Mit Daniel Bierofka hat die Identifikationsfigur schlechthin die Münchner Löwen verlassen. Wie konnte es nur so weit kommen?
Am Ende steckte die Ära in einem blauen Löwen-Rucksack und einer schwarzen Tasche. Daniel Bierofka hatte offensichtlich alles zusammengepackt, was von ihm in der Geschäftsstelle noch herumlag, wahrscheinlich steckte auch schon der Auflösungsvertrag in der Tasche. Mit Tränen in den Augen verließ er am Nachmittag des Dienstags, 5. November, das Vereinsgelände des TSV 1860 München an der Grünwalder Straße. Einige hatten noch versucht, ihn von seiner Entscheidung abzubringen, später am Abend sogar noch der eingeflogene jordanische Investor, Hasan Ismaik. Vergeblich.
Am Freitag stellte sich Co-Trainer Oliver Beer den Fragen der Presse, er wird am Samstag im Drittliga-Auswärtsspiel beim Halleschen FC sportlich verantwortlich sein. Ein einziges Mal nur, denn er hat keinen Fußballlehrerschein und darf nur 15 Tage Cheftrainer sein. Beer erzählte, wie schwer es sei, sich rein auf das Sportliche zu konzentrieren in dieser Woche, man sei „nicht gerade gut gelaunt“. Bierofka habe ihm und der Mannschaft per WhatsApp noch alles Gute gewünscht für das nächste Spiel.
Dem internen Streit fallen sogar die größten Ikonen zum Opfer
Niemand kann sich erinnern, dass es beim TSV 1860 München jemals ruhig zuging. Dass nun aber Daniel Bierofa zurücktritt, zeigt, wie verhärtet die Fronten sind, deren Linien quer durch die Geschäftsstelle und quer durch den Fanblock laufen: Dem internen Streit fallen sogar die größten Ikonen zum Opfer.
Bierofkas Vater Willi war als Spieler ein mehrfacher Aufstiegsheld, später auch kurz einmal Trainer. „Biero“ selbst stand für 1860 mehr als 200 Mal auf dem Platz. Er wurde schon bald nach seiner aktiven Karriere Trainer der U21. Dann wurde er zu einer Art Berufsfeuerwehrmann, denn er sprang mehrmals ein, wenn Profi-Trainer gefeuert wurden. Übrigens ist Bierofka der erste scheidende Trainer seit Ewald Lienen im Jahr 2009, der nicht gefeuert wurde – und es gab viele.
Zweikampfhärte und Einsatzwillen
Beim nie für möglich gehaltenen Abstieg 2017, beim allerletzten Spiel der Löwen in der Allianz Arena, stellte er sich als einziger vor die Kurve und ließ sich mit Stangen bewerfen. Drei Tage später stellte er ohne Auftrag des führungslosen Vereins einen Kader zusammen, dem der direkte Wiederaufstieg in den Profifußball gelang. Mit Biero ging es zurück ins so gut wie immer ausverkaufte Grünwalder Stadion. So, wie er Fußball spielte, und der Fußball, den er einfordert, all das passt zu den Sechzigern: Zweikampfhärte und Einsatzwillen standen und stehen immer im Vordergrund. In der Sechziger-Heimat Giesing gibt es eben keine Ballettschulen. Bierofka ist mehr als eine Identifikationsfigur, er hat den Verein maßgeblich geprägt. Er war so lange dabei, fast hätte man sagen können: Einmal Biero, immer Biero. Ausgerechnet ihn haben sie jetzt also vergrault.
Aber wer eigentlich?
Die Verhältnisse bei 1860 München zu erklären, würde ungefähr so lange dauern, wie den Inhalt einer Daily Soap mit 30 Staffeln nachzuerzählen. Grob gesagt gibt es unter den Verantwortlichen zwei verfeindete Lager: Die Investorenseite um den Jordanier Hasan Ismaik auf der einen Seite, den Vorstand des e. V. auf der anderen. Erstere stehen, vereinfacht gesagt, für den Versuch, wieder eine fußballerische Großmacht zu werden, mit neuem oder mindestens teuer umgebautem Stadion. Letztere stehen dafür, erst einmal kleinere Brötchen zu backen. Schon allein, weil man sich von Ismaiks Geld unabhängig machen will. Sie erfreuen sich am Grünwalder Stadion und beschwören die Bodenständigkeit. Trotzdem wird der bodenständige Bierofka seit einiger Zeit von der e.V.-Seite angezählt.
Vor zwei Monaten beantwortete Präsident Robert Reisinger auf der Vereins-Homepage zahlreiche FAQs, darunter auch die Frage: Was passiert eigentlich, wenn Daniel Bierofka irgendwann keine Lust mehr hat? Die Antwort war überraschend undiplomatisch: „Der TSV 1860 hat vor Bierofka existiert und er wird es auch nach ihm tun“, hieß es da, außerdem sprach er von einem „für die Verhältnisse in der dritten Liga gut dotierten Vertrag“ für den Trainer, obwohl selbst die e.V.-Seite immer gesagt hatte, finanzielle Angelegenheiten nicht zu kommentieren. Es soll Stimmen gegeben haben, die dazu geraten hätten, diese Passagen zu streichen, doch die Warnungen wurden in den Wind geschlagen. Vergangene Woche sorgte dann ein Bericht des kicker für die letzten Topfen ins Fass. Eine klassische Maulwurf-Geschichte: Teile der Mannschaft, hieß es dort, seien nicht immer zufrieden mit den taktischen Vorgaben des Trainers.
Ismaik instrumentalisiert den Rücktritt
Im Kern haben diese Aussagen zwei Gründe: Das Präsidium oder ihm nahestehende Personen haben sportliche Vorstellungen, die Bierofka nicht ganz erfüllen kann. Und es geht ums Geld. So wurden auch schon die Diskussionen um mögliche Kaderverstärkungen im vergangenen Sommer zum Dauer-Politikum – viele Neue kamen nicht gerade. Und wenn schon der Vertrag des beliebten Trainers zu hoch dotiert ist, kann man sich vorstellen, wie groß der Sparzwang ist.
Ein großer Teil der Fans ist stinksauer, es gibt auch Ismaik-Gegner, die das Präsidium kritisieren. Und Gerüchte gibt es jetzt natürlich jede Menge. Darüber, wer nun einen Grund hatte, Bierofka den Rücktritt schmackhaft zu machen. Auf Investorenseite ist Bierofka ein „Held“, der rausgemobbt wurde, Ismaik instrumentalisiert den Rücktritt, wo es nur geht. Auf der anderen Seite gibt es aber auch eingefleischte Fans die sagen: Bieros Verdienste sind groß, aber sein Fußball basiert fast nur noch auf einer Idee: lange Bälle auf den Angreifer Sascha Mölders. Die Wahrheit wird irgendwo dazwischen liegen, ganz sicher aber ist: Alle Provokateure haben unterschätzt, wie sehr Bierofka unter den Vorwürfen litt.
Schwierige Trainersuche
Die nötige Trainerlizenz besitzt übrigens der Geschäftsführer und finanzielle Obermahner, Günther Gorenzel. Der sagte zwar, dass es sich für ihn nicht gehöre, sich auf die Bank zu setzen, aus „Respekt vor Daniel“. Doch die Trainersuche dürfte sich schwierig gestalten: Wer übernimmt schon gerne einen Tabellen-15. der dritten Liga? Wer tut sich diesen Job an, wenn sogar der allseits beliebte Bierofka die Flucht ergreift? Hat er überhaupt eine Chance, jemals von allen im Verein respektiert zu werden?
Bierofkas Flucht jedenfalls wird nicht gerade dafür sorgen, dass es jemals ruhiger zugeht an der Grünwalder Straße. Sie wird eher noch mehr Gräben aufreißen.