Clemens Tönnies tritt von allem Ämtern beim FC Schalke 04 zurück. Wie das „System Tönnies“ funktionierte, schilderte uns Kornelia Toporzysek, die nach dem Rassismus-Skandal um den Aufsichtsratsvorsitzenden im vergangenen Sommer aus dem Schalker Ehrenrat zurücktrat.
Wie lief die Sitzung ab?
Es war eine lange, sehr turbulente und sehr anstrengende Sitzung. Wir hatten einen ganzen Leitz-Ordner vor uns voll mit Schreiben von Leuten, die an den Ehrenrat appelliert haben, etwas gegen Clemens Tönnies zu unternehmen. Dabei waren auch Austrittserklärungen oder Ankündigungen auszutreten. Was mich aber wirklich überrascht hat, war, dass ein Mitglied des Ehrenrats von Anfang an die Rolle des Verteidigers von Herrn Tönnies übernommen hat. Dieses Mitglied hat ihn auch schon in anderen Verfahren anwaltlich verteidigt. Das konterkariert die Arbeit des Ehrenrats, wie ich sie mir vorstelle, komplett. Das hat mit einem normalen Verfahren nichts zu tun.
Welchen Eindruck hatten Sie in der Sitzung von Clemens Tönnies?
Er war sehr zerknirscht. Ich hatte das Gefühl, dass er genau wusste, was er angerichtet hat. Nichts wäre ihm lieber gewesen als die Möglichkeit, das rückgängig zu machen. Er wollte um jeden Preis verhindern, als Rassist gebrandmarkt zu sein. In meiner Wahrnehmung ist er das auch nicht. Er hat sich rassistisch geäußert. Er mag mit seinen Großwildjagden ein kolonialistisches Bild von Afrika vermitteln. Aber wenn ich an einen typischen Rassisten denke, denke ich nicht an Clemens Tönnies.
Nach der Sitzung teilte der Verein mit, Clemens Tönnies lasse sein Amt für drei Monate ruhen. Hat er sich seine „Strafe“ selbst ausgesucht?
Da gehen die Erinnerungen der Ehrenräte etwas auseinander. In meiner Erinnerung wurde Clemens Tönnies nach mehrstündiger Sitzung signalisiert, dass es auf eine Suspendierung für einen gewissen Zeitraum hinausläuft. Da hat er zum Ausdruck gebracht, das zu akzeptieren. Den konkreten Zeitraum von drei Monaten hat dann, so weit ich mich erinnere, Tönnies selbst ins Spiel gebracht. Der damalige Protokollführer hingegen ist sich sicher, dass er diesen Zeitraum vorgeschlagen habe. Was jedoch sicher ist: Es gibt keinen förmlichen Beschluss mit Unterschriften der Ehrenräte.
Was wäre in Ihren Augen eine angemessene Sanktion gewesen?
Die beste Lösung wäre gewesen, Clemens Tönnies wäre freiwillig zurückgetreten. Wenn er dazu nicht bereit ist, hätte der Ehrenrat die Kraft und die Courage haben müssen, die Sache entlang der Interessen des Vereins sauber aufzuarbeiten und dadurch die Reputation und die Glaubwürdigkeit des Vereins wiederherzustellen. Das hat man hinten angestellt, weil Clemens Tönnies nicht als Rassist bezeichnet werden wollte.
„Auch vor dem Aufsichtsratsvorsitzenden muss das Leitbild glaubwürdig verteidigt werden“
Das mediale Echo auf die Entscheidung war verheerend.
Und das mit Ansage. Darauf habe ich in der Sitzung auch mehrfach hingewiesen – ohne Erfolg. Der Umgang des Vereins und insbesondere des Ehrenrats mit der Äußerung haben dem FC Schalke 04 sehr viel mehr geschadet als die Äußerung selbst. Denn letztendlich war es ein Paradebeispiel dafür, dass die Befindlichkeiten von Clemens Tönnies Vorrang vor dem Interesse des Vereins haben, seine Satzung und sein Leitbild einzuhalten – ungeachtet der Person. Auch vor dem Aufsichtsratsvorsitzenden muss das Leitbild glaubwürdig verteidigt werden. Das ist versäumt worden. Der Ehrenrat hat nicht die Kraft gehabt, mit der Äußerung angemessen umzugehen. Das trifft mich heute noch sehr.
Sind sie deshalb zurückgetreten?
Ja. Nach meiner Amtsauffassung dürfen die Interessen einer Einzelperson, und wenn sie noch so viel für den Verein getan hat, niemals Vorrang vor den Vereinsinteressen haben. Ich habe bestimmte Prinzipien und bin sehr konsequent. Da sind mir der Platz in der Gremienloge, in der ich die Spiele mit alten weißen Männern gucken muss, und der Parkplatz auf P1 dann egal. Ich habe eine Dauerkarte und sitze dort gerne mit meinen Leuten zusammen. Und mein Bier kann ich auch selbst bezahlen.
Sie haben mit Ihrem Rücktritt allerdings fast einen Monat gewartet.
Weil ich zunächst eine gremieninterne Aussprache eingefordert habe. Da ein Ehrenratsmitglied in der Reha war, konnte die aber erst Mitte September stattfinden. Diese Aussprache hat für mich allerdings alles noch viel schlimmer gemacht. Als ich danach zurückgefahren bin, habe ich nachts um halb eins noch lange mit einem Freund telefoniert. Da war meine Entscheidung eigentlich schon gefallen. Ich habe dann nochmal eine Nacht darüber geschlafen und bin dann zurückgetreten.
Inwiefern hat Sie die Aussprache in Ihrem Entschluss, zurückzutreten, bestärkt?
Ich habe gemerkt: Ich bin im Ehrenrat isoliert. Ich stehe eins gegen vier und werde hier gar nichts mehr bewirken. Ich habe Sachen angeprangert und Vorwürfe geäußert, die nicht entkräftet, sondern noch verschlimmert wurden. Man hat versucht, mich anzulügen. Mein Vertrauen war auf Null, um mal den Leiter des Krisenstabs im Kreis Gütersloh zu zitieren.