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Seite 2: „Und dann werden wir Weltmeister!“

Die Per­fek­tio­nie­rung des Fuß­balls ist mitt­ler­weile fast abge­schlossen. Die meisten großen Spiele unter­scheiden sich kaum von Block­bus­ter­filmen in einem Cine­maxxx-Kino. Tolle Effekte, viel Action, geile Stunts, klar. Und diese Super­helden erst, die auch nach 90 Minuten noch aus­sehen wie auf einem Hugo-Boss-Poster. Aber über­ra­schen die Spiele noch? Hat man sie nicht alle schon mal gesehen? Alle zwei Wochen ein neuer Cla­sico, ein neuer Kampf der Giganten, Wie­der­ho­lungen von Wie­der­ho­lungen.

In Sta­dien, die Arenen heißen und überall gleich aus­sehen und gleich klingen. Mega, krass, geil, und jetzt die Hände zum Himmel, komm lass uns fröh­lich sein. Auf dieser Fuß­ball­au­to­bahn des Dauer-Enter­tain­ments fühlen sich schon kleine Umwege sehr erholsam an. Ein Dritt­li­ga­spiel im Eduard-Strelzow-Sta­dion von Tor­pedo Moskau. Oder zumin­dest Iran gegen Marokko in Sankt Peters­burg. OmU-Pro­gramm­kino statt 3D-Cine­maxxx. Die Prot­ago­nisten kennen nur die Nerds. Irans Ali­reza Jahan­bakhsh? 21 Tore in der abge­lau­fenen Saison für AZ Alk­maar!

Es ist gro­tesk, sich über WM-Grup­pen­spiele auf­zu­regen

Eigent­lich dürstet das Publikum ja nach neuen Geschichten, aber wer erzählt sie noch? Real Madrid gegen Bayern Mün­chen? Por­tugal gegen Spa­nien? Jamie Vardy und Lei­cester in der Pre­mier League 2016, Island und Wales bei der EM 2016 – das waren Geschichten, die man so noch nicht kannte. Trotzdem plä­dieren Fuß­ball­funk­tio­näre von Top­klubs seit Jahren für die Abspal­tung der Fuß­bal­le­lite vom großen grauen Rest.

Wie spre­chende Power-Point-Prä­sen­ta­tionen skiz­zieren Männer in Madrid, London oder Mün­chen ihre neue gol­dene Fuß­ball­welt, die in Wahr­heit steril und kalt ist, weil für kleine Teams kein Platz mehr ist. Wir müssen den euro­päi­schen Spit­zen­fuß­ball den Anfor­de­rungen des glo­ba­li­sierten Marktes anpassen“, sagte Karl-Heinz Rum­me­nigge mal.

Zu Recht ernten Männer wie Rum­me­nigge für ihre Wir-hier-oben-ihr-da-unten-Reden regel­mäßig Kritik von den Fans. Aber ist es nicht gera­dezu gro­tesk, wenn man sich im nächsten Moment über die Qua­lität von WM-Grup­pen­spielen auf­regt? Über die Ver­wäs­se­rung eines Tur­niers? Über kleine Mann­schaften, die keine elf Super­stars haben, son­dern nur gewöhn­liche Spieler? Über Saudi-Ara­biens Natio­nalelf, die im Eröff­nungs­spiel gegen Russ­land 0:5 unter­ging? 

Ver­un­glückte Grät­schen, 90 Minuten ohne Toraum­szene: Auch das ist Fuß­ball

Fuß­ball war doch immer schon so vieles: ein Fall­rück­zie­hertor von Gareth Bale, ein Hackentor von Zlatan Ibra­hi­movic, aber auch die ver­un­glückte Grät­sche von Omar Haw­sawi und der fal­sche Ein­wurf von Adolfo Machado. Oder das Eigentor von diesem Typen aus Tri­nidad oder Neu­ka­le­do­nien, von dem man sich den Namen nicht merken kann, dafür aber weiß, dass er eigent­lich als Post­bote oder Imker arbeitet. Manchmal gehen Spiele 0:0 aus, manchmal sehen die Zuschauer in 90 Minuten keine ein­zige Tor­raum­szene.

Manchmal ist Fuß­ball dre­ckig und kantig. Manchmal denkt der Fan sogar, er könnte selber mit­spielen. Aber wer sich nach einem Grot­ten­kick über das Niveau beschwert, als habe er ein Recht auf Enter­tain­ment, sollte das nächste Mal wieder einen Spi­derman-Film anschauen. Da weiß man, was man bekommt. Man weiß sogar, wer gewinnt.

Und dann werden wir Welt­meister!“

Noch zehn Minuten bis nach Sankt Peters­burg, der Zug ver­lang­samte bereits. Was meinst du, wie weit werden wir kommen?“, wollte ein junger Iran-Fan wissen, der sich zu mir ins Abteil gesetzt hatte. Ich zog die Schul­tern hoch. Der Typ von Alk­maar soll gut sein“, sagte ich. Er ist der beste seit Ali Daei“, ant­wor­tete der Fan.

Was meinst du denn, gewinnt ihr ein Spiel?“, fragte ich ihn, und dann sah ich auch in seinen Augen die Schön­heit der Chance. Es ist die erste Partie, alles ist mög­lich, alles ist noch erleuchtet. Viel­leicht gewinnen wir, und viel­leicht bekommen wir einen Lauf“, sagte er. Und dann? Und dann werden wir Welt­meister!“ Ich lächelte, aber der Mann lächelte nicht. Er meinte das ernst. Kom­plett grö­ßen­wahn­sinnig und sehr irri­tie­rend. Ein biss­chen wie der HSV. Wir sollten Freunde werden.