Anlässlich des Tags der Amateure erzählen 11FREUNDE-Redakteure an dieser Stelle von ihrem einprägsamsten Amateur-Spiel. Den Anfang macht Christoph Biermann, der „Blitz von Elpeshof“
Itze hatte eine Frisur, mit der er es in jede Glam-Rock-Band der mittleren siebziger Jahre geschafft hätte. Die Haare einerseits so aufgestellt wie später Mike Werner von Hansa Rostock, das jedoch in Kombination mit einer leichten Innenrolle, wie sie Brian Connolly, der Sänger von „The Sweet“, populär gemacht hatte. Auch ansonsten war Itze so sehr der Ballroom Blitz, wie man zu der Zeit in Herne sein konnte, denn er trug Schlaghosen und hatte Plateauschuhe. Wobei Letzteres vielleicht auch mit seiner Körpergröße zu tun hatte. Vor allem aber konnte er echt gut Fußball spielen.
So gut, dass Itze zu unserer Schulmannschaft gehörte, die es regelmäßig in irgendwelche Schulendspiele bis nach Berlin schaffte. Außerdem spielte er noch bei Rasensport Holthausen im Verein in einer der damals besten Jugendmannschaften der Stadt, fast so gut wie die von Westfalia Herne und manchmal besser als Sodingen. Da Itze auch noch über ein sonniges Gemüt verfügte und ein guter Sprücheklopfer war, der vieles mit dem rätselhaften Kampfruf „Achte auf die Sonne!“ kommentiert, verehrte ich ihn, wie 15-Jährige manchmal andere 15-Jährige verehren.
Eine Versammlung von Talentfreien
Seiner Fußballkunst galt jedoch meine besondere Begeisterung, weshalb ich es unheimlich aufregend fand, als ein Kick seiner Mannschaft gegen mein Team angesetzt wurde: in Freund, unter der Woche, unter Flutlicht, mitten im Winter. Ich spielte damals in der B‑Jugend der DJK Elpeshof, einer Mannschaft, die meinen Fähigkeiten angepasst war. Wir waren abgeschlagenes Schlusslicht der untersten Jugendklasse, und ich war Mittelstürmer dieser Versammlung von Talentfreien.
Unseren nicht vorhandenen Fähigkeiten entsprechend, hatten wir eine Art Wagenburg-plus-Ausbruch-Taktik zurechtgelegt. Neun Mann versuchten sich der gegnerischen Übermacht entgegenzustellen und ich wartetet vorne. Meine Hauptfähigkeit war es nämlich, schnell zu sein. Wenn immer wir den Ball erobert hatten, droschen ihn meine Mannschaftskameraden in meine Richtung und ich raste hinterher. Das als Kontertaktik zu bezeichnen, wäre eine unnötige Überhöhung. Das war nichts, womit man Pep Guardiola hätte beeindrucken können, und sonderlich erfolgreich war es ebenfalls nicht.
So war davon auszugehen, dass wir von Itze und seinen Holthausern eine richtige Schruppe bekommen würden, wie wir Kanterniederlagen damals nannten. Ich rechnete mit sieben, das Zu-Null versteht sich von selber. Doch dann kam es ganz anders, und zwar auf eine so wunderbare und wundersame Weise, dass ich es auch vier Jahrzehnte später nicht vergessen habe.
An jenem Abend gegen Rasensport spielte ich das Spiel meines Lebens. Mir ist bis heute nicht klar, warum das so war. Denn eigentlich wäre aufgrund des steinhart gefrorenen, teilweise mit Eis überzogenen Ascheplatzes das Gegenteil wahrscheinlicher gewesen. Es bedarf auf so einem schwierigen Untergrund schließlich einer eher feinsinnigen Motorik, derer ich mich beileibe nicht rühmen würde. Außerdem benachteiligten diese Umstände die Langen gegenüber den Kurzen, und ich bin ein ziemlicher Lulatsch.
„Konnte an die Leistung nicht mehr anschließen“
Aber ich flog geradezu über den knüppelharten Boden, ein Blitz über dem Eis. Jeder Schritt saß, jede Körpertäuschung stimmte. Ich war schnell und gewandt, es war unglaublich! Die Befreiungsschläge waren an jenem Abend auch eher richtige Anspiele in die Tiefe. Auch da vermag ich nicht zu erklären, warum gegen eine viel bessere Mannschaft das gelang, was gegen schlechtere Gegner so oft in die Hose ging. Vom vielhöherklassigen Gegner war wenig zu sehen, und auch vom großen Itze nicht. Wir gewannen mit 4:2 und ich schoss alle vier Tore! Ich würde das als eine der größten Sensationen des Fußballs einstufen, vergleichbar mit dem Sieg der USA über England bei der WM 1950 oder dem 7:1 der deutschen Mannschaft in Brasilien 2014.
Heute hätte das bestimmt jemand mit dem Smartphone aufgezeichnet, aber nicht einmal das Ergebnis ist irgendwo festgehalten. Manchmal denke ich schon, dass ich mir das ausgedacht habe. Aber das stimmt nicht, denn ich erinnere mich noch daran, wie Itze mich lobte. Nicht gönnerhaft, sondern anerkennend. Er sagte sogar, dass er mich mal für die Schulmannschaft vorschlagen wollte. Aber daraus wurde nichts, weil man über mich den berühmten Satz sagen musste: „Konnte an die Leistung nicht mehr anschließen“. Ehrlich gesagt: Sogar nie mehr.