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Es war der Lada. Blau wie der Himmel über Baku war er, nagelneu über­dies, und wie hätte Aslan Kerimow ihm da wider­stehen können? Nicht einmal ganz 20 Jahre alt war der talen­tierte Ver­tei­diger, und hatte er sich das Leben eines Fuß­ball­profis nicht genau so vor­ge­stellt? Wer gut kickte, bekam für einen Ver­eins­wechsel schicke Autos. Und in Aser­bai­dschan galt 1992 ein blauer Lada sehr wohl als ein Wagen, mit dem man richtig was her­ma­chen konnte.

Außerdem waren die sport­li­chen Aus­sichten auch nicht schlecht. Immerhin kam das Angebot von einem Klub, der in der Saison zuvor – der ersten im gerade unab­hängig gewor­denen Land – Zweiter geworden war. Die Sache hatte nur einen Haken. Der FK Qarabag Agdam spielte mehr als sieben Auto­stunden von Baku ent­fernt. Vor allem aber war er in einer Region zu Hause, die, so abge­legen sie auch war, es in jener Zeit bis in die Welt­nach­richten schaffte. 

Sol­daten, Panzer, explo­die­rende Gra­naten

Man sah dort Bilder von Sol­daten, von Pan­zern, explo­die­renden Gra­naten und toten Men­schen unter Lei­chen­tü­chern. Die Nach­rich­ten­spre­cher erzählten dazu eine kom­pli­zierte Geschichte, in der von Län­dern die Rede war, die gerade erst im Jahr zuvor ihre Unab­hän­gig­keit von der Sowjet­union erstritten hatten: Arme­nien und Aser­bai­dschan.

Ihre neue Frei­heit nutzten sie erst einmal dazu, einen Krieg um jene Region im Kau­kasus zu führen, wo der Klub spielte, der Kerimow lockte: Nagorny Kara­bach. Seit Jahr­hun­derten lebten dort christ­liche Arme­nier und mus­li­mi­sche Aser­bai­dschaner zusammen, nicht immer fried­lich, jetzt aber offen gewalt­tätig.

Der schwarze Januar“

Für Aslan Kerimow bedeu­tete das: Wenn er den blauen Lada haben wollte, musste der Mann, der eines Tages zum Rekord­na­tio­nal­spieler Aser­bai­dschans werden sollte, ins Kri­sen­ge­biet wech­seln. Aber warum hätte ich Angst haben sollen?“, fragt er fast zwei Jahr­zehnte nachdem er sich der Mann­schaft in Agdam ange­schlossen hat. Und dann erzählt er vom schwarzen Januar“. Damals, im bit­ter­kalten Januar 1990, hatte es wochen­lang immer wieder Demons­tra­tionen auf dem Lenin­platz im Zen­trum von Baku gegeben. Sie rich­teten sich gegen die arme­ni­schen Unab­hän­gig­keits­be­mü­hungen in Nagorny Kara­bach.

Auch Keri­mows Vater schloss sich den Pro­testen an und wachte an einer impro­vi­sierten Bar­ri­kade in der Nähe der Woh­nung, wohin Aslan und seine Schwester ihm Essen brachten. Am 20. Januar schließ­lich wälzten sowje­ti­sche Panzer den Wider­stand nieder, denn damals sah sich die UdSSR noch als die ein­zige Macht im Kau­kasus. Ich habe gesehen, wie Panzer über Autos rollten und Men­schen zer­quetschten. Damals war Baku auch nicht sicherer als Kara­bach.“ Man könnte denken, dass Kerimow daher zwei Jahre später viel­leicht auch aus einem Gefühl patrio­ti­scher Auf­wal­lung ins Kri­sen­ge­biet wech­selte. Doch ehr­lich gesagt, ging es dem damals noch sehr scheuen Jungen neben der Chance auf Fuß­ball in einer guten Mann­schaft doch eher um den Lada.

Sport­lich gesehen erwies sich der Wechsel an die Front schnell als eine aus­ge­spro­chen gute Ent­schei­dung. Kerimow wurde sofort Stamm­spieler einer Mann­schaft, deren schwie­rige Situa­tion sie beson­ders heim­stark machte. Abge­sehen vom ersten Spiel wurden alle Par­tien im hei­mi­schen Imaret-Sta­dion gewonnen. Aller­dings mussten einige Spiele abge­bro­chen werden, weil der Rake­ten­be­schuss so nahe kam, dass für Zuschauer und Spieler unmit­tel­bare Lebens­ge­fahr bestand. 

Nie­mand wusste, wie es wei­ter­gehen würde

Trotzdem endete die Saison mit dem größt­mög­li­chen Tri­umph, denn Kerimow gewann mit dem FK Qarabag das Double. Im Mai 1993 holte seine Mann­schaft vor zehn­tau­send Zuschauern in Baku zunächst den Pokal, und am 1. August siegte sie dort auch noch im End­spiel um die Meis­ter­schaft.

Doch da waren nur noch halb so viele Zuschauer im Sta­dion wie beim Cup­fi­nale, die Leute hatten plötz­lich ganz andere Sorgen als Fuß­ball. Acht Tage zuvor war Agdam von arme­ni­schen Truppen besetzt worden. 130 000 Bewohner flohen aus der Stadt und der näheren Umge­bung. Nie­mand wusste, wie es wei­ter­gehen würde. Gleich nach Ende des Spiels packten die Spieler ihre Sachen zusammen, es gab Wich­ti­geres zu tun. Wie schlimm es um ihre Hei­mat­stadt stand, hatte man ihnen erst nach Spiel­schluss gesagt, und die meisten machten sich direkt auf die Suche nach ihren Ange­hö­rigen.

Agdam sollte für immer unbe­wohnbar bleiben

Eine Meis­ter­feier gab es nicht. Kerimow, der Junge aus Baku, nahm die U‑Bahn und fuhr zum großen Bou­le­vard der Stadt. Auf dem Schwarz­markt kaufte er eine Dose Cola, ging zur Ufer­pro­me­nade hin­über und schaute aufs Kas­pi­sche Meer hinaus. Er beschloss, dass er mit seinen Mann­schafts­ka­me­raden noch mal eine rich­tige Meis­ter­party feiern würde. In diesem Moment konnte er aller­dings nicht wissen, dass sein Klub das Schicksal vieler Men­schen in der Region teilen würde.

Denn fortan konnte der FK Qarabag nicht mehr in Agdam spielen. Auf die mas­siven Zer­stö­rungen des Krieges folgten Plün­de­rungen. Fast alle Gebäude wurden demo­liert, aus Häu­sern wurde Bau­ma­te­rial. Agdam sollte für immer unbe­wohnbar und Teil einer weit­ge­hend men­schen­leeren Puf­fer­zone zwi­schen Arme­nien und Aser­bai­dschan werden. Auch vom kleinen Imaret-Sta­dion, wo der Klub fast fünf Jahr­zehnte lang gespielt hatte, blieben nur Ruinen. Die Mann­schaft aus der Geis­ter­stadt wurde zu einer im Exil. Fortan trug sie nur noch Aus­wärts­spiele aus.

Neben den über 30 000 Toten ver­trieb der Krieg bis zu seinem Ende 1994 rund 350 000 Arme­nier und 750 000 Aser­bai­dschaner aus ihrer Heimat. Damit kam dem FK Qarabag eine neue Rolle zu. Nun wärmten sich all jene an ihm, die eben­falls im Exil waren. Jah­re­lang trug der Verein seine Heim­spiele an wech­selnden Orten im ganzen Land aus. 

1994 etwa sie­delte ihn der Fuß­ball­ver­band in Ali Bay­ramli an, einer Stadt in Zen­tral-Aser­bai­dschan. Das war ein großer Fehler, die Leute dort wollten uns nicht“, sagt Kerimow. Sie haben uns als Flücht­linge abschätzig behan­delt und gesagt, dass wir ver­schwinden sollten. Einige haben uns sogar als Ver­räter bezeichnet, weil wir Kara­bach den Arme­niern über­lassen hätten. Vor allem für meine Mann­schafts­ka­me­raden, die aus Agdam kamen, war das die schlimmste Belei­di­gung, die man sich vor­stellen kann.“ 

Ihr Leben bleibt pro­vi­so­risch

So war es eine Erlö­sung für den Klub, als er über den Umweg Baku nach Sum­gait wei­ter­ziehen durfte, wo einige Tau­send Flücht­linge lebten. Noch heute, fast zwei Jahr­zehnte nach dem Waf­fen­still­stand, warten fast eine halbe Mil­lion Ver­trie­bene aus Nagorny Kara­bach in behelfs­mä­ßigen Bara­cken auf einen offi­zi­ellen Frie­dens­schluss. Und weil es diesen noch nicht gibt, muss ihr Leben pro­vi­so­risch bleiben. Denn würden sie sich fest ein­richten, so behauptet die Politik ihres Landes, würde man seine Ansprüche in Nagorny Kara­bach auf­geben.

Fuß­ball­fans auf der ganzen Welt lieben die Kämpfer auf dem Rasen, und Aslan Kerimow war einer, der seine Zwei­kämpfe so ent­schlossen führte, dass die auf den Tri­bünen ihn den Löwen“ nannten. Aus dem scheuen Jungen war längst einer dieser unauf­fällig ver­läss­li­chen Anführer auf dem Platz geworden, einer wie Paolo Mal­dini oder Phillip Cocu. 1997 kam er mit seiner Mann­schaft dem Titel wieder ganz nahe, doch letzt­lich schloss Keri­mows Mann­schaft die Meis­ter­schafts­runde nur als Zweiter ab.

Der FK Qarabag war Teil meines Lebens geworden“

Dafür durfte die Mann­schaft erst­mals inter­na­tional spielen, und ihr gelang sogar der erste Sieg einer Mann­schaft aus Aser­bai­dschan im Euro­pa­pokal, auch wenn sie schließ­lich im Elf­me­ter­schießen gegen die Finnen von MyPa aus­schied.

Doch da hatte Kerimow seinen Klub bereits ver­lassen. Der FK Qarabag war zwar Teil meines Lebens geworden, aber ich musste gehen, weil es damals keinen Sponsor und kein Geld mehr gab“, sagt er. So gewann er bei drei anderen Klubs in Aser­bai­dschan fünf Titel, ver­suchte sich kurz in der rus­si­schen Pro­fi­liga, kehrte 2003 aber schließ­lich zu seinem Klub zurück, nachdem er dort eine Meis­ter­feier ver­passt hatte.

Der zweite Titel­ge­winn wurde offi­ziell nie aner­kannt

Obwohl, eine rich­tige Meis­ter­schaft war das nicht. Der FK Qarabag hatte aus Pro­test gegen die weit­ver­brei­tete Kor­rup­tion im Fuß­ball­ver­band von Aser­bai­dschan gemeinsam mit den anderen Klubs der ersten Liga eine selbst­or­ga­ni­sierte Runde gespielt und als Sieger beendet. Der zweite Titel­ge­winn nach 1993 wurde offi­ziell nie aner­kannt.

Auch nach seiner Rück­kehr ging Keri­mows Kar­riere im Natio­nal­team weiter, bei seinem Abschied 2008 war er mit 74 Spielen Rekord­na­tio­nal­spieler. Im Januar des glei­chen Jahres hatte Aser­bai­dschans Prä­si­dent Ilham Aliyev, Kopf eines auto­ri­tären Regimes, ein neues Sta­dion in Guz­anli eröffnet.

Der Ort liegt nur wenige Kilo­meter von der Demar­ka­ti­ons­linie mit Arme­nien und den Ruinen Agdams ent­fernt, und im Sommer 2009 begann der FK Qarabag dort seine Heim­spiele aus­zu­tragen, die sich nun etwas mehr auch so anfühlten. Wobei Kerimow bei Kol­legen, die nicht aus der Region stammen, immer um Ver­ständnis für den neuen Standort werben musste. Denn vielen war das Leben in der abge­le­genen Region ohne Inter­net­zu­gang oder andere Mög­lich­keiten des Zeit­ver­treibs zu müh­selig.

Im Sommer 2009 gewann der FK Qarabag den Lan­des­pokal und qua­li­fi­zierte sich für den Euro­pacup, wo er die größte Sen­sa­tion der Ver­eins­ge­schichte schaffte. In der ersten Runde der Europa League schal­teten sie Rosen­borg Trond­heim aus Nor­wegen aus, am Tag genau 16 Jahre nach der Ver­trei­bung aus Agdam. Weil dabei nur ein Aus­länder im Team stand, wurde der FK Qarabag von Staats­prä­si­dent Aliyev als Klub der Nation“ gefeiert, obwohl er doch auch ein Opfer des Natio­na­lismus war.

Die Fans warten immer noch auf ein Heim­spiel

Kerimow selber jagte indes vor allem weiter seiner ver­passten Meis­ter­feier hin­terher, und 2010 sollte es eigent­lich so weit sein. Das letzte Spiel der Saison sollte auch das letzte seiner Kar­riere sein, er wollte als Cham­pion abtreten. Seine Mann­schaft brauchte gegen ein fast nur aus Reser­visten bestehendes Team von Neftchi Baku nur zu gewinnen. Doch so leicht die Auf­gabe war, der FK Qarabag traf ein­fach nicht, das Spiel endete 0:0. Es gab keine Meis­ter­feier, und am nächsten Morgen ging Kerimow allein zum Trai­ning, er machte ein­fach weiter.

Doch es reichte nicht. Aslan Kerimow hat in seiner Kar­riere mehr erreicht als alle Spieler seines Landes, aber er hörte Anfang 2012 mit dem Fuß­ball­spielen auf, ohne mit dem FK Qarabag die Meis­ter­feier von 1993 nach­holen zu können. Sein alter Klub spielt nun in Baku. Wäh­rend die meisten seiner Fans immer noch darauf warten, dass sie eines Tages viel­leicht doch einmal wieder ein Heim­spiel zu Hause sehen können.