Mit dem FC Bayern München gewann Tom Starke fast jeden Titel. Auf dem Platz stand er dabei selten. Ein Gespräch über das Leben als Nummer 2.
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Hatten Sie das Gefühl, dass Sie mit dem Wechsel zum FC Bayern einen Berufswechsel vollzogen haben? Vom arrivierten Stammtorhüter zur klaren Nummer 2?
Das ist eine super Beschreibung! Sie müssen wissen: Ich war lange in der Bundesliga dabei und habe die Entscheidung, auf die Bank der Bayern zu wechseln, nicht spontan gefällt. Mich dazu durchzuringen, das hat gedauert, weil ich eine neue Rolle ergriffen habe. Wichtig war mir, dass ich die Aufgabe als Ersatztorhüter mit dem gleichen Ehrgeiz ausfülle, wie ich das auch als Nummer 1 getan hätte. Und wenn ich mal etwas trauriger war, dann habe ich mich zurückbesinnt, dass ich diese Entscheidung einmal ganz bewusst getroffen hatte.
In welchen Situationen waren Sie traurig?
Wenn ich in Testspielen richtig gut gehalten habe, eine super Trainingswoche absolvierte, wenn einfach alles geklappt hat – da dachte ich heimlich schon: Ich bin so gut drauf, jetzt wäre es schön, auch zu spielen! Weil ich es mir auch selbst beweisen wollte. Und natürlich spielte am Wochenende dann wieder Manuel Neuer. (Lacht.)
Ihr erstes Spiel für Bayern machten Sie ausgerechnet gegen die TSG Hoffenheim, die sich im Sommer für Wiese entschieden hatte. War Ihr Einsatz Symbolik?
Ich habe mich riesig gefreut, ausgerechnet in Hoffenheim mein erstes Spiel machen zu können. Ich wurde oft gefragt, warum ich diesen Schritt gemacht hatte. Aber das war ein Einsatz, der die ganze Menschlichkeit von Jupp Heynckes beschreibt. Er hatte mir einen Einsatz schon zu Saisonbeginn versprochen, vor der gesamten Mannschaft. Er hat gesagt, wie wichtig ich wäre und dass ich ganz sicher gebraucht würde. Er meinte: „Bis jetzt hat Tom noch keinen Einsatz, aber er wird Deutscher Meister mit uns und er wird noch auf dem Platz stehen, bevor wir Deutscher Meister sind.“ Und natürlich hat es mich gefreut, dass Manuel Neuer es sofort akzeptiert hat, als das Spiel kam und ich auflaufen sollte.
Vor dem Hintergrund: Haben Sie sich gefreut, als Roberto Mancini, Italiens Nationaltrainer, den zweiten Torhüter in der 89. Minute des zweiten Gruppenspiels einwechselte, um ihm einen Einsatz zu spendieren?
Ja, natürlich, ich freue mich sehr über so eine Entscheidung. Mal abgesehen davon, dass ich Salvatore Sirigu, die italienische Nummer 2, für einen tollen Torwart halte, kann ich mir ungefähr vorstellen, was dieser Wechsel für den Spieler und für das Teamgefüge bedeutet. Und es ist auch ein aussagekräftiger Wechsel. Denn so einen Einsatz bekommt kein Querulant, den bekommen nur Ersatztorhüter, die sich in den Dienst stellen und auch die Qualität besitzen.
Wie hat sich ihr Arbeitsablauf als Ersatzmann verändert?
Die Abläufe waren komplett gleich. Das Warmmachen war gleich, wie ich mir Trikot und Handschuhe übergezogen habe. Und auch schon unter der Woche: Ich habe die gleichen Kraftübungen gemacht, von denen ich wusste, dass sie mein Körper braucht, habe meine Ernährung fortgeführt. Alles professionell. Unser damaliger Co-Trainer Hermann Gerland hat immer gesagt: „Wie man trainiert, so spielt man auch.“ Und ich wollte ja immer bereit sein, wenn beim Aufwärmen etwas passieren sollte, wenn jemand zum Beispiel über eine Treppenstufe stolpert.
Nun ja: Im Zweifelsfall hätten Sie etwas weniger vorbereitet bei den Bayern im Tor gestanden. Es gibt härtere Jobs.
Niemand kann aus der kalten Hose ein Bundesligaspiel bestreiten, auch nicht bei den Bayern im Tor, das ist unmöglich. Natürlich, es kann gutgehen, aber …
… auch nicht mit Ihrer Erfahrung?
Aber gerade meine Erfahrung hat mich doch gelehrt, wie viel dazu gehört, um in einem Bundesligaspiel zu bestehen. Nein, unvorbereitet in ein Spiel zu gehen, das hätte ich mir nicht verziehen.
Welche Aufgaben hatten Sie am Spieltag? Mussten Sie die Getränkeflaschen auffüllen?
Ich bin vor dem Spiel mit Manuel gerne nochmal durchgegangen, ob ein Stürmer einen Haken besonders gerne macht und ob es deshalb Sinn ergibt, das Gleichgewicht schon ein wenig auf das eine oder andere Bein zu verlagern. Und ich habe auf Franck Ribéry aufgepasst …
Wie bitte?
… naja, er neigte halt dazu, sich bei der einen oder anderen Fehlentscheidungen über den Assistenten aufzuregen. Da bin ich gerne mal dazwischen, habe das Meckern für ihn übernommen, um im Zweifelsfall die Gelbe Karte zu kassieren. Der Franck war für unser Spiel ja viel wichtiger.
Im Laufe des Spiels traben Auswechselspieler meist hinter das Tor, um sich aufzuwärmen. Was haben Sie getan?
Anfangs habe ich überlegt, ob ich einfach mitgehe, aber ich habe schnell herausgefunden, dass es das nicht braucht. Sie müssen wissen: Wenn ich mich zusammen mit Manuel vor dem Anpfiff vorbereitet und in der Halbzeit noch ein wenig gemacht hatte, blieb die Muskulatur über 90 Minuten warm. Also konnte ich sitzen bleiben.
Haben Sie von der Bank aus Einfluss genommen?
Ich habe mich ein wenig wie ein Analyst verhalten, viel beobachtet, das geschah aber aus Eigeninteresse. Mir war klar, dass ich nach der Karriere in einer Trainerfunktion weiterarbeiten wollte, also saß ich da und habe versucht, während des Spiels mein Wissen zu vergrößern. Was macht der gegnerische Torwart? Was macht die gegnerische Abwehrkette? Darauf habe ich ganz bewusst geachtet. Es war aber nicht so, dass ich 90 Minuten mit dem Notizbuch auf der Bank saß (Lacht.).