Eigentlich wollte Christian Groß seine Karriere nach Jahren in der 3. Liga in Ruhe bei Werder II ausklingen lassen. Dann verletzten sich vier Verteidiger gleichzeitig – und Florian Kohfeldt nahm den damals 30-Jährigen mit ins Trainingslager. Jetzt ist er Bundesliga-Profi. Der älteste Newcomer der Liga im Interview.
Christian Groß, bevor wir auf ihren außergewöhnlichen Weg in die Bundesliga zu sprechen kommen, müssen wir Ihnen eine andere Frage stellen: Was zum Geier war am 27.10.2018 beim 5:2 zwischen Werder II und Oldenburg los?
Sie meinen meinen Viererpack? Schön, dass diese Frage kommt! (Lacht.) Das war in der Regionalliga-Saison bei der U23 von Werder. Da habe ich Woche für Woche auf unterschiedlichen Positionen gespielt, weil Woche für Woche andere Jungs von den Profis runterkamen, die dann auf ihren Stammpositionen eingesetzt werden sollten. An dem Tag hat es mich, glaube ich zumindest, auf die Acht verschlagen. Und da habe ich natürlich direkt mal meinen Torriecher gezeigt. (Lacht.)
Wieso sind Sie überhaupt in der U23 von Werder gelandet? Vor dem Wechsel nach Bremen hatten Sie in ihrer Karriere immerhin schon 182 Drittligapartien bestritten, Sie waren ein gestandener und erfahrener Stammspieler beim VfL Osnabrück.
Für mich hat sich 2018 die Frage gestellt, ob ich in der 3. Liga bleiben oder langsam die Weichen für die Zukunft stellen möchte. Und zu einem großen Verein wie Werder gehe, wo ich auch ein bisschen hinter die Kulissen schauen und neue Erfahrungen sammeln kann. Außerdem war das erste Kind unterwegs und ich wollte mit der Familie zurück in die Heimat. Ich bin ja in Bremen geboren und in Cloppenburg aufgewachsen.
Spielte die Bundesligamannschaft in Ihren Überlegungen eine Rolle?
Nein. Überhaupt nicht.
Werders U23 führten Sie ein Jahr als Kapitän durch die Regionalliga – bis zum Sommer 2019. Wie haben Sie erfahren, dass Sie bei den Profis mittrainieren sollen?
Konrad Fünfstück, der Trainer der U23, kam zu mir und meinte, Florian Kohfeldt hätte ihn angerufen. Ich solle mit ins Trainingslager der Profis fahren, weil so viele Innenverteidiger verletzt ausfielen und Kohfeldt mich für den Trainingsbetrieb bräuchte. So wurde es mir übermittelt. Ich habe mich riesig gefreut – meine Frau allerdings eher so mittel. Unser erstes Kind war grade erst zur Welt gekommen und ich musste plötzlich von einem Tag auf den anderen für eine ganze Weile abhauen. Aber naja, in dem Fall hatte ich keine Wahl. (Lacht.) Heute wissen wir beide: hat sich gelohnt.
hat in seiner Karriere 182 Drittligaspiele für Babelsberg und Osnabrück gemacht, außerdem spielte er vor seiner Zeit in Bremen für Lotte und für die Jugend und in der U23 vom Hamburger SV. Seit 2018 ist er bei Werder, zunächst als Kapitän der U23 in der Regionalliga, und seit 2019 bei den Profis in der Bundesliga.
„In der 3. Liga geht es mehr ums Kollektiv“
Wie geht man so ein Trainingslager an? Mit Schaum vorm Mund? Mit einem Lächeln auf den Lippen?
Ich war relativ entspannt – also echt. Vielleicht war diese Gelassenheit genau das, was mir in jungen Jahren in Hamburg gefehlt hatte. Damals durfte ich ja als 20-Jähriger auch eine Weile bei den Profis dabei sein, doch es lief nicht ganz so gut. Dieses Mal, zehn Jahre später, wollte ich einfach lernen. Mein Ziel ist schon länger, nach der Karriere im Profibereich Fuß zu fassen, in welcher Funktion auch immer. Durch das Trainingslager, so dachte ich im Sommer 2019, würde ich ein Bundesliga-Team aus der Nähe beobachten können, die Detailarbeit, den Tagesablauf, die taktischen Dinge. Der Gedanke war, die Zeit gut zu nutzen, Leute kennenzulernen, sich den Betrieb da oben mal genauer anzuschauen. Mehr hatte ich nicht im Kopf.
Gab es Dinge, die Sie so aus den unteren Ligen überhaupt nicht kannten? Dinge, die Sie bei Werders Profis besonders beeindruckt haben?
Klar, ganz viele: der Trainings-Umfang, die Besprechungen, die Analysen vom kommenden Gegner, die Analysen vom eigenen Spiel. Im Trainingslager haben wir zum Beispiel auf dem Platz Dinge einstudiert – und daneben stand der Videoanalyst mit seinen Kameras, hat die Übungen aufgezeichnet, ist direkt danach mit uns in ein kleines Zelt gegangen und hat sich dann die Szenen mit uns zusammen angeschaut. Näher dran geht es nicht. Das hat total geholfen, die Übungen beim nächsten Mal deutlich besser umzusetzen.
Im Trainingslager haben Sie Florian Kohfeldt offensichtlich überzeugt – Sie durften nicht nur weiter bei den Profis trainieren, sondern sind mittlerweile Stammspieler in der Bundesliga. Was macht mehr Spaß: Vier Tore gegen Oldenburg oder kein Lewandowski-Gegentor in München?
Vier Tore in der Regionalliga sind schön und gut, aber sich als Innenverteidiger in der Bundesliga mit Spielern vom FC Bayern zu messen, macht mehr Spaß.
Was genau macht ein Robert Lewandowski besser als ein, sagen wir mal, Anton Fink in der 3. Liga?
Lewandowski ist halt aktuell der beste Stürmer der Welt. Der macht alles überragend gut. Insofern kann man den mit kaum einem Spieler auf der Welt vergleichen. Ich würde die Frage deswegen auch etwas allgemeiner stellen: Was ist der Unterschied zwischen der 3. Liga und der 1. Liga? In der Bundesliga gibt es viel, viel mehr Spieler, die eine Partie mit ihrer individuellen Klasse entscheiden können. In eigentlich jedem Kader gibt es einen oder zwei Jungs, die selbst an schlechten Tagen die eine entscheidende Aktion haben können. In der 3. Liga gibt es die kaum, auch wenn Anton Fink ebenfalls ein außergewöhnlicher Torjäger ist. Aber da geht es mehr ums Kollektiv.
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