bild der Ost­kurve als Wun­der­land der Pot­to­ri­gi­nale“ und hat da mit dem VfL-Jesus oder dem Tank­wart a. D. schräge Typen vor­zu­weisen. Über­haupt gibt es beim VfL Bochum viel Eigen­sinn, man könnte zudem sagen, dass die Ost­kurve ten­den­ziell anti­au­to­ritär ist.

Fans aller Cou­leur

Jeden­falls ist sie alles andere als straff orga­ni­siert, Fans und Fan­klubs unter­schied­lichster Hin­ter­gründe stehen hier zusammen, ohne dass irgendwer den Ton angibt. Ein Teil von ihnen ist schon vor langer Zeit in den legen­dären Block A auf der Gegen­tri­büne umge­zogen und sorgt von dort für Stim­mung, wenn es nötig ist. Dafür schweigen der­zeit die rund 150 Bochumer Ultras. Es gibt zwei Gruppen – Ultras Bochum und Mel­ting Pott – letz­tere sind eine Abspal­tung. Es ging bei diesem Schisma um die Frage, wie man sein Ultra-Leben lebt. Einig sind sich beide Gruppen aber in ihrem Schweigen. Im Oktober 2017 wurde auf der Jah­res­haupt­ver­samm­lung des Klubs beschlossen, die Fuß­ball­ab­tei­lung aus­zu­glie­dern, um Min­der­heits­be­tei­li­gungen von Inves­toren zu erlauben. Danach ver­ließen die Ultras unter Pro­test die Ost­kurve und stehen inzwi­schen still mah­nend auf der Haupt­tri­büne. Rück­kehr ist noch offen.

Dafür pflegen sie eine Fan­freund­schaft weiter, die zu den ältesten in Deutsch­land gehört – mit dem FC Bayern. Der Legende nach schützten Bayern-Fans 1972 eine Gruppe von Bochu­mern, als sie bei einem Aus­wärts­spiel in Mün­chen von Fans des TSV 1860 atta­ckiert wurden. Man besuchte sich anschlie­ßend bis in die neun­ziger Jahre gegen­seitig, dann flaute die Sache ab oder wurde zur Pri­vat­an­ge­le­gen­heit. Heute flo­riert die Freund­schaft zwi­schen den Ultras Bochum und der Schi­ckeria Mün­chen wieder. Dazu­ge­kommen ist eine kleine, aber lie­be­voll gepflegte Freund­schaft zwi­schen Bochumer Fans und denen von Lei­cester City. Bis zur mär­chen­haften Meis­ter­schaft 2016 passte sie auch des­halb, weil Lei­cester eben­falls ein Klub war, der zwar viele Jahre erst­klassig spielte, aber nie was gewann.

Wann steigt der VfL wieder auf?

Wenn man sagt, dass es in der Ost­kurve eher weniger auto­ritär zugeht, bedeutet das auch: Für offen rechte Fan­gruppen ist dort kein Platz. Zu Zeiten von HoGeSa, der rechts­ra­di­kalen Bewe­gung Hoo­li­gans gegen Sala­fisten“, sah das 2014 zwi­schen­durch mal anders aus, denn die Bri­gade Bochum“ mischte dort sehr aktiv mit. Doch dann wurde die Gruppe per Banner über die ganze Kurve ange­zählt („Gegen Stumpf­sinn im Namen des Fuß­balls“), später kam es zu einer hand­festen Aus­ein­an­der­set­zung in der Ost­kurve. Seither spielt die Bri­gade Bochum keine sicht­bare Rolle mehr.

Ins­ge­samt gilt: Die Lage ist mit­unter besser als die Stim­mung, was vor allem an diesem blöden Bun­des­liga-Phan­tom­schmerz liegt. Inzwi­schen sagen sogar Schalker und Dort­munder öfter, dass wir end­lich mal wieder auf­steigen sollten“, erzählt der Fan­be­auf­tragte Mich­alowski. Ver­mut­lich halten sie es ein­fach für char­manter, sich vom kleinen Nach­barn die Meis­ter­schaft ver­mas­seln zu lassen.