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Erich Beer, für Nicht-Ber­liner: Warum wurden Sie von den Fans eigent­lich Ete“ Beer gerufen?

Erich Beer: Bei meinem ersten Hertha-Trai­ning kam Arno Stef­fen­hagen auf mich zu und sagte: Wie Erich? Erich gibt es nicht in Berlin. Es gibt nur Ete.“ Ete?, ant­wor­tete ich, nie gehört. Doch fortan hieß ich so: Ete. Und kurze Zeit später nannten mich alle Ete – auch die Fans.



Bei den Hertha-Fans genießen Sie immer noch sehr hohes Ansehen. Als Sie im letzten Jahr zur Mit­glie­der­ver­samm­lung erschienen, ern­teten Sie den lau­testen Applaus. Woher rührt Ihre Popu­la­rität?

Erich Beer: Ver­mut­lich weil ich der Hertha lange Jahre die Treue gehalten habe. Nach dem Bun­des­li­ga­skandal von 1971 hätte ich das sin­kende Schiff pro­blemlos ver­lassen können, ich hatte ein Angebot vom FC Bayern. Doch ich blieb. Zum einen, weil ich mich in Berlin unwahr­schein­lich wohl fühlte, zum anderen, weil mich der dama­lige Hertha-Vor­stand als Kopf einer neuen Gene­ra­tion behalten wollte. Man ver­sprach, um mich herum eine neue Mann­schaft auf­zu­bauen. Ich spürte also sehr viel Ver­trauen. Vom Vor­stand und von den Fans.

Auch Ihre Spiel­weise dürfte den Hertha-Fans im Gedächtnis geblieben sein.

Erich Beer: Wahr­schein­lich, Fuß­ball­fans lieben Spieler, die nie auf­ste­cken, die immer weiter kämpfen. Und wenn diese Spieler dann noch Tore schießen, hat kein Fan der Welt etwas zu bean­standen.

In der Saison 1975/76 schossen Sie Tore nach Belieben. Sie eta­blierten den Vie­rer­pack.

Erich Beer: Nun, ich traf in zwei Spielen jeweils viermal, das stimmt.

In drei Spielen.

Erich Beer: Beim 5:0 gegen Bayer Uer­dingen im August 1975 und beim 6:2 gegen Han­nover 96…

…und beim 7:1 im Pokal gegen Wein­heim. Bemer­kens­wert dabei ist, dass zwi­schen dem ersten und dem dritten Spiel nur zwei Monate liegen. Herr Beer, wie geht das? Wie schießt man Tore?

Erich Beer: Eine ratio­nale Erklä­rung wird ihnen kein Stürmer der Welt lie­fern können. Scheinbar war das mein Herbst. Zumal auch mein zweites Län­der­spiel im Sep­tember 1975 recht erfolg­reich ver­lief. Wir spielten damals gegen Öster­reich und ich kam erst zur zweiten Halb­zeit, das Spiel endete 2:0, ich machte beide Tore.

Alles Kopf­sache also?

Erich Beer: Viel­leicht. Ich erhielt im Mai 1975 meine erste Nomi­nie­rung für die Natio­nal­mann­schaft und war unheim­lich stolz. Diese Beru­fung beflü­gelte mich über Monate, mein Selbst­be­wusst­sein wuchs von Spiel zu Spiel.

Bis Ende der Hin­runde schossen Sie in 21 Pflich­spielen 23 Tore – eine sen­sa­tio­nelle Quote für einen Mit­tel­feld­spieler. Waren Sie eigent­lich ein ver­kappter Stürmer?

Erich Beer: Ich spielte direkt hinter den Spitzen und hatte in der Saison mit Lorenz Horr und Erwin Kos­tedde zwei kon­ge­niale Partner. Wir drei liebten das Kurz­pass­spiel, den Dop­pel­pass und den schnellen Abschluss. Und wenn meine Schüsse aus der zweiten Reihe abprallten, dann waren die beiden Jungs zur Stelle.

Wissen Sie, dass Sie bis dato der ein­zige Her­thaner sind, der vier Tore in einem Aus­wärts­spiel geschossen hat?

Erich Beer: Wusste ich nicht. Doch ganz ehr­lich: Das inter­es­siert mich nicht. Denn auch wenn es abge­dro­schen klingt: Das was zählt, ist die Mann­schaft. 

Thomas Brdaric sagte einmal, es sei für einen Stürmer schöner, bei einem 4:4 vier Tore zu machen, als bei einem 1:0‑Sieg kein Tor zu erzielen. Können Sie eine solche Ein­stel­lung nach­voll­ziehen?

Erich Beer: Über­haupt nicht. Ich würde jeden­falls gerne drei von meinen vier Toren abgeben, damit Hertha am kom­menden Samstag gegen Han­nover gewinnt.

Wie groß war der Anteil von Trainer Georg Kessler an Ihrer Leis­tung in diesen Monaten?

Erich Beer: Kessler war ein Moti­va­ti­ons­künstler. In der Kabine stellte er sich an die Tak­tik­tafel und ver­glich die ein­zelnen Spieler mit­ein­ander. Er nahm also einen geg­ne­ri­schen Spieler heraus und setzte ihn unserem Pen­dant gegen­über. Dabei hob er aus­schließ­lich die Stärken und Vor­teile unseres Spie­lers hervor. So flösste Kessler uns sehr viel Selbst­be­wusst­sein ein. Ich erin­nere mich an eine Partie bei den Glasgow Ran­gers, die als haus­hoher Favorit ins Spiel gingen. Kessler baute sich in der Kabine vor uns auf und sagte: Ich habe noch mit keiner Mann­schaft hier ver­loren. Und mich euch werde ich das erst recht nicht!“ Wir gewannen 3:2.

Wie kam es, dass Sie Georg Kessler Sir“ nannten?

Erich Beer: Das hat eine Zei­tung eta­bliert, die ihn gerne als Sir“ titu­lierte, weil er sich sehr vor­nehm anzog und in seiner ganzen Erschei­nung ein sehr ele­ganter Mann war. Fest­lich­keiten waren ihm auch sehr wichtig. Vor der Saison 1974/75 ließ er sich nicht nur eine Meis­ter­schafts­prämie, son­dern auch eine Vize­meis­ter­schafts­prämie in seinen Ver­trag schreiben. Als wir dann tat­säch­lich Vize­meister wurden, lud er die Mann­schaft und die Spie­ler­frauen zu einem wun­der­schönen Fest ein.

War Kessler Ihr wich­tigster Trainer?


Erich Beer: Auch meine anderen Trainer waren wichtig: Max Merkel brachte mir etwa in Nürn­berg bei, was es heißt, in der Bun­des­liga zu bestehen. Doch Kessler war der wich­tigste, das stimmt, zumal ich bei ihm auch meine beste Zeit hatte. Wir wurden mit Hertha Vize­meister und erreichten das Pokal­end­spiel – dar­über­hinaus kam ich auch mensch­lich mit ihm aus.

Die Saison 1975/76 endete nach der Vize­meis­ter­schaft von 1974/75 und trotz ihres gol­denen Herbstes aller­dings ent­täu­schend. Am Ende stand Hertha auf dem 11. Platz. Wieso konnten Sie die Leis­tung der Vor­saison nicht kon­ser­vieren?

Erich Beer: Ich glaube, das war ein ähn­li­ches Phä­nomen, wie wir es momentan beim VfB Stutt­gart oder dem VfL Wolfs­burg erleben. Diese beiden Mann­schaften wurden recht über­ra­schend Meister und star­teten mit dem Glauben in eine neue Saison, dass es so weiter geht, dass für schwä­chere Mann­schaften auch eine durch­schnitt­liche Leis­tung aus­reicht. Das spielt sich unter­be­wusst ab. Da diese Mann­schaften aber, wie wir auch damals, keine Star­spieler in ihren Reihen haben, son­dern auf eine durch­ge­hend sta­bile Team­leis­tung ange­wiesen sind, fallen sie ab, sobald nur ein paar Spieler fünf oder zehn Pro­zent weniger Leis­tung abrufen.

Oft zer­bre­chen Mann­schaften an sol­chen Situa­tionen. Es bilden sich Grüpp­chen. Wie war das zu Ihrer Hertha-Zeit?

Erich Beer: Heute ist die Grüpp­chen­bil­dung bedingt durch die vielen Natio­na­li­täten. Viele Bra­si­lianer etwa kommen in die Bun­des­liga und spre­chen kaum ein Wort Deutsch. Da ist es nur logisch, dass sich diese Spieler aus­schließ­lich im Kreise ihrer Lands­leuten auf­halten. Früher war das anders, zumin­dest haben wir ver­sucht, so viel wie mög­lich gemeinsam zu unter­nehmen. Wir haben uns häufig im großen Kreis getroffen, also mit Freunden und Spie­ler­frauen.

Heute gibt es die Aus­gangs­sperre.

Erich Beer: Das stimmt. Du kannst nie länger weg­bleiben, ohne dass es am nächsten Tag in der Bild“ steht.

Damals war das mög­lich?


Erich Beer: Eher. Aller­dings gab es bei uns kaum Spieler, die das über­reizt haben. Ich kann mich nur an die gele­gent­li­chen Touren von Erwin Kos­tedde erin­nern, der war häu­figer ein paar Tage unter­wegs. Vor allem dann, wenn Voll­mond war.

Er war aber­gläubig?

Erich Beer: Nein, das war eher ein Tick. Er hat immer gesagt: Wenn Voll­mond ist, muss ich los­ziehen.“ Es gibt ja so Leute, die drehen durch, wenn Voll­mond ist.

Am Wochen­ende trifft Hertha auf Han­nover. Ihr Tipp?

Erich Beer: Unent­schieden. Wichtig sind die fol­genden Heim­spiele gegen Glad­bach und Bochum, wenn sie die gewinnen und nun einen Punkt aus Han­nover mit­nehmen, könnte das eine neue Euphorie ent­fa­chen.

Ver­folgen Sie die Hertha noch regel­mäßig?

Erich Beer: Klar. Ich schaue auch, was meine anderen alten Ver­eine – Rot Weiss Essen oder der 1. FC Nürn­berg – machen, doch die Hertha inter­es­siert mich am meisten. Ich mag mir gar nicht aus­malen, was bei einem Abstieg pas­sieren würde. Für den Klub wäre ein Abstieg zunächst einmal ein herber Image­ver­lust. Und für die Stadt? Eine Haupt­stadt ohne Erst­li­ga­fuß­ball ist irgendwie unvor­stellbar. Ohne Zweifel, die Mann­schaft steht zurecht da unten, sie haben in der Hin­runde erschre­ckend schlecht gespielt – ich war bei etli­chen Spielen in der Hin­runde im Sta­dion –, doch ich glaube immer noch, dass sie es schaffen kann.

Sehr opti­mis­tisch gedacht.

Erich Beer: Ich erin­nere mich noch an die Saison nach dem Bun­des­li­ga­skandal, als acht Hertha-Spieler gesperrt wurden und wir nur Zweit­li­ga­spieler ver­pflichten durften. Wir hatten nur vier ehe­ma­lige Bun­des­li­ga­spieler im Team und es lief nichts zusammen: nach den ersten vier Spielen standen wir mit 0:8 Punkte auf dem 17. Platz. Nur Ober­hausen war auf­grund des schlech­teren Tor­ver­hält­nisses noch schlechter. Doch wir kämpften uns zurück, legten eine kleine Serie hin und am 34. Spieltag standen wir auf dem 13. Platz.

Wie schafften Sie damals die Wende?

Erich Beer: Es war eben­falls eine Kopf­sache. Am Anfang dachten wir, dass wir eh chan­cenlos sind, dass unsere Mann­schaft nicht mehr bun­des­li­ga­taug­lich sei. Wir suchten also ein Alibi, doch das sollte man nie machen. Als wir das Alibi ablegten, lief es besser.

Suchen die aktu­ellen Hertha-Spieler ein Alibi?

Erich Beer: Viel­leicht. Simunic ist weg, dazu noch Pan­telic und Voronin. Doch muss man auch mal sehen, dass Pan­telic und Voronin in der letzten Saison nur ganz selten zusammen gespielt haben. Zudem ist es nicht so, dass diese drei Spieler den vierten Platz belegt haben, son­dern die ganze Elf. Ich glaube, wenn die mal richtig zur Sache gehen, sie den Kopf frei bekommen und die Anfänge der Spiele nicht ver­schlafen, ist ein Rele­ga­ti­ons­platz drin.

Sie fie­bern immer noch sehr mit Hertha BSC. Haben Sie nie über­legt, zurück nach Berlin zu ziehen?

Erich Beer: Ich bekam nach meiner Kar­riere einen Job bei BMW, so blieb ich in Mün­chen. Seit einem Jahr bin ich Rentner, so habe viel Zeit die Hertha-Fuß­ball­spiele im Fern­sehen anzu­gu­cken. Und gele­gent­lich auch zu den Heim­spielen zu reisen.