Hass auf den Gegner und eine offene Rechnung mit der Polizei: Das Spiel zwischen Schalke und Saloniki versprach reichlich Zündstoff. Wir waren mittendrin.
Neben den Flaggen haben es auch viele Spruchbänder mit in den Block geschafft. Auf der Bande zwischen Unter- und Oberrang prangt mit Einlauf der beiden Mannschaften in blauen Großbuchstaben: „Nach Jahren voll Lügen seht ihr es ein: Die Fahne soll nicht verboten sein!? Unsere Kurve und die Verletzten vergessen nie! ACAB!“ Unten im Block kritisieren die Ultras auf zwei Plakaten die ungewöhnliche Anstoßzeit. Die Fans rufen „Gelsenkirchen-Skopje“, bevor der Capo, der Vorsänger in der Kurve, sein Podest vor dem Block betritt.
Er richtet in seiner Kanzel einen flammenden Appell an die Kurve. Ein Rückblick auf 2013 und die letzten Tage. „Der Verein stellt sich gegen uns“, schreit er in sein Mikro, „aber das lassen wir uns nicht gefallen.“ Die Masse jubelt ihm zu. Im Klatschen und Pfeifen gehen seine letzten Worte fast unter, für dessen Verständnis aber schon seine Geste reicht: Er zeigt von seinem Podest aus vor die Bande der Kurve auf den Stern von Vergina. „Die Fahne, sie wird auch heute wieder an unserem Block hängen“, brüllt er leidenschaftlich. Die Schalker Kurve feiert.
Schalker Erinnerungen an 74 und 97
Nicht alle Paok-Fans kriegen diese Provokationen zu Spielbeginn mit. Sie trudeln erst nach und nach in ihrem Gäste-Block ein. Mehr als 20 Minuten sind auf dem Feld schon gespielt, als die blauen Schalen in der Gäste-Kurve im schwarz-weißen Pulk verschwinden. Die Griechen feiern: lautstark, oberkörperfrei. Sie beschallen teilweise die ganze Arena, während auf der Gegenseite die stummen Blicke alle nach links gehen. In der östlichen Ecke der Kurve die nächsten beiden Spruchbänder: „Ey Vorstand, wie schmeckt der Schwanz der Polizei GE?“
Die Fans legen zum Wiederanpfiff noch einmal nach, gegen den Vorstand und gegen die Griechen. „Fucking Paok-Fans! Get out of here“, zeigen die Ultras und kontern damit eine Aktion aus der Vorwoche. Dann ist es ungewöhnlich ruhig. Die Antreiber auf dem Podest vor Schalker Kurve haben sichtlich Probleme, die „Donnerhalle“ in Stimmung zu bringen. Der Funke will nicht überspringen.
„Valencia, Teneriffa, Inter Mailand, war das ‘ne Show.“
Doch dann bricht die 74. Minute an. Jene 74. Minute, in der der ominöse Polizeieinsatz 2013 begann. Unten im Blog taucht das letzte neue Banner des Tages auf: „ACAB“. Die Kurve hat nicht vergessen. Und die Kurve ist auf einmal wieder da. Die nah an einem Titelgewinn grenzende Ekstase der 3.500 Griechen im Gästeblock wird übertönt von Schalker Kehlen. Sie intonieren das Lied über den größten Triumph der Vereinsgeschichte: Uefa-Cup-Sieg 1997.
„Wir schlugen Roda, wir schlugen Trabzon, wir schlugen Brügge sowieso“, singt die Masse voller Inbrunst, „Valencia, Teneriffa, Inter Mailand, war das ‘ne Show.“ Heute haben die Schalker erstmal nur Saloniki geschlagen (in der Endabrechnung der Uefa Nach Hin- und Rückspiel) und sind eine Runde weiter. Ob die Fans aber an diesem Abend auch die Stadionränge als Sieger verlassen, kann keine Uefa-Wertung sagen. Auf dem Weg aus dem Stadion war für die meisten das ganze Tohuwabohu um dieses Europa-League-Spiel schon beendet. Aus Saloniki wurde Stockholm und aus dem Ärger über Gegner, Polizei und Verein der Traum vom Titel und der nächsten Generation Eurofighter.