„Was glaubt ihr eigentlich, wer ihr seid?“ Diesen autoritären Spruch haben wir das letzte Mal im Physikunterricht der 10. Klasse ertragen müssen, als der notorisch tobsüchtige Quantenrechner vor versammelter Runde seiner miesen Laune Luft machte. Doch der ähnlich daueraggressive Uli Hoeneß aus München hat uns nun wieder an die persönliche Identitätsfrage erinnert. Dabei soll der Uli gar nicht gut können mit physikalischen Gleichungen. Wer zur Hölle sind wir? Wir Fans. Die Suche nach Vorbildern ist der erste Schritt der Selbstfindung. Teil 1 der Serie: Die größten Fußballfans aller Zeiten.
An Ethem Özerenler wird sich bei der Borussia aus Mönchengladbach kaum einer erinnern. An Manolo schon. Dabei sind beide, der 1968 nach Deutschland gekommene Türke und der deutschlandweit berühmte Kurveneinpeitscher, ein und dieselbe Person. Manolo, das war der Mann mit Trommel, der seit den späten 70er Jahren zum festen Erscheinungsbild der Gladbacher Fankurve gehörte. Quasi ein Baustein des Bökelbergs. 1977 schnallte sich der alsbald nach dem berühmten spanischen Trommler benannte Manolo erstmals die Pauke um den Bauch und trommelte die Borussia durch die 90 Minuten.
Fans sind dankbar und erweisen Ehre, wem Ehre gebührt. Also schraubte die glückliche Anhängerschaft einen wackelsicheren Stuhl an den Zaun. Manolo wirkte fortan an seiner speziellen Position und wurde zur Kultfigur, als es die heute mit diesem Begriff um sich werfenden Privatsender noch gar nicht gab. Manolos Trommelprügel, die Musikfreunde mit viel Toleranz auch gerne Melodien nannten, wurden zum Herzschlag des Bökelbergs.
Doch 2002 hörte das Gladbacher Herz auf zu schlagen. Eine massive Zuckerkrankheit hatte den heute 68-jährigen aus dem Stadion gebannt. Zu schwach waren die über lange Bundesligajahre gestählten Trommelarme geworden, zu leise die Stimme des kauzigen Edelfans und zu gebrechlich der erkrankte Körper für die Knochenarbeit auf der Tribüne.
20 Jahre lang war Manolo der Einpeitscher auf dem Zaun vor der Nordkurve am Bökelberg, im Leben abseits des Stadions war Ethem Özeremler Arbeiter in einer Spinnerei, was vom Begriff hervorragend zu seinem enthusiastischen Fandasein passt. Er ist geschieden und hat zwei Kinder. Ein normales Leben ohne Höhepunkte. Wenn da nicht der brodelnde Bökelberg gewesen wäre, den Manolo alle zwei Wochen fest im Griff hatte. Für seine langatmigen Trommelwirbel hatte der gute Mann sogar eine ganz eigene Technik parat. „Ich trommle so, wie der frühere Trainer Hennes Weisweiler gedacht hat. Immer wenn Gladbach in Rückstand kam, hat Weisweiler sofort auf Angriff geblasen. Das mache ich auch“, verriet er einst dem „Stern“.
Auf Manolos Trommel waren auch die Spieler scharf. Thekenschlampe Toni Polster ließ es sich natürlich nicht nehmen, nach einem Treffer auf den Nordkurven-Zaun zu hechten und die Pauke zu schlagen. Alles Ankedoten, die Manolo heute nicht mehr erzählen kann. In seinem Pflegeheim bat vor einiger Zeit seine Betreuerin sogar das Fanprojekt der Borussia um Besuch und Geschenke für den zuckerkranken Patienten. Die eigenen Kinder kommen kaum mehr zu Besuch. Gäste und Päckchen kamen, blieben aber auch bald wieder aus. Die Klamotten in den Vereinsfarben, mit denen Manolo zu Beginn seiner Krankheit ins Pflegeheim einmarschierte, trägt er immer noch, Fußball schaut er sich aber nicht mal mehr im Fernsehen an. Vielleicht gerade deswegen: Einer, der fast ein Vierteljahrhundert die eigene Kurve dirigiert hat, wird die lasche TV-Übertragung nicht verstehen können. Bumm-Bumm für Manolo.
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Unser Autor Alex Raack ist Mitbetreiber des formschönen Fußballblogs „3 Ecken ein Elfer“ www.3eckeneinelfer.de .