Kevin Pannewitz galt als Supertalent, doch seine Karriere scheiterte gleich zweimal an Gewichtsproblemen. Wir sprachen mit ihm über seine Karriere.
Hinweis: Das Interview erschien erstmals im Juli 2020.
Kevin Pannewitz, in England ist Adebayo Akinfenwa, ein 100 Kilo schwerer Stürmer, in der vergangenen Woche in die 2. Liga aufgestiegen. Ein Vorbild?
Ich bin, glaube ich, eher sein Vorbild. (Lacht.) Nein, Gewicht ist nicht gleich Gewicht. Und so, wie er spielt, scheint er mehr Muskel- als Fettmasse zu besitzen. Bei mir ist das eher umgekehrt.
Akinfenwa gilt als Kult in England. Was macht einen Kultspieler aus?
Wichtig ist, dass derjenige sich nicht verstellt und wenn die Art und Weise bei den Menschen ankommt, dann hat er das Zeug zum Kultspieler. Ich glaube, ich war auch eine Art Kultspieler, einfach weil ich aufgefallen bin. Ob das immer positiv war – das ist ein anderes Thema. Aber ich bin ein Typ, der in der Regel gut bei den Menschen ankommt.
Macht es Sie denn glücklich?
Das ist halt mein Leben. Eines, das aus Turbulenzen bestand, weil ich zu jung und naiv war. Auch deshalb gibt es so viele Schlagzeilen über mich.
„Ich habe ihr gesagt, wenn Mats Hummels beim Stellungsspiel oder beim Spielaufbau noch Probleme hätte, könne er mich gerne anrufen, dann würde ich ihm noch ein paar Tipps geben“
Sie kommen gerade aus Thailand zurück. Dort haben Sie an der RTL-II-Show „Kampf der Realitystars“ mit Moderatorin Cathy Hummels teilgenommen. Konnten Sie sich mit ihr über Fußball unterhalten?
Wir haben ein, zwei Worte über Fußball gewechselt. Ich habe ihr gesagt, wenn Mats Hummels beim Stellungsspiel oder beim Spielaufbau noch Probleme hätte, könne er mich gerne anrufen, dann würde ich ihm noch ein paar Tipps geben. Es war aber zu hektisch, als dass sie darauf reagieren konnte.
Mit Promis unter Palmen. Wie kamen Sie mit den Starallüren der anderen zurecht?
Stars? Ich traf dort auf Willi Herren und Ähnliches. Letztendlich sind wir alle Menschen und selbst wenn dort Neymar auf mich gewartet hätte: Auch das wäre nichts Besonderes für mich. Mensch ist für mich Mensch.
Ende der 2000er Jahre galt Kevin Pannewitz als Supertalent. Doch statt den großen Durchbruch zu packen, machte der heute 30-Jährige Schlagzeilen mit Übergewicht und Partynächten. Mit der Teilnahme an einer TV-Show startet Pannewitz nach zwei gescheiterten Karrieren als Fußballer nun eine dritte als Realitystar. Im Interview erzählt er von der Fußballunterhaltung mit Cathy Hummels, Kurzpässen für seinen Trainer und warum er von einem Rostockfan fliehen musste.
Erzählen Sie ein bisschen von der Show.
Ich wurde über Instagram angeschrieben, ob ich Lust hätte, an einem TV-Format in Thailand teilzunehmen. Ich wollte einfach mal sehen, wie sowas abläuft. Am Anfang waren es zwölf Kandidaten und ich bin als Neuankömmling später dazugestoßen. Es war tatsächlich nicht ohne, wir wurden 24 Stunden am Tag gefilmt und es war so heiß, dass sich zwei Stunden Rumsitzen wie eine Trainingseinheit anfühlten. Wir mussten dort immer in Wettkämpfen gegeneinander antreten, das hat das Ganze nochmal anstrengender gemacht. Nebenher haben wir ziemlich gebechert. Am Ende jeder Woche konnten wir uns gegenseitig aus der Show wählen, für den Gewinner gibt’s 50.000 Euro.
Sie schlagen einen Weg ein, den zuletzt Ailton und Thorsten Legat beschritten haben.
Das habe ich schonmal gehört. Aber ich bin kein Realitystar, nur ein Fußballer, der ganz gut kicken konnte und durch Probleme aufgefallen ist. Was daraus jetzt wird, wird sich zeigen.
2009 bis 2012 – FC Hansa Rostock
2012 bis 2013 – VfL Wolfsburg
Juli bis Oktober 2013 – vereinslos
Oktober 2013 bis 2015 – Goslarer SC
2015 bis 2016 – VSG Altglienicke
2016 bis 2017 – Oranienburger FC Eintracht
2017 bis 2019 – FC Carl Zeiss Jena
seit 2019 – FC Amed
„Jeder denkt, er sei der Beste. Dabei treten die meisten auf dem Ball rum, bis er viereckig wird“
Sie spielen immer noch, hier in Berlin beim FC Amed, mit dem Sie zuletzt aufgestiegen sind. Ist die Kreisliga Ihre Welt?
Ich spiele auf der Zehn und muss nicht viel verteidigen, das macht Spaß. Die Jungs sind super, der Trainer auch. Deshalb gehe ich gerne zum Training, auch wenn nur acht Leute da sind und wir ein bisschen auf das Tor schießen. Wir flachsen auch immer rum, jeder denkt, er sei der Beste. Dabei treten die meisten auf dem Ball rum, bis er viereckig wird. (Lacht.)
Und Sie machen es besser?
Ich stelle mich nach vorne auf die 10, laufe in meine Räume rein und bekomme den Ball. Verteidigen muss ich nicht, ich spiele die Pässe.
Ist es so einfach?
Ich bin zwar fett, aber für die Kreisliga reicht es noch. Die Defensive in der Kreisliga, das ist vogelwild. Da deckt ja niemand die Räume. Ich sehe das und laufe mich frei, wenn ich den Ball dann bekomme, habe ich unendlich viel Platz. Das macht schon einen Riesenspaß.
Viele schwärmen von Ihrer Übersicht.
Ich sage immer: Was bringt dir ein Querpass, wenn du mit einem weiten Ball acht Leute überspielen kannst? Denn selbst wenn wir ihn dann verlieren, sind wir ja trotzdem im letzten Drittel. Wenn ich sehe, dass einer läuft, dann spiele ich den Ball einfach. Meinem Trainer gefällt das nicht immer. Aber, ganz ehrlich, für den spiele ich vorher zwei kurze Pässe und dann das nächste lange Ding.
Ist Ihnen der sportliche Ehrgeiz verloren gegangen?
Absolut nicht, ich kann nicht einmal im Training verlieren. Wenn wir zurückliegen und ich von meinen Teamkollegen noch Sprüche gedrückt bekomme, dann gebe ich 110 Prozent und mache notfalls alles alleine.
Sie sprechen jetzt von 110 Prozent im Training. Zu Beginn Ihrer Karriere wurde Ihnen aufgrund Ihres Talents eine große Zukunft vorhergesagt, trotzdem hat es zur Profikarriere nicht wirklich gereicht. Warum?
Ich war zu naiv und nicht reif genug fürs Geschäft. Ich wollte einfach nur Fußballspielen. Wir waren zu Beginn mit Spielern wie Bastian Oczipka, Fin Bartels oder Marcel Schied unterwegs und oft feiern. Die Jungs haben die Kurve bekommen. Fin Bartels, zum Beispiel, hat sich nach einem halben Jahr um 180 Grad – ach was, um 360 Grad – gedreht und ist überhaupt nicht mehr weggegangen. Ich dagegen habe es fortgeführt und mir nicht so viele Gedanken gemacht.
Konnten Sie als Fußballprofi überhaupt in Rostock feiern gehen?
Man muss das nur zum richtigen Zeitpunkt machen. Als wir mit Hansa gegen den Abstieg gespielt haben, ging mir mal ein Fan an den Kragen und sagte: „Was machst du hier? Du hast hier nichts verloren! Verzieh dich!“ Dann bin ich schleunigst heim, sonst wäre ich vermöbelt worden.
Wie sind die Verantwortlichen von Hansa mit Ihren Eskapaden umgegangen?
Bei Rostock haben viele Leute auf mich eingeredet. Paule Beinlich und René Rydlewicz sagten in Dauerschleife zu mir, wenn ich so weitermache, würde ich irgendwann 115 Kilo auf den Rippen haben und Kreisliga spielen. Falsch gedacht: Heute sind es 137 Kilo.
Damals sind Sie mit 20 Jahren von Hansa Rostock zum VfL Wolfsburg gewechselt. Wie haben Sie Feiern und Trainer Felix Magath unter einen Hut bekommen?
Ich habe zu dieser Zeit eine Menge investiert, so viel trainiert wie nie und ging auch nicht mehr oft feiern. Als Magath mich geschliffen hatte, war ich fitter denn je.
Können Sie das konkretisieren?
Ich war bei 89 Kilo – tiefer geht es nicht. Ich bin 1.86 Meter groß, wenn ich nur 86 Kilo wiege, sehe ich aus wie ein Magersüchtiger.
Wie sah das Training unter Magath aus?
Ich kann mich noch an eine Einheit erinnern, da kam ich gerade aus einer Krankheitspause zurück. Eine Stunde lang sind wir um den Platz gerannt und haben Intervallläufe gemacht. Magath hat gepfiffen und wir sind gerannt. Danach haben wir ein Spiel gemacht und beim ersten Antritt bekam ich einen Krampf. Ich lag auf dem Boden und war völlig kaputt. Wer bei Magath Schwäche gezeigt hat, war für ihn nicht gut genug. Er sagte zu mir, ich solle zur Seite rausrutschen. Den anderen rief er zu: „Lasst den liegen!“ Glauben Sie, da wäre ein Physiotherapeut gekommen und hätte mir geholfen?
Trotz der harten Arbeit haben Sie nicht ein einziges Bundesligaspiel bestritten.
Ich stand nicht einmal im Kader. Magath hat mich noch nicht als Bundesligaspieler gesehen. Wäre ich mal im Kader gewesen und er hätte mich belohnt für die Arbeit, wäre das geil gewesen. Und wenn es nur zwei Minuten in der Nachspielzeit gewesen wären, um die Erfahrung zu sammeln. Stattdessen wurde ich in die Zweite geschickt. Da bin ich zusammengebrochen.
Zeitgleich erkrankte Ihre Mutter an Krebs.
Ich habe gemerkt, dass Fußball nicht alles im Leben ist. Mir hat das völlig die Lust am Kicken genommen. Ich würde nie wieder gegen einen Ball treten, wenn meine Mutter dafür noch leben würde.
Sie sind mittlerweile selbst Vater. Wie ehrgeizig schauen Sie Ihrem Sohn beim Fußballspielen zu?
Ich bin da völlig entspannt, er ist vier Jahre alt. Einmal hat er sich mit dem Torwart unterhalten und dann haben sie ein Tor kassiert. Die Kids machen das, worauf sie Lust haben und das ist auch gut so. Wenn mein Sohn in zehn Jahren Bock auf Ballett oder Klavierspielen hat, soll er das machen.
Ist Fußball noch Ihre Leidenschaft?
Auf jeden Fall. Ich schaue jedes Spiel von Hansa Rostock.
Ihr Herzensverein?
Als Kind war es Hertha mit Gabor Kiraly, Marcelinho und Dariusz Wosz. Vor ungefähr einem Jahr habe ich Wosz bei einem Benefizspiel getroffen und mir sein Trikot geholt. Zu ihm habe ich aufgeschaut.
„Ein halbes Jahr spielte ich für die zweite Mannschaft, dann holte er mich in die 3. Liga“
2018 ist Ihnen das Comeback im Profifußball bei Carl Zeiss Jena in der 3. Liga gelungen. Wie kam es dazu?
Mein Freund Timmy Thiele spielte damals bei Jena. Nachdem sie ein Regionalligaspiel verloren hatten, habe ich Timmy damit aufgezogen. Er meinte daraufhin, ich solle abnehmen und zum Training kommen, wenn ich es besser könne. Er sprach mit den Vereinsverantwortlichen und ich fing an, für mein Comeback zu trainieren. Um die letzten 15 Kilo abzunehmen, hat mich Timmy bei sich wohnen lassen und angespornt.
Und dann?
Ich habe einen Test zu Beginn gemacht, der bewies, dass ich zwar fit war, aber meine Bewegungsabläufe und Reaktionszeiten waren weit hinter den Anforderungen. Im Training war das gar nicht zu sehen, weil ich halt kicken kann. Und auch ich dachte: Lasst mich doch einfach spielen! Trainer Mark Zimmermann hat es aber genau richtig gemacht. Ein halbes Jahr spielte ich für die zweite Mannschaft, dann holte er mich in die 3. Liga. Er hat mir die Zeit gegeben, die ich brauchte, ehe ich regelmäßig spielte.
Bis Lukas Kwasniok der neue Trainer in Jena wurde…
Der hatte gar keinen Bock auf mich. Ich bin nach Weihnachten mit zweieinhalb Kilo zu viel wiedergekommen, die hätte ich in zehn Tagen wegtrainieren können. Ich kam an einem Dienstagmorgen zum Trainingsgelände, mit einem Kaffee in der Hand und wurde ins Büro des Coaches gerufen. Dort empfing er mich mit Geschäftsführer Chris Förster und ich wurde fristlos gekündigt. Ich durfte nicht mehr mit der Mannschaft trainieren und musste direkt verschwinden.
Die Gewichtsprobleme ziehen sich durch Ihr ganzes Leben. Beneiden Sie deshalb andere Profis?
Ich beneide sogar meine beiden Brüder. Wenn ich die Gene meines kleinen Bruders hätte, dann hätte ich meinen Weg gemacht. Der kann essen, was er will, und bleibt schlank.
Sie wollten vor einem Jahr auf vegane Ernährung umsteigen. Wie schmeckt’s?
Ich habe das eine Woche lang probiert und es direkt wieder gelassen. Ganz ehrlich: Das macht überhaupt keinen Spaß. (Lacht.) Wenn ich abnehmen möchte, esse ich Suppen. Wichtig ist, dass ich dabei auf Kohlenhydrate verzichte, sonst habe ich keine Chance.
Was gab es diese Woche zu Essen?
(Überlegt.) Leberkäse, Ei, Spinat. Bolognese. Kartoffeln und Erbsen mit einer schönen Boulette.
Ganz normales Essen, oder? Das Problem ist, dass mein Körper damit nicht umgehen kann. Ich nehme zu. Wenn ich abnehmen will, muss ich meine Ernährung komplett umstellen.
Haben Sie ein Lieblingsgericht?
Kartoffelsuppe mit Würstchen, das könnte ich jeden Tag essen.
Sie sind mit 28 im besten Fußballeralter. Haben Sie noch einmal Lust auf Profifußball?
Ich will nochmal angreifen, dafür muss ich abnehmen. Durch die TV-Show sind einige Leute auf mich zugekommen, die das filmisch begleiten möchten. Durch das Coronavirus verzögert sich das alles ein bisschen, deshalb warte ich noch.
Ist Ihnen dann ein Filmprojekt wichtiger als Ihr sportliches Comeback?
Ich habe das in Jena schon einmal gepackt. Glauben Sie mir, damals kamen viele Leute auf mich zu und haben gefragt, wie ich das gemacht habe. Ich warte noch, um denen zu zeigen, dass es nie zu spät ist, um seine Ziele zu erreichen.
Was ist Ihr Ziel?
Champions League mit Gladbach – oder so. (Lacht.) Nein, ungelogen, ich traue mir die 3. Liga immer noch zu. Dass ich Fußballspielen kann, wissen wir alle. Am Ende geht es nur um meine Fitness. Und ich bin bereit, mich nochmal zu quälen.
Sicher?
Wissen Sie: Fett zu sein ist anstrengend. In diesem Zustand bin ich körperlich am Limit. Aber ich habe mein Leben lang trainiert, ich weiß, was ich machen muss und auch was ich erreichen kann.