War das Skandalspiel zwischen Hoffenheim und Bayern im Februar 2020 eine Inszenierung? Und was wusste Sky-Reporter Kai Dittmann? Hier spricht er über seine Sicht auf einen alles andere als normalen Arbeitstag.
Dieses Interview erschien erstmals am 8. April 2021.
Kai Dittmann, die Dokumentation „Der Prozess“ von Jochen Breyer und Jürn Kruse beleuchtet das sogenannte Skandalspiel in Sinsheim. Haben Sie den Film gesehen?
Ja, ich schätze Jochen Breyer als sehr guten und genauen Journalisten und schaue seine Beiträge sehr gerne.
In dem Beitrag sind Sie zweimal für wenige Sekunden im Interview zu sehen. Waren Sie überrascht, dass Jochen Breyer und sein Team genau diese Ausschnitte ausgewählt hatten?
(Lacht.) Nein. Er hat mich interviewt, ich habe geantwortet. Die Auswahl obliegt dann dem Interviewmacher. Meine Kernaussage in diesem Interview, das etwa eine halbe Stunde ging, war, dass ich Gewalt und Gewaltandrohung komplett ablehne. Und dass an diesem Nachmittag das Plakat mit dem Gesicht von Dietmar Hopp im Fadenkreuz der Anlass dafür war, dass ich mich so emotional geäußert habe. Das Fadenkreuz ist die Zielvorrichtung einer Schusswaffe.*
Stattdessen entsteht in der Dokumentation der Eindruck, dass alle Beteiligten an diesem Nachmittag – auch Sie – schon im Vorfeld wussten, dass es zu Beleidigungen gegen Dietmar Hopp kommen würde.
Dass der Eindruck entsteht, dass ich vorab alles wusste, das muss ich nach den gezeigten Aussagen von mir so hinnehmen. Aber dass ich gewusst hätte, was an diesem Nachmittag passieren würde, das war nicht so.
Sondern?
Ich muss etwas ausholen. Als Kommentator hat man ja seine Verbindungen und Quellen in den Klubs, die man im Vorfeld des Spieltags kontaktiert. Bei manchen Vereinen erhält man vorab detailliertere Informationen als bei anderen. Im Gespräch zur Vorbereitung auf das Spiel in Hoffenheim hatten wir in erster Linie über sportliche Dinge gesprochen – das ist es, was mich als Kommentator interessiert. Normalerweise frage ich zum Abschluss, was ich aus dem Umfeld wissen muss. Meist handelt es sich um Ehrungen vor dem Spiel, Trauerfälle, Schweigeminuten – auch darauf will ich vorbereitet sein. Diesmal verlief es aber anders.
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Nämlich?
Es folgte das Hohelied auf Dietmar Hopp. Da wurde ich stutzig und habe gefragt: „Warum erzählen Sie mir das? Dass Herr Hopp ein guter Mensch ist, das weiß ich doch. Was soll das?” Es hieß dann, vor Ort herrsche die Befürchtung, dass an einem der nächsten Spieltage Aktionen durch Fans gegen Dietmar Hopp geplant seien. Ich habe dann nochmal explizit nachgefragt, bekam aber keine Antwort. Da war mir klar: Am Samstag musst du wach sein.
Woran haben Sie dabei gedacht?
An Ausschreitungen. An Menschenmassen, die sich unkontrolliert bewegen, und was an diesem Nachmittag passieren könnte. So etwas. Während des Spiels sah ich dann das Plakat, das Dietmar Hopp im Fadenkreuz zeigt, und dachte mir: Das könnte es sein, was der Verein im Vorfeld gemeint hat.
Sie sagen mittlerweile selbst, dass die Vorkommnisse des Tages „geframed“ waren. Dass die Reaktionen abgesprochen waren, um die Proteste in einen neuen Kontext zu setzen. Haben Sie sich im Nachhinein geärgert, dass Sie dieser Beeinflussung auf den Leim gegangen sind?
In den Tagen danach entstand für mich der Eindruck, dass außer mir und dem Schiedsrichter jeder Bescheid wusste. Ich habe mich trotzdem nicht geärgert. Ich habe mich eher gefragt, ob ich dann anders kommentiert hätte.
Und?
Das ist eine theoretische Frage, bei der man schnell geneigt ist, Heldenstatus erlangen zu wollen und zu sagen: „Oh, ja klar, da wäre ich natürlich superkritisch gewesen.“ Aber ich weiß das nicht. Ich hoffe allerdings, ich wäre es dann gewesen.
Sie haben live auf Sendung zum Beispiel gesagt: „Ich habe selber Kinder, die bei Social Media unterwegs sind. Und dieses Haten, das ist so das ‚Guten Abend‘ von meiner Jugend. Das wird so gesagt. Ohne sich mal im Klaren zu sein, was das eben heißt. Wie kurz der Weg ist bis zu Gewaltausbrüchen.“
Ich bin für freie Meinungsäußerung, ich bin dafür, dass jeder Kritik äußern darf, das ist doch klar. Wir als Reporter müssen selbst genug einstecken. Zum Zeitpunkt, als ich diesen Satz gesagt habe, musste ich mich auf meine direkte Wahrnehmung verlassen. Nachdem, was ich innerhalb dieser fürchterlichen halben Stunde gesehen habe, muss ich klar sagen: Bei dieser Art von Hass ist bei mir eine Grenze überschritten.
Sie wurden im Anschluss vielfach kritisiert, weil Sie sich in diesem Konflikt zwischen Fans und Funktionären scheinbar auf eine Seite schlugen.
In meinen Augen hat eine Gruppe dafür gesorgt, dass das Drei-Stufen-Modell fast bis zum Schluss durchgezogen worden wäre. Dass das Spiel vor dem Abbruch stand. Dass mittlerweile von manchen meine Kritik an dieser Aktion anscheinend als weitaus schlimmer bewertet wird als die Aktion selbst, damit muss ich leben.
Ein Punkt der Kritiker: Während des Spiels haben Sie die Beleidigungen an Dietmar Hopp mit dem rechtsradikalen Anschlag in Hanau in Verbindung gebracht. Halten Sie das immer noch für richtig?
Ich habe gesagt: „In Zeiten wie diesen mit Toten in Hanau.“ Ich habe aber niemals jemanden mit dem Täter oder den Opfern gleichgestellt und auch nicht die Vorfälle im Stadion mit dem Anschlag, sondern nur gesagt: In Zeiten wie diesen, da müssen wir im höchsten Maße sensibel umgehen mit Themen wie Rassismus, Diskriminierung und Homophobie. Und ich meine, dass in den Wochen, in denen jemand mit einer Waffe durch Hanau läuft, erst recht niemand auf einem Fadenkreuz-Banner gezeigt werden darf. Plakate wie diese stellen für mich eine Rote Linie dar, die überschritten worden ist.
Solche Plakate in den Zusammenhang mit dem Anschlag von Hanau zu bringen, empfinden viele trotzdem als falsch.
Wie gesagt: Es waren die Tage von Hanau. Trotzdem akzeptiere ich natürlich, wenn Leute anderer Meinung sind. (Überlegt.) Aber mir fehlt es an Verantwortungsbewusstsein, wenn bei Ereignissen der Dimension von Hanau nicht auch die zeitliche Nähe berücksichtigt wird.
Während des Spiels sind Sie aufgestanden und haben mitgeklatscht. Ein Zeichen der Solidarität mit Dietmar Hopp. Und ungewöhnlich für einen unabhängigen Journalisten. Würden Sie das wieder tun?
Die Situation war so, dass auf den Rängen die Menschen aufstanden und klatschten, während unten auf dem Rasen dieses absurde Gekicke bis zum Abpfiff begann. Ich hatte den Eindruck, dass viele Zuschauer nicht applaudierten, weil sie Dietmar Hopp als den größten Gönner unter der Sonne huldigten, sondern weil sie klarmachen wollten: Ja, wir akzeptieren eine andere Meinung, wir haben auch Verständnis für euren Protest, aber wir stellen uns dagegen, wenn eine Gruppe von Fans einen Spielabbruch provozieren will. Ich glaube, ein Großteil der Zuschauer hat so gedacht. Und diesem Statement habe ich mich angeschlossen.
Sie sagten in dem Moment: „Ich steh auf, klatsche mit (…) Als Protest gemeinschaftlich gegen Leute, die anscheinend mit Rassismus (gemeint ist Antirassismus, d. Red.), mit Gleichstellung, mit Demokratie, Ausgewogenheit, einem freien Leben nichts anfangen können, weil sie sagen: ‚Wir zeigen es den Leuten, die wir hassen, weil Hass ist unser Antrieb.‘“ Sie werten diese Proteste als Akt des Hasses. Aber dabei ging es doch um etwas anderes. Um den jahrelangen Konflikt zwischen Dietmar Hopp und den Fans, der Wochen zuvor in neuerlichen Kollektivstrafen gipfelte. Warum haben Sie das nicht eingeordnet?
Ich habe diesen Aspekt in meinem Kommentar ja nicht außer Acht gelassen, aber wollte in diesem Moment auch nicht den Eindruck erwecken, dass es eine Rechtfertigung für das Verhalten gäbe. Und aktuell sind wir doch dabei, eine gemeinsame Ebene in dieser Diskussion zu finden. Aber ich frage mich, inwiefern ich diesen Leuten entgegenkommen muss, die klarmachen: „Ich hasse eine Person.“ Müssen sich nicht vielmehr diese Leute damit auseinandersetzen, was Hass bedeutet und zu dem Ergebnis kommen, dass sie ihre Formulierungen überdenken und ändern müssen?
Ist das nicht Wortklauberei? Es ist doch klar, dass es nicht um Dietmar Hopp als Person geht.
Dass man damit eigentlich etwas anderes kritisieren will, rechtfertigt nicht jede Ausdrucksform des Protests.
In der Dokumentation bezeichnet der BVB-Fan Jan-Henrik Gruszecki den Tag in Hoffenheim als ein „absurdes Schauspiel“. Waren Sie Teil dieses Schauspiels?
(Überlegt.) Ja, klar. Aber wichtig ist: Ich hatte keine Honorarrolle. Ich war an diesem Tag dabei und ich habe es so kommentiert, wie ich es für richtig gehalten habe. Ich bin nicht instrumentalisiert worden. Ich habe das gesagt, was ich zu diesem Zeitpunkt sagen wollte. Ich habe übrigens zu diesem Tag auch nie eine Rückmeldung von den Vereinen erhalten.
Hat sich Ihre Einschätzung zu diesem Spiel nach einem Jahr verändert?
Ich habe mir überlegt, wie ich mich beim nächsten Mal verhalten muss, um das Risiko auszuschließen, instrumentalisiert zu werden. Dazu gehört, sich noch intensiver mit solchen Themen zu beschäftigen. Bei 30 Jahren Berufserfahrung kann ich aber auch sagen, dass es nichts nützt, sich vorab etwas zurechtzulegen. Sonst halte ich einen Spaten in der Hand, wenn die Wand gestrichen wird. Als Reporter muss ich mich auf meine eigenen Werte und meine Erfahrung verlassen.
Und wenn das nicht reicht?
In Sinsheim hatte ich mein Mikrofon für einen Augenblick ausgeschaltet. Es war ja auch ein Schockmoment für mich. Meine Aufgabe ist es, das Geschehen zu reportieren und zu kommentieren. Ich muss also eine Meinung zum Geschehen entwickeln. Beim nächsten Mal würde ich das Mikro vermutlich noch etwas länger stumm stellen, bis ich mir sicher bin, ob ich jede Ecke ausgeleuchtet habe, ob ich alle Details dieses Konflikts verstanden habe.
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* Hinweis: Die Redaktion hat weder auf Fotos noch Videos ein Plakat mit einem Fadenkreuz gesehen und darauf im Nachgang des Interviews hingewiesen. Kai Dittmann ist sich allerdings sicher, dass es ein solches Plakat gab.