Der Rassismus war nie weg aus dem deutschen Fußball, er hat nur sein Gesicht verändert. Zum internationalen Tag gegen Rassismus erzählen sieben Spieler von ihren Erfahrungen – auf dem Platz und im Alltag.
Dieser Text erschien in Heft #225. Erhältlich bei uns im Shop.
Im Dezember 1990 schrieben Anthony Baffoe, Anthony Yeboah und Souleymane Sané einen offenen Brief, in dem sie um Solidarität im Kampf gegen Rassismus baten. Der Titel lautete: „Wir sind kein Freiwild.“ Damals wurden schwarze Spieler in Stadien jede Woche rassistisch beleidigt, sie wurden mit Bananen beworfen und ihre Ballberührungen von Affenrufen begleitet. Es hat sich seitdem einiges zum Guten verändert im deutschen Fußball, viele Kurven sind buntere Orte geworden. Trotzdem: Der Rassismus ist nicht verschwunden. Nicht aus den Stadien, nicht aus der Realität der schwarzen Spieler. Dieses Jahr wurden Herthas Jordan Torunarigha und der Würzburger Leroy Kwadwo rassistisch beleidigt, und der ehemalige Schalke-Aufsichtsrat Clemens Tönnies fabulierte über „die Afrikaner“ und deren Paarungsverhalten. Dann starb George Floyd bei einer Polizeikontrolle. Wenn es etwas Gutes an seinem gewaltsamen Tod gegeben hat, ist es vielleicht eine neue globale Auseinandersetzung mit dem Thema Rassismus. Denn Rassismus beginnt nicht erst am AfD-Wahlstand oder mit Affenrufen. Er beginnt viel früher.
Geboren und aufgewachsen in der Nähe von Kiel. Spielte als Profi u. a. für Hannover und Düsseldorf, ehe der 2016 zum FC St. Pauli wechselte. Er engagiert sich bei der internationalen Initiative „Show Racism the Red Card“.
Will Smith hat neulich gesagt, der Rassismus ist nicht schlimmer geworden, er werde nun lediglich gefilmt. Ich glaube, das beschreibt es gut. Denn Rassismus ist und war immer da. In ganz verschiedenen Formen. Und er wird ganz unterschiedlich wahrgenommen. Ich habe als Kind zum Beispiel Erfahrungen gemacht, die ich damals nicht als rassistisch gewertet habe, aber im Rückblick rassistisch nennen würde.
Ich erinnere mich gut an meine theoretische Prüfung für den Rollerführerschein. Ich fiel dreimal durch, obwohl ich jedes Mal gelernt hatte und die Fragen beantworten konnte. Beim ersten Mal dachte ich: Blöd, dann halt noch mal. Beim zweiten Mal wurde ich skeptisch. Beim dritten Mal sagte mein Fahrlehrer: „Da kann was nicht stimmen.“ Er ließ sich meine Prüfungsbögen geben, und siehe da, eigentlich hätte ich schon beim ersten Mal bestanden. Mein Fahrlehrer erklärte mir damals, dass der Prüfer etwas gegen mich habe. Wegen meiner Hautfarbe, wegen meiner afrikanischen Wurzeln. Ich nahm das so hin, verstanden habe ich es nicht. Warum wollte der Mann mir Schlechtes? Er kannte mich nicht, ich hatte ihm nichts getan. Rassisten, das hatte ich bis dahin gedacht, waren Typen, die Schwarze mit dem N‑Wort beschimpfen und mit ihren Baseballschlägern auf sie losgingen.
Ich bin aufgewachsen in einem kleinen Ort zwischen Eckernförde und Kiel. Mein Vater stammt aus Ghana, meine Mutter ist gebürtige Deutsche. Ich hatte eine gute Kindheit und Schulzeit. Ich hatte jedenfalls wegen meiner Hautfarbe nie Angst, durch die Straßen zu gehen. Es gab keinen Grund dazu. Bis zu jenem Tag am Bahnhof.
Ich war damals 13 oder 14 Jahre alt, und meine Stiefschwester und ich wollten nach Kiel fahren. Als wir zum Bahnhof kamen, taumelten drei Männer aus einer Kneipe und beschimpften mich rassistisch. In mir kam ein Gefühl hoch, das ich bis dahin nicht gekannt hatte: eine Mischung aus großer Traurigkeit und starker Wut. Ich rannte auf die Männer zu, ein Schuljunge gegen drei Erwachsene, eine verrückte Idee. Zu meiner Überraschung drehten die Männer um und rannten zu ihrem Auto. Sie öffneten den Kofferraum. Dann drehten sie sich wieder zu uns und kamen mit Baseballschlägern und Springmessern auf uns zu. Ich nahm meine Stiefschwester. Wir sind einfach nur gerannt.
„Als Schwarzer ist man immer verdächtig“
Wir versteckten uns in der Stadt und schlichen erst wieder zum Bahnhof, als der Zug einfuhr. Blitzschnell sprangen wir in den Waggon und schauten aus dem Fenster. Die drei Männer waren immer noch da, sie fuhren in ihrem Wagen um den Bahnhof. Sie hatten sich sogar Verstärkung geholt. Sie waren auf der Suche nach uns. Ich weiß nicht, warum das so ist, aber das Auto hat sich in meine Erinnerung gebrannt: ein Audi A4 in einem sehr hässlichen Blau. Was stimmte nicht bei diesen Typen?
Ich habe mich mit der Zeit an vieles gewöhnt und mir auch ein kleines Fell zugelegt. Solange mich niemand direkt beleidigt, mache ich mir keinen Kopf um Gesten oder Blicke, die sonderbar wirken. Die vielleicht von anderen Schwarzen, die in ihrem Leben mehr Rassismus als ich erlebt haben, als rassistisch gesehen würden. Vieles ist ja auch Interpretation meinerseits. Aber es gibt ganz klassische Situationen, die immer wieder kommen und bei denen es nichts zu interpretieren gibt. Die zum Alltag gehören. Vor allem: Polizeikontrollen. In einem schicken Auto hat man als Schwarzer, salopp gesagt, die Arschkarte gezogen. Ich habe es erlebt, dass Polizisten Actionfilm-artige Wendemanöver machen, wenn sie mich am Steuer sehen. Als Schwarzer ist man immer verdächtig.
Das musste ich auch erleben, als ich voriges Jahr mit ein paar Kumpels von einem Konzert kam. Ein paar Freunde mit Migrationshintergrund waren dabei, vier Schwarze, aber auch weiße Deutsche. Es war ein tolles Konzert, die Stimmung war ausgelassen. Bis zwei Polizisten uns anhielten und meinen besten Freund aus der Gruppe zogen. Angeblich, so sagten die Beamten, passe die Beschreibung eines Handydiebs auf ihn. Sie nahmen Personalien auf und untersuchten meinen Freund. Natürlich fanden sie keine Diebesware, denn er war ja nicht der Gesuchte. Es war reine Willkür und Schikane, und wir haben ordentlich Theater gemacht. Irgendwann sagte der eine Polizist: „Du kannst froh sein, dass wir deinen Freund hier nicht direkt überwältigt haben.“ Was für eine Aussage, dachte ich. Und dann sagte ich: „Wir sind hier immer noch in Deutschland!“
Geboren und aufgewachsen im baden-württembergischen Kuchen, Landkreis Göppingen. Ist einer der besten fünf Stürmer in der Vereinsgeschichte von Energie Cottbus. Zwischen 2019 bis 2021 spielte er für den SC Paderborn, unter anderem in der Bundesliga. Mittlerweile läuft er für Dalian Professional in China auf.
Meine Eltern sind aus dem Kongo nach Deutschland geflohen und haben hier, in Kuchen in Baden-Württemberg, Asyl beantragt. Bis ich sieben Jahre alt war, lebten wir gemeinsam mit meiner Schwester in einer Container-Unterkunft. Wir hatten zwei kleine Räume für uns vier, ein Schlafzimmer und ein Wohnzimmer. Küche, Toilette und Badezimmer haben wir uns mit anderen Menschen geteilt. Ich persönlich habe meine Kindheit trotzdem als sehr schön in Erinnerung, ich kannte es ja nicht anders. Deswegen war ich immer mit dem zufrieden, was wir hatten. Auch wenn es nicht viel war – beziehungsweise eigentlich fast gar nichts. Meine Eltern hatten zum Beispiel nicht das Geld, um mir einen Fußball zu kaufen. Aber eines Tages war im Nahkauf ein Basketball im Sonderangebot – da haben sie dann zugeschlagen. Von da an habe ich halt mit einem Basketball gekickt.
Rassistische Erfahrungen habe ich in dieser Zeit eigentlich keine gemacht. Höchstens in der Form, dass alle immer dachten, ich würde beim Basketball total abgehen. Da waren die Erwartungen stets: Ein dunkelhäutiger Junge? Der muss doch Basketball zocken können! Aber das war bei mir nicht der Fall. Dazu fehlte mir einfach die Körpergröße. Und: Mein Name wird bis heute falsch geschrieben. Eigentlich heiße ich „Strely“, aber da sich das „y“ wie ein „i“ spricht, wurde ich irgendwann einfach immer Streli geschrieben. So haben es die Behörden in meinen ersten Ausweis gedruckt, so steht es dementsprechend auch in meinem Spielerpass. Jetzt ist es wohl zu spät, daran noch zu rütteln. Obwohl mir die Schreibweise meiner Eltern eigentlich lieber ist.
Richtig umgeschaut habe ich mich zum ersten Mal, als ich von Sandhausen II nach Cottbus gewechselt und dort am Hauptbahnhof ausgestiegen bin. Ich dachte nur: „Wo bin ich hier denn gelandet?“ Jede Stadt versprüht ja eine Atmosphäre, und egal wo man hinkommt, man entwickelt immer recht schnell ein Gefühl für den Vibe einer Stadt. Und in Cottbus war dieser Vibe für mich zunächst nicht sonderlich einladend: Die Leute guckten mich komisch an, es war grau, im Vergleich zum Südwesten wirkte alles etwas verkrampft. Aber ich dachte mir: „Scheiß drauf.“ Und ich habe mit der Zeit auch dort tolle Menschen kennengelernt, und die Stadt selber, mit dem historischen Marktplatz und der Altstadt, ist nicht nur grau, im Gegenteil, es gibt tolle Ecken. Aber Fakt ist auch: Wenn die Leute mich als dunkelhäutigen Menschen in einem schicken Auto gesehen haben, haben sie komisch geguckt. Genauso, wenn ich mit etwas teureren Klamotten durch die Stadt gelaufen bin. Es gab komische Blicke – oder dumme Bemerkungen.
„Ist das sein Ernst? Sehe ich aus, als käme ich vom Mars?“
Ich wurde auch rassistisch beleidigt. Einmal wartete ich am Bürgersteig auf einen Freund, der mich mit dem Auto abholen wollte. Dann kam gleich ein Typ an: „Gehen Sie sofort von meinem Grundstück!“ Ich meinte nur: „Hä? Ich stehe doch auf dem Bürgersteig und warte nur kurz.“ Dann wurde es gleich ernst: „Gehen Sie hier weg. Hauen Sie ab. Gehen Sie dahin, wo Sie herkommen.“ Da meinte ich nur, dass ich aus Deutschland käme und wo ich seiner Meinung nach denn hingehen solle. Aber das war ein älterer Mann. Noch schlimmer empfinde ich rassistisches Denken, wenn es von jungen Leuten kommt. Einmal war ich im Supermarkt, hinter mir stand ein junger Kerl. Ich hatte meine Einkäufe auf das Band gelegt, aber Kaugummis vergessen, und musste deshalb noch mal kurz nach hinten in der Schlange, um welche zu holen. Ich ging also für einen Augenblick weg, und sofort rutschte der Kerl vor mich. Also sagte ich: „Entschuldigung, können Sie mich bitte vorbeilassen?“ Er reagierte nicht. Er dachte, die Stimme könne auf keinen Fall meine sein, weil es ja deutsche Worte waren. Dann habe ich ihn angetippt. Er drehte sich um, guckte mich an und sagte: „Du kannst ja deutsch …?“ Ich dachte nur: Ist das sein Ernst? Sehe ich aus, als käme ich vom Mars?
Einerseits denke ich bei rassistischen Beleidigungen, wenn einer mich mit dem N‑Wort beschimpft: Das sind schwache Menschen, die können sich nicht anders helfen und gehen deswegen auf die Hautfarbe. Weil sie sich davon erhoffen, mich wirklich zu treffen. Andererseits denke ich: Das sind teilweise die gleichen Leute, die mir dann am Wochenende im Stadion zujubeln. Und dann regt es mich natürlich auf. Zurzeit häufen sich die rassistischen Beleidigungen in Stadien ja auch wieder, in Italien, in England. Und ich wäre der Erste, der vom Platz gehen würde, wenn so etwas bei einem Spiel von mir passieren würde. Egal, wie es steht oder was das für Konsequenzen hätte. Man darf Rassismus nicht tolerieren. Ich bin fest davon überzeugt: Alle Menschen sind gleich. Wir atmen die gleiche Luft, egal ob schwarz, weiß, gelb oder rot. Ich bin nicht anders als Sie.
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