US Palermo wäre in diesem Jahr fast in die Serie A aufgestiegen. Und stürzte dann ab – in die viertklassige Serie D. Eine Katastrophe. Und ein Glücksfall.
Nur ist das mit der Zeit im Fußball so eine Sache. Einerseits will Mirri mit dem neuen Klub schnellen sportlichen Erfolg, aber er will den Fußball in der Stadt auch grundsätzlich verändern. „Wie kann es sein, dass es in Palermo, der fünftgrößten Stadt Italiens, nur drei Rasenplätze gibt“, fragt er. Einer davon ist im Stadion, einer beim italienischen Militär und ein dritter gehört der Universität. Deshalb plant die Vereinsführung auch den Bau von Fußballplätzen. Etwa im Stadtviertel Zen, wo Kinder ohne Helme auf den Motorini um die Häuser rasen, wo nicht nur Wände bröckeln, sondern Decken einstürzen und wo deutlich mehr Müll liegt als im Rest der Stadt. Wo Toto Schillaci, Palermos berühmtester Fußballer, als Kind den Bällen hinterherlief und wo nun endlich neue Talente gefördert werden sollen. Es ist kein Zufall, dass Sizilien so wenig gute Fußballer hervorgebracht hat und dass in der Serie A kein einziger Sizilianer spielt. Also sieht das Projekt des neuen Klubs ein Nachwuchsleistungszentrum vor, eine Frauenfußballmannschaft soll ebenfalls etabliert werden, Geflüchtete sollen eingebunden werden, das Stadion renoviert und endlich Transparenz geschaffen werden. Erst Wurzeln schlagen und Palermo dann zum Fliegen bringen.
Aber erst einmal ist die Flughöhe bescheiden und doch wunderschön. An einem Sonntag im Oktober spielt Palermo gegen Cittanovese. „Cittanovese“, sagt Mirri, grinst kurz, zieht dann die Mundwinkel runter und zuckt mit den Schultern, als hätte er das noch nie gehört. Bürgermeister Orlando sitzt auf der Ehrentribüne, er kommt diese Saison zu jedem Heimspiel ins Stadion. Er ist nicht der Einzige, dem Fußball in Palermo plötzlich Freude bereitet. 10 446 Dauerkarten in der Serie D, der vierten Liga, ein Rekord, dabei kommen die Gegner aus Kleinstädten in der Nähe wie Acireale, Licata oder Marina di Ragusa. Letzte Saison, als es um die Rückkehr in die Serie A ging, verkaufte man nur etwas mehr als 2000 Dauerkarten.
„Alles im Herzen“
Mirri geht kurz vor Anpfiff über den Rasen auf seinen Platz gegenüber der Haupttribüne. Auf der „Gradinata“ in Reihe 19 auf Platz 24 saß er schon als Wirtschaftsstudent. Die Fans klatschen, rufen ihm „Grande Presidente“ zu, wenn er vorbeiläuft. Er schüttelt Hände, macht brav Selfies mit ihnen, bittet um Geduld mit dem Verein und verspricht wenig. Die Fans vertrauen ihm, aber was sollten sie auch sonst tun?
Die jungen Spieler Palermos tragen keine Namen auf den Trikots, nur die Wenigsten werden gut genug sein, den Verein auf dem Weg in die Serie C oder die Serie B zu begleiten. Ein paar Fans werden sich trotzdem an sie erinnern. Später einmal, denn sie spielten mit, als Palermo ganz unten war. Palermo gewinnt auch das sechste Spiel in Folge, 4:1, und bleibt Tabellenführer. Als Mirri sich verabschiedet, greift er noch in seine Hosentasche, holt einen zerknitterten Zettel hervor, entfaltet ihn, geht die Stichpunkte darauf durch und sagt: „Sage ich doch: Alles im Herzen.“