Wir bauen unsere Seite für dich um. Klicke hier für mehr Informationen.

Seite 2: Die Superfußballer im Landkreis Diepholz

Auf dem längst ver­gilbten Spiel­plan der Saison 1991/92, den ich in meinem Pri­vat­ar­chiv auf­be­wahre, findet sich für den 5. Spieltag hinter der Paa­rung FC Sulingen – TuS St. Hülfe Heede das Ergebnis in nicht mehr kind­li­cher, aber auch noch nicht erwach­sener Hand­schrift. 12:0. Ich gab mir selbst eine Note, sie steht in Klam­mern dahinter: Fünf minus. Was gegen eine Sechs sprach, weiß ich nicht mehr, wahr­schein­lich tat ich mir leid. Von heute aus betrachtet, kommt mir das, was wir damals mehr oder minder bereit­willig mit uns machen ließen, wie ein archai­scher Opfer­ritus vor. Würde ich meinen Sohn nach Sulingen fahren und gegen Stefan Rosen­thal antreten lassen? Es waren andere Zeiten. Wir hatten ja auch im Tscher­nobyl-Regen gespielt und mit Feld­steinen auf Schrot­pa­tronen gehäm­mert, die den Jägern im Wald aus der Tasche gefallen waren. Und wir lebten immer noch. Frag­würdig war nur, womit wir die geschenkten Tage ver­brachten.

Als ich vier­zehn Jahre alt war, hatte ich Angst davor, dass mein neues Moun­tain­bike geklaut wird, und vor Dr. Han­nibal Lecter. Als ich sech­zehn Jahre alt war, hatte ich Angst vor Gesichts­akne und vor meiner Chemie-Leh­rerin. Und all die Jahre hatte ich Angst vor Stefan Rosen­thal vom FC Sulingen.

Sauber! Denen haste einen ein­ge­schenkt!“

Er bekam ein Angebot vom SV Werder, hätte ins ver­eins­ei­gene Internat ziehen können. Er blieb in Sulingen und machte eine Lehre auf dem Bau, das kam ihm solider vor. In der Pause klopften ihm die Kol­legen auf die Schulter. Sauber! Denen haste einen ein­ge­schenkt.“ Ein Lokal­held, der die Schlag­zeilen des Sport­teils bestimmte. FC Sulingen siegt dank Rosen­thal. Rosen­thal schlägt TuS St. Hülfe-Heede im Allein­gang. Rosen­thal düpiert Gie­sel­mann. Gie­sel­mann beendet Kar­riere wegen Rosen­thal.

Sicher, es gab auch andere gute Jugend­fuß­baller im Land­kreis Diep­holz. Hamzi und Abbas etwa, die Dribbler vom TV Neu­en­kir­chen. Sie ver­stärkten ihre Super­fä­hig­keit, überall gleich­zeitig her­um­zu­wu­seln, noch dadurch, dass sie Zwil­linge waren. Oder Veysi von der SG Baren­burg, der als Erster einen Schnurr­bart trug. Die ziem­lich krea­tive Angabe seines Geburts­da­tums im Spie­ler­pass ermög­lichte es ihm auch, bereits in der C‑Jugend im eigenen Auto zum Trai­ning zu fahren. Er hätte uns aber auch schwin­delig gespielt, wenn er tat­säch­lich noch so jung gewesen wäre wie wir. So wie Roger vom TSV Drebber, der angeb­lich ein echter Bra­si­lianer war und ganz stil­echt mit einem weißen Sócrates-Stirn­band auf­lief. Wie mag er bloß in dieses Dorf am Rande des Moores gekommen sein, das laut einem Orts­namen-Lexikon des Sati­ri­kers Dou­glas Adams nach dem Geräusch benannt ist, das eine Murmel macht, kurz bevor sie in einer Mulde zur Ruhe kommt: Drebber? Hartmut indes, der mop­pe­lige Flü­gel­flitzer vom SV Kup­pen­dorf, ist mir nur des­halb in Erin­ne­rung geblieben, weil er Hartmut hieß.

Hartmut hatte ich im Griff, Hamzi, Abbas, Veysi und Roger ver­schwanden irgend­wann aus den Auf­stel­lungen ihrer Ver­eine, wohin auch immer. Stefan Rosen­thal und die Angst vor ihm aber blieben. Sie sind ein Leit­motiv meiner Jugend, wie ver­schwie­gene, kreuz­un­glück­liche Ver­liebt­heit, die Titel­me­lodie des Com­pu­ter­spiels Rick Dan­ge­rous“ und zu viel Deo unter den Ach­seln.

TK Angstgegner 001 RZ
Tobias Kappel

Mag sein, dass ich mir das ein­bilde, aber der alte Trai­nings­anzug, den uns das Sport­haus Hadeler beim Ein­tritt in die C‑Jugend spon­sorte (die Hose mussten wir selber bezahlen), riecht noch immer nach einer Über­dosis Cliff Hyp­notic“. Viel­leicht ist er auch mal in den Alu­koffer geraten, wenn die Mutter unseres linken Ver­tei­di­gers mit Tri­kot­wa­schen dran war. Sie vergaß es regel­mäßig. Ihr Geheim­re­zept: Koffer auf, Sprüh­stoß rein, fertig.

18 Jahre nach dem letzten Auf­ein­an­der­treffen mit Stefan Rosen­thal (es war ein 1:7) streife ich diesen Anzug wieder über und fahre die Spar­gel­straße hin­unter, am Rats­keller links ab und parke am alten Müll­eimer. Ich will wissen, ob er sich an mich erin­nert, dunkel wenigs­tens. An einen Ball nur, den ich ihm vom Fuß nahm, an einen Moment der Ver­blüf­fung: Hey, da ist ja jemand, der ver­sucht, mich zu stoppen. Ist ja putzig.

Ob auf NDR2 Bacardi Fee­ling“ läuft?

Der greise Platz­wart des FC Sulingen, der gerade ein Malz­bier in seiner Rasen­mä­her­ga­rage trinkt, beäugt mich miss­trau­isch. Wat wollen Sie denn hier? Hier is nix!“ – Guten Tag, ich bin vom Fuß­ball­ma­gazin 11 FREUNDE, ich schreibe einen Artikel über Stefan Rosen­thal.“ Er beäugt mich jetzt noch miss­traui­scher. Neu­mo­di­schen Krams.“ Ich möchte weiter aus­holen, doch er wirft seinen Mäher an.

Die Bier­bank, auf der Stefan Rosen­thal einst lun­gerte, steht noch immer da, auch der Schwenk­grill könnte der­selbe sein. Das einzig Neue ist ein Sky-Schild, das das Ver­eins­heim als Fuß­ball­kneipe aus­weist. Ich ver­suche zu lun­gern. Doch dafür ist es zu kalt, ich warte lieber im Auto auf meinen Angst­gegner. Ob auf NDR2 wohl Bacardi Fee­ling“ läuft?