Anfang Januar stand der FC St. Pauli mit nur neun Punkten auf einem Abstiegsplatz. Nur zwei Monate später haben sich die Kiezkicker aller Sorgen entledigt. Das liegt an Guido Burgstaller, unkonventionellen Personalentscheidungen und einem Platzverweis.
Der in Fankreisen bereits angezählte Trainer Timo Schulz stellt zudem das Spielsystem auf ein 4−4−2 mit Raute um und findet damit scheinbar nach einem halben Jahr Anlauf die perfekte Formation für seine Mannschaft. Mit Eigengewächs Finn-Ole Becker und Rodrigo Zalazar (ausgeliehen von Eintracht Frankfurt) besetzen zwei dribbelstarke Spieler mit erstaunlichen Defensivqualitäten die Halbpositionen der Raute. Im offensiven Mittelfeld sammelt Daniel-Kofi Kyereh Scorerpunkte am laufenden Band und als Doppelspitze ergänzen sich der quirlige Omar Marmoush und Torjäger Guido Burgstaller außerordentlich gut.
Apropos Guido Burgstaller. Der im Sommer von Schalke 04 als Königstransfer verpflichtete Mittelstürmer erlitt in seinem zweiten Spiel gegen Ex-Club Nürnberg eine komplizierte Bauchverletzung, die ihn für fast drei Monate außer Gefecht setzte. Seit seinem Comeback Mitte Januar befindet sich der Österreicher in bestechender Form und erzielte in den vergangenen neun Spielen acht, teils wunderschöne, Tore. Zudem verkörpert er den Siegeswillen, der in engen Spielen nun immer öfter das Pendel in Richtung St. Pauli ausschlagen lässt.
Nach drei guten Spielen gegen Hannover, Regensburg und Bochum trifft Timo Schulz eine weitere bemerkenswerte Entscheidung. Rico Benatelli, Torschütze des Würzburg-Spiels und einer der wenigen Leistungsträger der Hinrunde, muss für Neuzugang Eric Smith aus der ersten Elf weichen. Und auch dieser Schachzug geht auf. Smith stabilisiert mit seiner Ballsicherheit die wackelige Defensive und unterbindet mit klugen Ballgewinnen viele Umschaltaktionen der gegnerischen Mannschaft.
Für Marvin Knoll stellt sich die Situation noch verzwickter dar. Philipp Ziereis und James Lawrence, seines Zeichens walisischer Nationalspieler, harmonieren als neues Pärchen in der Innenverteidigung. Mit Daniel Buballa und Tore Reginiussen sind gute Alternativen vorhanden. Zudem hat Sommerneuzugang Afeez Aremu seine großen Anlaufschwierigkeiten überwunden und drängt als Back-Up für das defensive Mittelfeld ins Aufgebot. Für Knoll ist dort schlichtweg kein Platz mehr.
Doch ohne ihn läuft es eben: Nach sechs Spielen steht der FC St. Pauli mit 15 Punkten auf dem ersten Platz der Rückrundentabelle. Der Blick in die Statistiken belegt, dass dies kein Zufall ist. Denn laut Expected Goals stellen die Kiezkicker derzeit die beste Offensive der Liga. Und auch die Defensive präsentiert sich bei nur vier Gegentoren aus in den letzten vier Spielen in aufsteigender Form.
Zu den Abstiegsrängen besteht inzwischen ein komfortabler Abstand und die Stadtmeisterschaft gegen den ungeliebten Nachbarn vom Hamburger SV ist erfolgreich verteidigt. Die sportliche Leitung ist so zum ersten Mal seit einigen Spielzeiten in der komfortablen Position, bereits im Frühjahr die kommende Saison planen zu können. Klubs wie Bielefeld in der vergangenen Saison oder der VfL Bochum in der aktuellen Spielzeit haben vorgemacht, was mit einer eingespielten Mannschaft und frühzeitiger Planungssicherheit möglich ist.
Und Marvin Knoll? Den präsentierte der Klub zuletzt als neuen Botschafter bei den Rabauken, der vereinseigenen Fußballschule. Eine bemerkenswerte Entscheidung, die seine Identifikation mit dem Verein auch in einer für ihn persönlich schwierigen Situation unterstreicht. Und wer weiß, wie schnell diese Qualitäten auch wieder auf dem Platz gefragt sind.
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