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Seite 2: „Kinder verstehen keinen Hass“

Heute scheint es nicht anders.
Es ist mit der Zeit für Fuß­baller immer schwie­riger geworden, sich kri­tisch zu äußern. Die Spieler sind ein­ge­bettet in Sys­teme, sie sind Wer­be­fi­guren oder Ver­treter ihrer Klubs oder Länder. Nehmen wir zum Bei­spiel einen Fuß­baller wie Real Madrids Luka Modric oder den Ten­nis­spieler Novak Djo­kovic. Das sind smarte Jungs, denen aber, sobald sie im Aus­land aktiv sind, auto­ma­tisch die Funk­tion eines Bot­schaf­ters zuge­schrieben wird. Sie tragen also eine immense Last.

Doch sie sind gerade dadurch in einer Posi­tion, Dis­kus­sionen anzu­regen, die über den Fuß­ball hin­aus­gehen.
Absolut. Sie sind populär und werden gehört. Des­wegen finde ich es auch sehr schade, dass eine Aus­ein­an­der­set­zung mit den aktu­ellen Ver­hält­nissen in den Län­dern des ehe­ma­ligen Jugo­sla­wiens nicht statt­findet. Aber das ist nicht nur im Sport so.

Spre­chen wir über Ihre Zeit als Pro­fi­fuß­baller. Sie haben bei­nahe 20 Jahre beim FK Sara­jevo gespielt. Einige Jahre war der spä­tere Ser­ben­führer und Kriegs­ver­bre­cher Radovan Kara­džić dort als Sport­psy­cho­loge tätig. Welche Erin­ne­rungen haben Sie an ihn?
Wäh­rend unserer gemein­samen Zeit in Sara­jevo hatte ich ein gutes Ver­hältnis zu ihm. Ich mochte seine Ideen und Anspra­chen. Sein Credo lau­tete: Es ist egal, wer woher kommt. Wir sind ein Team!“ Er mochte mich. Später wollte er mich sogar mit zu Roter Stern Bel­grad nehmen. Ich sagte aber ab.

Haben Sie ihn jemals wieder gesehen?
Nein. Das erste Mal hörte ich wieder von ihm, als er seine Kriegs­ver­bre­chen beging. Ich war scho­ckiert. Alles, was er uns über Freund­schaft und Team­geist erzählt hatte, brach in sich zusammen. Ich habe einige Male dar­über nach­ge­dacht, was in der Zeit pas­siert sein mag, nachdem er Sara­jevo ver­lassen hatte. Doch fragen Sie mich nicht: Ich kann es schlichtweg nicht erklären.

Er hat bereits 1971 ein Gedicht geschrieben, in dem er die Zer­stö­rung Sara­jevos her­bei­sehnt. Ein Satz lautet: Lass uns hin­unter in die Stadt gehen und den Abschaum töten.“
Das ist mir neu. Ich wusste, dass er als Schrift­steller tätig gewesen war. Ich kannte aller­dings nur seine Kin­der­bü­cher. Die waren groß­artig. Doch dieses Gedicht ist auch keine Über­ra­schung mehr für mich, denn alles, was ich im Nach­hinein über diesen Mann höre, ist scho­ckie­rend und abgründig. Ich bin sehr froh, dass ich nicht mit ihm nach Bel­grad gegangen bin.

Statt­dessen wech­selten Sie 1985 zum VfB Stutt­gart. Wie kamen Sie in Deutsch­land zurecht?
Anfangs war es nicht ein­fach. Ich sprach kein Deutsch und nur wenig Eng­lisch. Einige Spieler haben mich zunächst skep­tisch beäugt.

Wer?
Zum Bei­spiel Karl All­göwer.

Erstaun­lich. All­göwer war doch eben­falls poli­tisch inter­es­siert. Er enga­gierte sich in den Acht­zi­gern für die SPD und setzte sich für den Umwelt­schutz ein.
Viel­leicht hatte er Angst vor Kon­kur­renz. Oder er war ein­fach miss­trau­isch, weil da ein Fremder auf­tauchte (Lacht). Die Skepsis hielt sich aller­dings nur ein paar Wochen. Später haben wir uns super ver­standen. Karl wurde einer meiner besten Freunde beim VfB. Ich mochte auch die anderen und habe ihre Lebens­wege ver­folgt: Jürgen Klins­mann, Gün­ther Schäfer oder Guido Buch­wald. Tolle Männer.

Drei Jahre nach Ihrer Rück­kehr nach Sara­jevo brach der Bür­ger­krieg aus. Warum sind Sie in der Stadt geblieben?
Ich hing an Sara­jevo. Ich dachte, ich könnte anderswo nicht glück­lich werden.

Sie hatten aber ein Angebot.
Richtig, Dieter Hoeneß war Anfang der neun­ziger Jahre Manager beim VfB Stutt­gart. Er hat mir damals ange­boten, einen Trai­ner­schein in Stutt­gart zu machen. Ich sollte meine Familie mit­bringen.

Die wollte aber nicht?
Ich habe meine Frau mehr­mals ange­fleht, ins Aus­land zu gehen. Doch sie wollte unbe­dingt bei mir sein. Also blieb sie. Wie auch meine zwei Kinder, die zwei Jahre lang in einem Bunker unter der Erde gelebt haben. Es war für sie zu gefähr­lich, raus zu gehen.

Wie konnten Sie in diesem Sze­nario eine Fuß­ball­schule auf­bauen?
Eigent­lich habe ich ja als Gale­rist gear­beitet…

Sie lei­teten eine Galerie? Sie hatten doch Wirt­schafts­wis­sen­schaften stu­diert.
Stimmt. Kunst war aber immer schon meine zweite große Lei­den­schaft gewesen. Früher hatte mich meine Leh­rerin immer wieder ermu­tigt, mehr zu zeichnen. Sie sagte, ich sei talen­tiert.

Wieso dann die Fuß­ball­schule?
Ich sah, was die Leute nach Aus­bruch des Krieges hatten, näm­lich: nichts. Gerade die Kinder haben in der Zeit sehr gelitten. Die Schulen waren geschlossen, die Sport­ver­eine machten dicht, es gab keine Mög­lich­keit, die Frei­zeit aktiv zu gestalten. Als Gale­rist hatte ich noch keinen großen Namen und konnte nichts bewegen. Ich freun­dete mich also mit der Idee an, eine Fuß­ball­schule ins Leben zu rufen. Als ich Dieter Hoeneß davon erzählte, schickte er sofort 100 Fuß­bälle und meh­rere hun­dert Tri­kots nach Sara­jevo.

Sie haben dann einen Aufruf für Ihre Schule gestartet. Wie­viele Kinder kamen zum ersten Trai­ning?
Anfang Mai 1993 war ich zu Gast in einer Radio­sen­dung. Ich erzählte dort von meiner Idee und sagte, dass die Kinder am 15. Mai zum Sken­de­riju (Kultur- und Sport­center in Sara­jevo, d. Red.) kommen sollten. Ich hatte aller­dings keine großen Hoff­nungen, dass mehr als zehn Jungs ihren Weg durch die zer­schos­sene Stadt finden würden. Doch als ich ankam, standen dort über 200 Kinder. Ich nahm sie mit in die Halle und sie streiften sich die VfB-Tri­kots über.

Wie prä­sent war der Krieg in dieser Halle?
Ich erin­nere mich an einen Tag, als ein öster­rei­chi­sches Fern­seh­team vor Ort war. Der Reporter stellte einem Jungen die Frage, was er bis­lang von diesem Krieg in Erin­ne­rung behalten hat. Der Junge ant­wor­tete: Ich werde nie ver­gessen, dass ich einmal zwei Tore in einem Spiel gemacht habe.“ Der Reporter war ver­wirrt. Er fragte den Jungen, ob er wüsste, dass viele Men­schen im Krieg gestorben seien. Der Junge bejahte. Danach fragte der Reporter noch einmal: Und jetzt: Was erin­nerst du?“ Da sagte der Junge: Das Spiel am Samstag, als wir in der letzten Minute das Siegtor erzielten.“

Was haben Sie da gedacht?
Ich war froh, denn ich merkte, dass der Krieg in diese Halle nicht hin­einkam. Er hatte bei den Kin­dern, die Fuß­ball spielten, keine Chance.

Haben Sie eine Erklä­rung dafür?
Kinder ver­stehen keinen Hass. Sie hören von ihren Eltern davon, und viel­leicht reden sie auch wie ihre Eltern. Doch sie kennen das Gefühl nicht.

Sie kennen Angst.
Aber sie konnten diese über­winden. Die Kinder mussten auf dem Weg zum Trai­ning zum Bei­spiel eine 50 Meter lange Brücke über­queren. Auf der einen Seite lag die Halle, auf der anderen ein Berg, von wo aus die Serben mit Sniper-Gewehren geschossen haben. Die Kinder mussten jedes Mal über die Brücke rennen. Sie taten es, weil sie Fuß­ball spielen und die anderen Kinder sehen wollten. Glück­li­cher­weise ist nie etwas pas­siert. Kein ein­ziges Kind wurde erschossen.

Wurde die Halle denn beschossen?
Ein paar Mal nur. Wenn es brenzlig wurde, sind wir in einen Tunnel unter der Halle geflüchtet und haben dort aus­ge­harrt.