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Über einen Fuß­baller muss man oft nicht mehr wissen als seinen Spitz­namen. Ein Spitz­name ver­dichtet den beson­deren Cha­rakter und die Geschichten der Kar­riere auf wenige Buch­staben, die Siege und die Nie­der­lagen, natür­lich, aber eben auch den ganzen pathe­ti­schen und mys­ti­schen Rat­ten­schwanz.

Und selbst wenn man über­haupt keine Ahnung von Fuß­ball hat, so ahnt man doch, dass einen Spitz­namen tra­genden Spieler eine beson­dere Aura umgibt: den Kaiser“ (Franz Becken­bauer) genauso wie Il Fen­omeno“ (Ronaldo), die Kobra“ (Jürgen Weg­mann) wie den Kugel­blitz“ (Ailton). Kurzum: Kose­namen sind eine ziem­lich groß­ar­tige Sache.
 
Blöd nur, wenn man bei der Spitz­namen-Ver­gabe zu spät sein Veto ein­ge­legt hat. Dann heißt man eines Tages wie ein Del­phin (Jürgen Flipper“ Klins­mann) oder ein paniertes Stück Fleisch (Tomas Schnitzel“ Rosicky). Oder, was viel­leicht noch schlimmer ist, man heißt wie eine Zusam­men­schal­tung meh­rerer gleich­ar­tiger gal­va­ni­scher Zellen bzw. Ele­mente“, kurz: Man heißt Bat­terie“.

So nennen sie Dort­munds Raphael Guer­reiro seit vielen Jahren, und der Name ist eigent­lich eine Frech­heit. Denn er ver­dichtet eben nicht die Genia­lität Guer­reiros, er stellt nur eine ein­zige Eigen­schaft heraus: seine duracell­ha­sige Aus­dauer. Dabei ist Guer­reiro mit­nichten einer von diesen unent­wegten Dau­er­läu­fern, die nichts weiter können als rennen, rennen und rennen, und dabei wie zufällig einen Ball vor sich her stoßen.

Auf dem besten Weg zum Trai­ner­lieb­ling“
 
Guer­reiro ist viel­seitig wie kaum ein anderer Spieler in der Bun­des­liga. Auch des­wegen agiert er beim BVB nicht nur auf seiner ange­stammten linken Außen­bahn, er spielt zen­tral, defensiv, offensiv, bei­nahe überall. Thomas Tuchel sagte schon kurz nach seiner Ver­pflich­tung: Er ist viel zu gut, um auf eine Posi­tion fest­ge­legt zu werden. Er ist auf dem besten Weg zum Trai­ner­lieb­ling.“
 
Das war er übri­gens immer schon: ein Trai­ner­lieb­ling. Viel­leicht weil er immer ein biss­chen schneller ist als andere: phy­sisch und psy­chisch. Bei der EM konnte man das in ver­schie­denen Spielen beob­achten: Wenn er Fahrt auf­nimmt und den Ball unnach­ahm­lich mit seinem Fuß durch die geg­ne­ri­schen Abwehr­reihen treibt, weiter, immer weiter, beugt er seinen Körper oft so weit nach vorne, dass es aus­sieht, er sei er der Gegen­wart stets ein Stück weit voraus.
 
Patrice Garande, Geur­reiros Trainer beim SM Caen, erkannte das schon recht früh. Er sagte mal: Ihm mussten wir die Dinge nicht acht Tage lang erklären. Er hat immer alles sofort auf­ge­nommen und ver­ar­beitet.“

Die große Liebe Ben­fica
 
Heute ist Guer­reiro 22 Jahre alt. Vater zweier Kinder. Euro­pa­meister. Zwölf-Mil­lionen-Neu­zu­gang des BVB. Gesicht einer neuen Jugend­be­we­gung in Dort­mund. Hoff­nung auf einen Cham­pions-League-Sieg gegen Real Madrid. Ein rasanter Auf­stieg, ohne Zweifel.
 
Bis vor wenigen Monaten war Guer­reiro nicht mehr als ein Geheim­tipp. Auf­ge­wachsen in Le Blanc-Mesnil, Pariser Vorort, por­tu­gie­si­scher Vater, fran­zö­si­sche Mutter, die große Liebe: der por­tu­gie­si­sche Fuß­ball und Ben­fica Lis­sabon, wes­wegen er sich später für Por­tu­gals und gegen Frank­reichs Natio­nalelf ent­schied.

In der Jugend kickte er in der Eli­te­ak­admie Clai­re­fon­taine, dann folgten erste Pro­fi­spiele beim Zweit­li­gisten SM Caen, schließ­lich der Wechsel zum FC Lorient, will­kommen im Graue-Maus-Land der Ligue 1.

Für seinen Natio­nal­trainer Fer­nando Santos war damals schon klar, dass Guer­reiro irgend­wann bei einem Top­klub landen würde. Bei seinem ersten Trai­ning reichte ein Blick, um zu sagen: Hoppla, was für ein Talent!“, sagte er mal.

Auch seine Mit­spieler in der por­tu­gie­si­schen Natio­nal­mann­schaft konnten anfangs kaum glauben, dass er nicht längst bei einem Top­klub in Spa­nien oder Eng­land spielte. Als Guer­reiro im zweiten Spiel gegen Argen­ti­nien sein erstes Tor erzielte, fragte Cris­tiano Ronaldo: Wo liegt eigent­lich dieses Lorient?“ Guer­reiro holte sein Smart­phone hervor und zeigte seinem großen Vor­bild dieses 50.000-Einwohner-Städtchen an der Atlan­tik­küste zwi­schen Nantes und Brest.

Im Abstiegs­kampf mit Lorient

Damals lief es für Guer­reiro und Lorient noch ganz ordent­lich, Platz acht belegte das Team in der Saison 2013/14. Aber wäh­rend sich Guer­reiro stetig ver­bes­serte, ging es für die Mann­schaft zuse­hends bergab. 2015 und 2016 ent­ging sie mit Ach und Krach dem Abstieg.

Es ver­ging nicht viel Zeit, da konnte man von den übli­chen Ver­däch­tigen lesen: Liver­pool, Man­chester United, Bar­ce­lona und Real Madrid – alle waren heiß auf Lori­ents Super­spieler. Letzt­end­lich ent­schied sich Guer­reiro für den BVB. Auch weil er sich dort mehr Spiel­zeit erhoffte. Gut für den BVB: Er tat das bereits vor der EM. Denn danach wäre sein Markt­wert ver­mut­lich explo­diert.

Wie­der­sehen mit dem Vor­bild

Spä­tes­tens wäh­rend der EM ver­standen auch andere Trainer, was Natio­nal­trainer Santos einst mit seinem Hoppla“-Moment gemeint hatte. Denn oft reichten wenige Minuten, um die Genia­lität Guer­reiros zu erahnen. Und ein Blick auf die Zahlen reichte, um dieses Gefühl zu bestä­tigen: 88 Pro­zent seiner Flanken kamen an. Was wie­derum sein großes Vor­bild Cris­tiano Ronaldo freute, der ein paar seiner Stan­dards dem Nach­wuchs­spieler über­ließ. Und auch abseits des Platzes macht sich Ronaldo immer wieder für Guer­reiro stark. Der bedankte sich im Halb­fi­nale gegen Wales: kurze Ecke, Flanke, scharf wie ein Rasier­messer – Ronaldo musste nur noch den Schädel hin­halten, 1:0.
 
Der Sieg bedeu­tete auch ein selt­sames Finale. Plötz­lich spielte Guer­reiro mit Por­tugal gegen seine Heimat Frank­reich – noch dazu in Frank­reich. War schon komisch“, sagt er nach dem Spiel. Aber solche Spiele wird es immer mal geben.“

So wie heute, wenn Dort­mund Madrid emp­fängt. Wenn Raphael Guer­reiro auf Cris­tiano Ronaldo trifft. Wenn es heißt: Fan vs. För­derer, Bat­terie vs. CR7. Klingt nach einem post­apo­ka­lyp­ti­schen Sci­ence-Fic­tion-Film. Könnte unter­haltsam werden.