In unserer Serie „Meine Lieblingself“ präsentieren 11FREUNDE-Autoren die Mannschaft ihres Lebens. Heute: Stephan Reich, der selig an eine Grätsche Dirk Schusters denkt und sein Kunstverständnis von Dennis Bergkamp hat.
Torwart: Andreas Köpke
Sechs Abstiege stehen in der Vita des Europameisters von 1996, und gemessen an der Klasse Köpkes ist das eine himmelschreiende kosmische Ungerechtigkeit. Andererseits setzt sich Köpke durch diese ihm eigene Tragik auch von den Gegenspieler fressenden, Titel hamsternden Kahns oder aalglatten, Softerotik schreibenden Illgners seiner Ära ab. Wobei ich, während ich dies schreibe, fast wieder ein wenig zu Bodo Illgner tendiere, schließlich erfordert es eine ganz besondere Art von Chuzpe, als Fußballprofi schlüpfrige Blitz-Illu-Sätze über Glieder und Bananengschmack-Gummis zu schreiben. Heutzutage ja leider undenkbar. Also überdenke ich die Torhüterposition noch mal und blättere ein wenig in „Alles – ein fiktiver Tatsachenroman“, aus, äh, Recherchegründen.
Innenverteidiger: Dirk Schuster
Es muss Mitte der Neunziger gewesen sein, als mir Dirk Schuster zeigte, dass eine saftige Grätsche ebenso wunderschön sein kann wie ein Tor. Schuster stand in Diensten des Karlsruher SC und der Regen hatte das Feld zu einer großen Lache verwandelt, in der das Spiel vor sich hinplätscherte. Irgendwann kam ein Gegenspieler an der Seitenlinie an den Ball, etwa auf Höhe der Mittellinie, also in jenem Bereich des Feldes, in dem eine Grätsche schon per se eine Gelbe Karte nach sich ziehen müsste. Schuster aber genoss das alles so sehr, den regennassen Platz, das graue Ligamittelfeld, Grätschen ja eh, dass er mit gefühlten vierzig Metern Anlauf eine derart kompromisslose Blutgrätsche in die Gräue dieses tristen Bundesliganachmittags senste, dass der Schiri, der mit empörter Mine über den Platz sprintete, schon 50 Meter von Schuster entfernt aufgebracht mit der Roten Karte wedelte. Schuster war mindestens zehn Meter durch eine Pfütze gerutscht, hatte beide Beine knapp zehn Zentimeter vom Boden angehoben und die Arme angewinkelt, als würde er auf einem imaginären Schlitten sitzen. Wer der bemitleidenswerte Gegenspieler damals war, weiß ich leider nicht mehr, aber ich gehe davon aus, dass er von Schuster ohnehin durch die Realität hindurch in eine Paralleldimension getreten wurde. Jahre später, als es bei uns zuhause endlich Internet gab, war ein Video der Schuster-Grätsche mit das erste, was ich suchte, leider erfolglos, doch bis heute reden ich und mein Bruder ab und an von ihr.
Linker Verteidiger: Andreas Brehme
Vor Andreas Brehmes Final-Elfmeter war Fußball für mich eine lustige Ansammlung bunter Punkte in unserem kleinen Röhrenfernseher gewesen, die wirr durcheinanderwuselten, den Frootloops in der Schale Milch, mit der ich mich davor platzierte, nicht unähnlich. Nach Andreas Brehmes Final-Elfmeter, als sich auf dem Melsunger Marktplatz eine jubelnde Menschenmenge in den Armen lag und ich mit strahlenden Augen die Hupe unseres Autos im Autokorso drücken durfte, war Fußball immer noch ein ziemlich wirres, buntes Gewusel, aber immerhin dämmerte mir die Bedeutsamkeit des Ganzen, und die emotionale Kraft, mit der dieser Sport Menschen zusammenbringen kann. Schnüff.
Rechter Verteidiger: Sergej Gorlukowitsch
Dabei war mir jedoch stets bewusst, dass Fußball auch hässlich sein kann. Sergej Gorlukowitsch brachte mir diese Lektion bei, ein knochenharter Verteidiger, der zu Beginn der Neunziger durch die Strafräume der Liga buckelte, immer auf der Jagd nach einem weiteren Sprunggelenk für seine Wohnzimmervitrine. Gorlukowitsch erinnerte mich an den Glöckner von Notre Dame, vor dem ich Angst hatte, und sein Name klang schon so, als würde man sich beim Zahnarzt am Bohrer des Doktors verschlucken. Er stand für alles, was an diesem Spiel unschön ist. Aber das gehört eben auch dazu.
Zentrales Mittelfeld: Eric Cantona
Eric Cantona steht nicht etwa wegen seiner unbestreitbaren fußballerischen Klasse hier, vielmehr wegen seiner unglaublich bosshaften Ausstrahlung, seiner Aura, die man selbst am anderen Ende einer Fernsehübertragung viele hundert Kilometer entfernt noch spüren konnte. Wobei es bezüglich seiner fußballerischen Klasse und seiner Ausstrahlung sicherlich eine Wechselwirkung gab, die ihn erst zu der dominanten Figur gemacht hat, die er im englischen Fußball über Jahre war. Sein Tor gegen Sunderland ist dabei das perfekte Beispiel. Mit Wucht bis zum Strafraum durchdominieren, dann den Ball perfekt in den Winkel heben, um anschließend, ganz der Boss, im Jubel zur eigenen Statue zu werden. Von allen Spielern in dieser Liste tut es mir am meisten um Cantona weh, dass ich ihn nie habe live spielen sehen, denn wahrscheinlich ist mir eine Gänsehaut von Tantra-Ausmaßen durch die Lappen gegangen. Jetzt muss ich ersatzweise alle seine Filme gucken. Auch gut.
Offensives Mittfeld: Ronaldinho
Wie viele Oberschenkelknochen bei dem Versuch, Ronaldinhos Standard-Trick nachzuahmen, auf internationalen Bolzplätzen schon aus ihren Gelenkpfannen geplatzt sind, wird wohl ungeklärt bleiben. Alleine der Gedanke daran, in vollem Lauf den Ball in einer Bewegung auf dem Fuß erst nach rechts, dann nach links zu bewegen, lässt mich stolpern, selbst wenn ich sitze. Leider war Ronaldinho seit der Mitte seiner Zwanziger eher dem gepflegten Kneipensport zugetan, seine drei, vier Jahre im Trikot des FC Barcelona aber, in denen er klar der beste Spieler der Welt war, bleiben unvergessen. Und für ehrlich ausgeübten Kneipensport muss sich ja auch niemand schämen.