Patrick Bamford von Leeds United ist der spektakulärste Spätstarter im englischen Fußball seit Jamie Vardy – und der lebende Beweis, dass man auch als „Intellektueller“ Tore schießen kann.
TV-Experte Robbie Savage (BT-Sports) legte sich fest: „Das war die schlimmste Fehlentscheidung in der Geschichte des Fußballs!“, schimpfte der Ex-Profi im November. Soeben hatte VAR Mike Dean ein wunderschön heraus gespieltes Tor von Patrick Bamford gegen Crystal Palace aberkannt. Wegen Abseits. Bamfords Vergehen: Er hatte mit ausgestrecktem Arm angezeigt, wo der Ball hinkommen sollte, während er in vollem Tempo auf die Nahtstelle der Viererkette zugelaufen war. Der Shootingstar von Aufsteiger Leeds United könnte also schon 13 statt seiner bisher zwölf Saisontreffer auf dem Konto haben.
Doch auch so ist Bamford der derzeit drittbeste englische Torjäger in der Premier League – hinter Evertons Dominic Calvert-Lewin und Tottenhams Harry Kane (je 13). Nebenbei avancierte „Bam“ zu einem ernsthaften Kandidaten für den Angriff der „Three Lions“. Nach Robbie Savage hat sich mit Jamie Carragher (Sky) unlängst ein weiter TV-Analyst für Bamfords Nominierung ausgesprochen. Und die Anzeichen verdichten sich, dass der 27-Jährige tatsächlich bald für England spielen darf. Es wäre die spektakulärste Spätberufung seit Jamie Vardy (Leicester City), der 2015 im reifen Alter von 28 Jahren debütierte.
Wie einst Vardy war auch Patrick Bamford schon mehrfach abgeschrieben. Der frühere U21-Nationalstürmer galt als ewiges Talent. Passabler Zweitliga-Torjäger, aber nicht mehr. Schließlich war „Bam“ nicht aus jenem harten Holz, aus dem Fußballer normalerweise geschnitzt sind: Der Junge aus Nottingham, der ein Studium an der US-Elite-Uni Harvard hätte beginnen können, war als „Intellektueller“ verschrieen, was im englischen Profigeschäft einer Beleidigung gleichkommt. Bamford galt als nicht fokussiert, weil er neben dem Sport auch Fremdsprachen lernte. Als zu weich, weil er klassische Komponisten mag und selbst gern mal musiziert.
Andere Profis waren schon für geringere Vergehen zu Sonderlingen erklärt worden: Vom ehemaligen Chelsea-Star Graeme La Saux ist überliefert, dass er auf Auswärtsreisen im Bus meist den Guardian las – ein linksliberales Qualitätsblatt, das sich deutlich von der einschlägigen Profi-Lektüre (damals: The Sun, heute: Tinder) abhebt. Manche hielten Le Saux gar für einen heimlichen Sozialisten. Er selbst pflegte zu sagen, dass er einfach gern mal eine gute Zeitung lese.
An Bamford schien noch etwas anderes verdächtig: Er stammt aus einem ziemlich wohlhabenden Elternhaus. Wie sollte so einer die nötige Gier aufbringen, die du brauchst, um ganz nach oben zu gelangen? „Einer meiner Trainer sagte mal, er sei beeindruckt, wie hart ich arbeite – wo ich doch einen Milliardär als Vater hätte“, erzählte Bamford kürzlich der Daily Mail. Daraufhin habe er sich gar nicht erst die Mühe gemacht, den Coach aufzuklären, dass sein Vater bloß Architekt sei. Gut situiert zwar, aber sicher nicht milliardenschwer.
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