Wir bauen unsere Seite für dich um. Klicke hier für mehr Informationen.

Da stand er nun. Die Hände vor der Brust gefaltet, war Dome­nico Tedesco darum bemüht, sich beim auf­ge­brachten Schalker Anhang in der Nord­kurve für das zu ent­schul­digen, was seine Mann­schaft in den 90 Minuten zuvor dar­ge­boten hatte. Nur eine Woche nach der pein­li­chen 0:3‑Niederlage in Mainz zeigten die Schalker Spieler beim 0:4 gegen Auf­steiger For­tuna Düs­sel­dorf, dass der Tief­punkt in der Koh­le­stadt Gel­sen­kir­chen immer noch ein biss­chen tiefer liegen kann. 

Bereits zur zweiten Halb­zeit hatte die Nord­kurve die Unter­stüt­zung der Mann­schaft weit­ge­hend ein­ge­stellt. Nachdem Dawid Kownacki mit seinem Treffer zum 4:0 für Düs­sel­dorf die höchste Schalker Heim­nie­der­lage seit sechs Jahren besie­gelt hatte, waren sogar höh­ni­scher Applaus und bit­ter­böse Oh wie ist das schön“-Gesänge auf­ge­brandet. 

Bewun­ders­werter Mumm

Dass Dome­nico Tedesco nach dieser Schmach den­noch den Mumm auf­brachte, sich als ein­ziger (!) Ver­ant­wort­li­cher direkt der Kurve zu stellen, war bemer­kens­wert. Doch noch mehr Bewun­de­rung ver­dient die stoi­sche Ruhe, mit der er die Bier­be­cher und Belei­di­gungen ertrug, die ihm in diesem Moment ent­ge­gen­schleu­dert wurden. 

Wäh­rend die Spieler die Sze­nerie aus sicherer Ent­fer­nung beob­ach­teten (bevor sie von den beiden Vor­sän­gern der Ultras ihrer­seits ihr Fett bezie­hungs­weise die Kapi­täns­binde weg bekamen), bat Tedesco die anwe­senden Foto­grafen, ihm in diesem wohl bit­tersten Moment seiner Amts­zeit nicht zu sehr auf die Pelle zu rücken. Die Leis­tung war blut­leer und leer. Zu den Fans zu gehen, war das Min­deste, das wir tun konnten“, begrün­dete Tedesco seinen Gang nach Canossa im Anschluss. 

Exakt 321 Tage zuvor hatte er sich schon einmal in die Schalker Nord­kurve gewagt. Auch damals wollte er eigent­lich nicht. Doch die Fans ließen ihm keine Wahl. Wir wollen den Trainer sehen“, for­derten sie laut­stark, nachdem ihr Team mit einem 2:0‑Sieg über Borussia Dort­mund einen gewal­tigen Schritt in Rich­tung Cham­pions League getan und die Ver­hält­nisse im Ruhr­ge­biet aus königs­blauer Sicht wieder gera­de­ge­rückt hatte. Ich hatte Sorgen, dass die Ultras sonst das Sta­dion abbauen“, begrün­dete Tedesco seinen Gang ins Zen­trum der Glück­se­lig­keit im Anschluss.

So scherz­haft, wie Schalkes Trainer den Satz im April 2018 daher­sagte, so ernst hätte er ihn im März 2019 meinen können. Ich stand an beiden Tagen eben­falls in der Nord­kurve. Und erlebte mit dem Spiel gegen Düs­sel­dorf meine schmerz­vollsten Momente in der Schalker Arena. Nie habe ich an diesem Ort mehr gelitten als in diesen Minuten.

Nicht, weil das Spiel meiner Mann­schaft so gro­tesk schlecht gewesen war. Sport­lich ent­täu­schende Auf­tritte hatte ich dort schon zur Genüge erlebt. Es war Dome­nico Tedesco, der mir in dieser Situa­tion ein­fach unfassbar leid tat. Ich war fest davon über­zeugt, dass er nach diesem Spiel zurück­treten würde. Solch blinde Wut hatte er, der uns zur Vize­meis­ter­schaft geführt hatte, der sich mit dem Verein iden­ti­fi­zierte wie wenige Trainer zuvor, der sich mit Blog­gern zum Taktik-Gespräch traf, der Fans am Abend des 4:4‑Derby-Wahnsinns mit Pizza ver­sorgte, ein­fach nicht ver­dient. Er hat nen bes­seren Verein ver­dient“, schrieb ich nach dem Spiel nie­der­ge­schlagen einem Freund. 

Keiner, der sich ver­pisst“

Doch Tedesco trat nicht zurück. Er sei keiner, der sich ver­pisst“, gab er nach der Partie fast trotzig zu Pro­to­koll. Gleich­wohl sollte seine Amts­zeit nur wei­tere zwölf Tage andauern. Nach einer def­tigen 0:7‑Klatsche in der Cham­pions League bei Man­chester City und einer eher unglück­li­chen Nie­der­lage in Bremen sah der neu instal­lierte Sport­vor­stand Jochen Schneider keine andere Mög­lich­keit, als den Mecha­nismen des Geschäfts zu folgen und Tedesco zu ent­lassen – nicht ohne dessen Ver­dienste zu wür­digen, nicht ohne her­vor­zu­heben, wie schwer die Ent­schei­dung gefallen sei. Das gehört heut­zu­tage zwar in sämt­li­chen Trainer-Ent­las­sungs-Mit­tei­lungen zum guten Ton, doch wer die Gescheh­nisse dieser Tage in Gel­sen­kir­chen ver­folgte, konnte sich des Ein­drucks nicht ver­wehren, dass diese Worte dieses Mal tat­säch­lich ernst gemeint waren.

Und wenige Tage später, beim Heim­spiel gegen RB Leipzig, zeigten auch die Fans, dass ihre Wut, die Dome­nico Tedesco nach dem Düs­sel­dorf-Spiel getroffen hatte, eine blinde war. So übel die Beschimp­fungen und Gesten auch gewesen sein mögen: Beim ersten Spiel unter Inte­rims­trainer Huub Ste­vens zeigten die Schalker Fans, dass sie nicht nur laut und derb können, son­dern durchaus auch fein­fühlig. Fast schon ent­schul­di­gend hingen an diesem Tag zwei große Banner in der Nord­kurve: Den Trainer rasiert, uns in Europa bla­miert und Schalke nie kapiert: Söldner aus­sor­tieren!“, war zwi­schen Ober- und Unter­rang zu lesen. Und, fast noch wich­tiger: Danke Dome­nico!“