Nach dem Aus von Pal Dardai steht vor allem einer unter Druck: Manager Michael Preetz. Er muss beweisen, dass seine Idee von einer modernen und entmufften Hertha wirklich die bessere ist. Dabei hat er mal wieder die Kurve gegen sich.
Die Zerrissenheit von Hertha BSC dürfte spätestens am 18. Mai wieder im Stadion spürbar sein. Dann trifft Hertha im letzten Spiel der Saison zu Hause auf Leverkusen, und selbst wenn sich die Mannschaft die obligatorische 2:6‑Jahresabschluss-Klatsche abholt, wird die Ostkurve feiern. Besser gesagt: Selbst wenn die Mannschaft wieder, wie schon 2017 und 2018, zum Schluss zu Hause mit 2:6 baden geht, wird die Ostkurve Pal Dardai feiern.
Den Trainer, der die Profis im Frühjahr 2015 übernahm und der aus einer zur Fahrstuhlmannschaft verkommenen Truppe den vielleicht solidesten Bundesligisten der vergangenen vier Jahre formte. Den Mann, der seit dem 01.01.1997 ununterbrochen für Hertha tätig war, erst als Abräumer auf dem Spielfeld, dann als Aufräumer im Nachwuchs, dann als Cheftrainer der Profis. Den Typen, der mit seinen Jogginganzügen und dem eher lebensbejahenden Körper im Gegensatz zu den Nagelsmännern und Tedescos dieser Welt nicht groß auffallen würde, stünde er bei einem Spiel nicht mit Verantwortung in der Coaching Zone sondern mit Bierchen in der Fankurve. Dessen Söhne in Berlin geboren wurden und mittlerweile im Profikader und in der U17 von Hertha spielen.
Eher Team-Zander als Team-Seeed
Wenn die Ostkurve Dardai am 18. Mai mit einer Choreo oder mit Sprechchören oder ziemlich sicher mit beidem emotional verabschiedet, dann wird Michael Preetz von der Ehrentribüne aus beste Sicht darauf haben. Und mal wieder merken, dass die da unten einfach nicht so wollen wie er da oben.
Das war in den vergangen Jahren immer wieder der Fall. Sei es mit unzähligen Spruchbänder gegen die übergestülpte Social-Media-Offensive, sei es mit Sprechchören gegen Chef-Überstülper und Lieblingsfeind Paul Keuter, sei es mit zehntausenden Pfiffen gegen die geplante Änderung der Stadionhymne. Preetz und sein Camp hielten „Dickes B“ von Seeed für eine gute Idee, schmissige Nummer, clubtauglich, „so Berlin“ (englisch ausgesprochen). Die Fans wollten wie immer „Nur nach Hause“ von der Fleisch gewordenen West-Berliner Eckkneipe Frank Zander. Spätestens im Frühling 2019 lässt sich sagen: Dardai wurde auch zum Verhängnis, dass ihn alle Parteien, also die Fans genau wie Dardais Vorgesetzte, eher im Team-Zander als im Team-Seeed verorteten.
Das wird anhand des Geraunes, das Dardais Aus seit gestern begleitet, immer deutlicher. Spiegel Online schreibt mit Verweis auf Stimmen eines hochrangigen Vereinsfunktionärs (wer das wohl sein könnte?) auf das zunehmend kritisch beäugte interne Auftreten des Trainers. Außerdem erzählt der hochrangige Vereinsfunktionär von einem geheimen Treffen zwischen Dardai und einigen Berliner Ultras – das genau in die Zeit fällt, in der Ultras die Hauswand von Geschäftsführer Keuter mit einem provokanten Spruch besprüht haben sollen. Im Text von Spiegel Online taucht das Wort „Hochverrat“ auf.
Sportlich ist ein Wechsel nachvollziehbar
In den Medien kursieren weitere Geschichten dieser Art (Preetz habe die Mannschaft vor dem Leipzig-Spiel im November erfolglos dazu aufgefordert, auf dem Rasen eindeutig Pro-Keuter Stellung zu beziehen / Dardai und die sportliche Leitung seien sich in Bezug auf die politische Haltung des Klubs uneinig gewesen), und es ist schade, dass diese nun mehr und mehr nach außen dringen. Andererseits nehmen sie der unter Fans bisher lediglich erfühlten Annahme, dass Preetz seit Beginn der Saison nur auf eine Chance wartete, einen Trainerwechsel sportlich zu legitimieren, zumindest etwas an Verschwörungstheorie-Potential.
Denn, das werden nur wenige von denen, die Herthas Spiele seit Jahren anschauen, verneinen: Sportlich ist ein Wechsel des Trainers zumindest nachvollziehbar. Das hat allerdings weniger mit der aktuellen Pleitenserie zu tun, sondern vor allem mit dem Spätsommer 2018.
Schon vor der Saison hatte Preetz den Druck auf Dardai erstmals öffentlich erhöht, in dem er eine spielerische Weiterentwicklung der Mannschaft forderte. Im August und im September 2018 spielte Dardais Team dann tatsächlich erstmals unter dessen Führung mehrere Wochen am Stück guten Fußball. Gladbach wurde regelrecht vorgeführt, der FC Bayern wurde mitreißend geschlagen, zum ersten Mal seit 14 Jahren konnte Hertha auf Schalke gewinnen.
Ondrej Duda zirkelte erst einen Freistoß ins Kreuzeck und eine Woche später einen weiteren rotzfrech unter der Wolfsburger Mauer durch, Javairo Dilrosun und Valentino Lazaro trauten sich sogar ins Dribbling. Eine Teildisziplin des Spiels, die Herthas Fans nur noch vom Hörensagen kannten. Kurzum: Der Kader machte Lust auf mehr. Und gab Manager Preetz in der Hinsicht Recht, als dass er eine Mannschaft zusammengestellt hatte, die nicht mehr zwingend auf schrille Plakat-Aktionen und halb-lustige Tweets angewiesen war, um aufzufallen.
Schlussendlich fällt Dardai nun auf die Füße, dass er mit seinem Team erst zeigte, was theoretisch möglich wäre – und danach wieder in den Verwaltungs-Trott der vergangenen Jahre verfiel. Noch eine sorgenfreie Saison reichte plötzlich nicht mehr. Dass Hertha zuletzt nicht mal mehr dreckig punktete, ist ob der Tabellesituation dabei fast egal.
42, 43, 42 und 41 Tore
Abgesehen vom manchmal schwer erträglichen Stil der vergangenen Jahre kann man Dardai sportlich aber kaum Vorwürfe machen. Er rettete das Team zunächst vor dem Abstieg, erreichte dann zweimal das internationale Geschäft (auch wenn Hertha im ersten Jahr in der Qualifikation recht kläglich scheiterte), wurde dann Zehnter und steht aktuell auf Platz elf.
Sein Team war in der Liga beängstigend konstant, schoss 42, 43, 42 und (Stand 29. Spieltag) 41 Tore, es kämpfte sich darüber hinaus sogar einmal vor bis ins sonst unerreichbar scheinende Pokalhalbfinale. Dardai baute viele im Verein ausgebildete Talente in den Kader ein und übergab spätestens in dieser Saison den besten von Ihnen – Arne Maier, Jordan Torunarigha und Maxi Mittelstädt – Verantwortung. Auch dank dieser Arbeitsweise steigerte Herthas Team den eigenen Marktwert (laut transfermarkt.de) von 72,9 Millionen Euro (Saison 2015/2016) auf aktuell 203,5 Millionen Euro.
Better Call Pal
All das konnte Dardai nicht retten. Die Geschäftsführung sieht in Hertha mehr als „nur“ konstantes Mittelmaß. Weshalb sich Michael Preetz nun selbst unter Druck gesetzt hat. Denn im Gegensatz zu seinen Spielertransfer hat er bisher nicht nachweisen können, dass er auch für Trainer ein gutes Händchen hat. Funkel, Babbel, Skibbe, Rehhagel, Luhukay – aus verschiedenen Gründen funktionierte in Berlin keiner der von Preetz geholten Trainer länger als ein paar Monate. Weshalb schon die Installierung von Pal Dardai (zunächst nur interimsweise geplant) als letzte Chance für Preetz galt.
Dardai entpuppte sich als Glückstreffer und machte den Job für den Manager Jahr für Jahr zu einem ruhigen. Nun muss er erstmals seit 2015 wieder abliefern, die nicht kleine und für den Hertha-Seelenfrieden einigermaßen entscheidende Pro-Dardai Fraktion sitzt ihm dabei im Nacken, einen in diesem Jahr besonders schwierigen Trainermarkt (allein in der Bundesliga suchen auch Wolfsburg und Schalke in einer ähnlichen Gewichtsklasse) hat er vor der Brust. Unter Anhängern geht schon die Vermutung um, dass Pal Dardai nicht zum letzten Mal die Profis von Hertha trainiert haben und über kurz oder lang, bei Krisen oder in unruhigen Zeiten, doch wieder angerufen wird. Doch in diesem Sommer muss Preetz mit dem neuen Trainer beweisen, dass Hertha wirklich eine Nummer größer sein kann als Pal Dardai. Wenn der Manager am 18. Mai auf die Ostkurve hinunterschaut, wird er zumindest ein Gefühl dafür bekommen, wie die eigenen Fans das sehen.