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Seite 2: Erweckungsmoment Relegation

Dort, in dem Bereich vor dem Zaun, der das Spiel­feld umgibt, standen immer sehr viele Halb­wüch­sige. Viel­leicht weil es ihnen weiter oben dann doch nicht ganz geheuer war, vor allem Anfang der Acht­ziger, als die Borus­sen­front“ beson­ders aktiv war. Die hatte sich schon 1978 als lose orga­ni­sierte Klop­per­truppe gegründet, ver­sank aber um 1982 herum im braunen Sumpf. Das war das Jahr, in dem die Borus­sen­front“ zweimal die Kneipe von Werner Erd­mann über­fiel, einem ehe­ma­ligen Spieler des BVB. An den Folgen des zweiten Über­falls starb Erd­mann einige Monate später. Dabei galten beide Atta­cken in erster Linie seinem Sohn Peter, genannt Erbse. Der war in der Fan­szene bekannt wie ein bunter Hund, doch nach diesen Ereig­nissen bekam er Angst. Bald ver­ließ er Dort­mund, die Süd­tri­büne und den BVB. Er kehrte erst 2012 zurück, als ihn Gregor Schnittker auf­spürte und davon über­zeugte, dass Hauer und Faschos nur eine ver­schwin­dende Min­der­heit sind.

Junge Männer haben geheult. Der Schmerz, der aus den Gesich­tern der Men­schen sprach, war unglaub­lich.“

Lars Ricken über das Relegationsspiel gegen Fortuna Köln

Das waren sie natür­lich schon immer gewesen, wurden es aber ganz deut­lich in jenen zehn Jahren, etwa von 1986 bis 1996, als die Süd­tri­büne zum Schmelz­tiegel der Emo­tionen auf­stieg und den Ruf erhielt, den sie bis heute hat. Viele Leute glauben, dass man den Erwe­ckungs­mo­ment genau datieren kann, näm­lich auf den 19. Mai 1986. An diesem Pfingst­montag fand das zweite Rele­ga­ti­ons­spiel gegen For­tuna Köln statt. Borussia hatte das Hin­spiel 0:2 ver­loren und lag daheim zur Pause 0:1 zurück. Drei Tore mussten her, um wenigs­tens ein Ent­schei­dungs­spiel zu erzwingen. Jeder im Sta­dion wusste, dass ein Abstieg den Sturz in die Bedeu­tungs­lo­sig­keit bedeuten würde, weil der Klub damals prak­tisch pleite war. Und so schrie die Süd, wie sie noch nie geschrien hatte. Sie schrie tat­säch­lich zwei Tore herbei. Doch als die letzte Minute anbrach, fehlte noch eines. Die erste Fans sanken heiser auf den Stufen zusammen.

Einer der Halb­wüch­sigen, die damals direkt am Zaun standen, war ein Neun­jäh­riger namens Lars Ricken. Ich habe Fans nie wieder so ver­zwei­felt gesehen“, sagt er. Junge Männer haben geheult. Der Schmerz, der aus den Gesich­tern der Men­schen sprach, war unglaub­lich.“ Dann, mit dem letzten Angriff des Spiels, flankte Ingo Ander­brügge vors Tor und irgendwie sto­cherte Jürgen Weg­mann den Ball über die Linie. 

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Unten am Zaun, vor den Stufen der Süd­tri­büne, standen und stehen viele junge Fans. Hier sah Lars Ricken das Weg­mann-Tor.

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Es gibt zwei Ver­sionen über das, was danach geschah. Einigen Fans platzte fast das Trom­mel­fell, weil die Süd den lau­testen Jubel­schrei aus­stieß, der je gehört worden ist. Andere Fans hörten – nichts. Für sie fror die Welt einen Moment lang ein, als hätte jemand die Pau­sen­taste gedrückt, und eine gespens­ti­sche Stille trat ein. Bis die Bier­be­cher ebenso flogen wie man selbst – drei, vier, fünf Stufen hinab. Es war viel­leicht das wich­tigste Tor der ganzen Ver­eins­ge­schichte“, sagt Ricken. Ich kann mir nicht vor­stellen, dass die Fans sich mehr gefreut haben, als wir Meister wurden oder die Cham­pions League gewannen.“