Der Kantersieg des FC Bayern beim SC Paderborn beweist, dass der Rekordmeister die Konkurrenz in der Bundesliga nicht mehr nur dominiert, sondern längst deklassiert. Eine Katastrophe, findet Tim Jürgens
Merken wir’s eigentlich noch? Oder haben uns 45 Jahre Bayern-Vorherrschaft in der Bundesliga derartig sediert, dass wir die jüngsten tektonischen Verschiebungen nicht mehr wahrnehmen? Machen wir uns nichts vor: Alle Deutschen in der werberelevanten Zielgruppe von 14 bis 49 Jahren sind in dem Bewusstsein aufgewachsen, dass der FC Bayern immer wieder mal Meister wird. Und dass ein Ergebnistipp auf die Roten zumeist größere Erfolgsaussichten hat, als auf die Blauen, die Grünen und am Ende auch auf die Schwatz-Gelben. Dennoch nahmen wir stets mit diebischer Freude zur Kenntnis, wenn der Klub von der Säbener gegen den TSV Vestenbergsgreuth im Pokal (1994) ausschied, in der Bundesliga gegen Schalke mit 0:7 unterging (1976) oder mit 5:2 gegen den BVB im DFB-Pokalfinale (2013) unterlag.
Die Faszination des FCB für Nicht-Fans machte auch die Fehlbarkeit in diesem auf Perfektion ausgerichteten System aus. Da konnte Uli Hoeneß auf Teufel komm raus jedem Konkurrenten die besten Spieler abluchsen, die Bayern waren trotzdem immer mal für eine Niederlage gut. Und selbst wenn die Bayern gewannen, hatten sich die Gegner oft so gut geschlagen, dass sie sich mit dem Argument „Bayern-Dusel“ aus der Haftung für die Niederlage plaudern konnten. Kurz: Jahrzehntelang haben wir uns erfolgreich dagegen gewehrt, die empirisch nachgewiesene Hegemonie des FC Bayern anzuerkennen. Doch diese Zeiten sind nun vorüber.
„Vielen Dank für das tolle Erlebnis.“
Schon in der vergangenen Saison nahmen wir mit Grausen zur Kenntnis, wie der damalige Frankfurter Coach Armin Veh mit Sebastian Rode und Carlos Zambrano gleich zwei Leistungsträger vorm Meisterschaftsspiel gegen den FC Bayern aus dem Kader nahm, um sie für den Abstiegskampf zu schonen. Doch die Auflösungserscheinungen in der Liga schreiten voran. Ein Großteil der Klubs versucht erst gar nicht mehr, den Münchnern auf Augenhöhe zu begegnen. Die Bundesliga wirkt wie ein Pennälerturnier, bei dem Siebtklässler gegen ein Team aus der Zehnten antreten müssen, und angesichts der unterschiedlichen Entwicklungsstadien am unteren und oberen Ende der Pubertät, froh sind, nicht zweitstellig nach Hause geschickt zu werden. André Breitenreiter, Coach des SC Paderborn, und gemeinhin unverdächtig, einen Mangel an Ehrgeiz zu besitzen, wirkte am Wochenende also eher wie ein Klassensprecher aus der Unterprima, als er sagte: „Wir haben gegen die weltbeste Mannschaft gespielt mit dem weltbesten Trainer. Vielen Dank für das tolle Erlebnis.“
Danke für das tolle Erlebnis? Ist das der Status Quo einer Eliteliga? Zur Erinnerung: Da moderiert ein Trainer eine 0:6‑Heimniederlage seiner Mannschaft gegen einen Mitkonkurrenten ab. Früher sagte man den Bayern Arroganz nach. Diese Verhaltensauffälligkeit wurde zuletzt durch die sprichwörtliche „Bayern-Dominanz“ abgelöst. Das nächste Stadium, das war nun in Paderborn zu besichtigen, ist offenbar die „Bayern-Teilnahmslosigkeit“. Kurz: Der blanke Horror.