Der Geister-Fußball produziert auf dem Rasen keine Gewinner und keine Verlierer. Jedenfalls keine anderen als vorher.
Frank Baumann hatte versucht, optimistisch zu klingen, bevor die Bundesliga wieder aufgenommen wurde. Wobei man ihm zugestehen musste, dass er nicht optimistisch gewirkt hatte. „Wir haben die Unterbrechung als Chance gesehen und gehen den Neustart sehr optimistisch an“, sagte der Sportdirektor von Werder Bremen vor dem Spiel gegen Werder Bremen und schaute dabei sehr pessimistisch drein. Dabei hatte der Klub mit dem Mentaltrainer Jörg Löhr und dem Sportpsychologen Mathias Kleine-Möllhoff sogar gleich zwei Fachkräfte neu verpflichtet, um den mentalen Zustand der Profis zu verbessern. Werder Coach Florian Kohfeld lobte Löhr vor dem Spiel gegen Bayer Leverkusen: „Er hat eine sehr beeindruckende Sitzung mit der Mannschaft gehalten. Es wird einen Effekt auf die ersten Spiele haben.“
Vielleicht wäre es ohne Löhr also noch schlimmer gekommen als es mit dem 1:4 gegen Bayer sowieso schon kam. Ein Werder-Fan spottete bei Twitter: „Die Mannschaft hat ihre Form über die Corona-Pause retten können.“ Nüchterner, aber nicht weniger betroffen, stellte Taktikanalytiker Tobias Escher in seiner Nachbetrachtung des Leverkusen-Spiels fest: „Werder wiederholt auch nach zwei Monaten Pause all die Fehler, die ihr Spiel bereits vor Wochen plagten.“ Einen möglichen Klassenerhalt der Bremer stufte er bereits in der Kategorie „Wunder“ ein.
Doch nicht nur Werder Bremen setzte da an, wo die Mannschaft acht Wochen zuvor aufgehört hat. Das galt auch für Schalke, das weiterhin nur eines von neun Rückrundenspielen gewonnen und insgesamt nur vier Tore geschossen hat. Unter normalen Umständen hätte das 0:4 im Revierderby in Dortmund für gesteigerte Alarmzustände gesorgt. Auch der FC Augsburg blieb mit seinem neuen Trainer Heiko Herrlich, dem nun weltberühmtesten Zahnpastakäufer der Bundesligageschichte, die schlechteste Mannschaft der Rückrunde. Am sonnigeren Ende der Tabelle siegten hingegen Bayern, Dortmund, Gladbach und Leverkusen einfach weiter. Letztlich gab es nur ein Ergebnis, das in der Zeit vor Corona überraschend gewesen wäre: den 3:0‑Sieg der Bruno-Labbadia-Hertha in Hoffenheim.
Etwas anders ist das Bild, wenn man in Spieldaten nach Abweichungen zu den Spielen gräbt, die vor Publikum ausgetragen wurden. So führten nur fünf Mannschaften mehr Zweikämpfe als vorher, wobei der FC Bayern bei seinem Spiel bei Union Berlin mit einem Plus von 13,5 Prozent besonders auffiel. 13 Team hingegen lagen unter ihrem Durchschnittswert vor den Geisterspielen, vielleicht fehlte ihnen wirklich der Antrieb von außen.
Der Eindruck bestätigt sich nicht beim Blick auf den Wert, mit den man die Intensität des Pressings feststellen kann, der „Passes Per Defensive Action“ heißt. Hier fiel nur zum Amtsantritt von Bruno Labbadia bei Hertha BSC auf, dass die Mannschaft deutlich mehr presste als zuvor. Dagegen brach der Wert bei Borussia Mönchengladbach geradezu ein, was sich aber vermutlich eher durch die Strategie beim Sieg in Frankfurt erklärte. Die Nettospielzeit lag bei elf Teams höher als im Saisonschnitt, obwohl es teilweise durchaus länger dauerte, einen Ball am Seitenrand zu suchen, als ihn von Balljungen zugeworfen zu bekommen. Andererseits waren die Spielunterbrechungen kürzer, weil es für lange Diskussionen mit dem Schiedsrichter kein Publikum gab, das man auf seine Seite hätte ziehen können.
Es kamen vier Prozent der Schüsse weniger aufs Tor als vor der Corona-Pause und es gab über 20 Prozent weniger erfolgreiche Dribblings, was jeweils dafür spricht, dass die Feinjustierung noch nicht genau stimmte. Aber wie bei den vorherigen Zahlen gilt auch hier, dass man sehen wird, wie sie sich entwickeln werden, wenn sich die Teams mehr an die Geisterspiele gewöhnt haben. So bizarr die Umstände sein mögen, sie beeinflussen das Geschehen auf dem Rasen weniger als man vielleicht hätte erwarten können. Der Geisterfußball unterscheidet sich sportlich gesehen nicht so sehr von dem vor Publikum.
Dieses „Bleibt alles anders“ beinhaltet eine wahlweise gute oder ziemlich deprimierende Erkenntnis: In der Pause sind die Mannschaften nicht auf wundersame Weise andere geworden. Und das Spiel hat sich nicht in einen anderen Wettbewerb verwandelt, in dem Bremen oder Schalke wundersam aufblühen oder Bayern und Dortmund traurig eingehen. Wer vorher gewonnen hat, wird es auch weiter tun. Wer vorher verlor, wird es ebenfalls weiter tun. Er ist in seiner Trostlosigkeit nur auch noch allein.