30.000 Tote und Spiele unter Raketenbeschuss: 1994 verlor Qarabag Agdam im Krieg seine Heimat, die Stadt gleicht seither einer Geisterstadt. Aslan Kerimow war mittendrin.
Sportlich gesehen erwies sich der Wechsel an die Front schnell als eine ausgesprochen gute Entscheidung. Kerimow wurde sofort Stammspieler einer Mannschaft, deren schwierige Situation sie besonders heimstark machte. Abgesehen vom ersten Spiel wurden alle Partien im heimischen Imaret-Stadion gewonnen. Allerdings mussten einige Spiele abgebrochen werden, weil der Raketenbeschuss so nahe kam, dass für Zuschauer und Spieler unmittelbare Lebensgefahr bestand.
Niemand wusste, wie es weitergehen würde
Trotzdem endete die Saison mit dem größtmöglichen Triumph, denn Kerimow gewann mit dem FK Qarabag das Double. Im Mai 1993 holte seine Mannschaft vor zehntausend Zuschauern in Baku zunächst den Pokal, und am 1. August siegte sie dort auch noch im Endspiel um die Meisterschaft.
Doch da waren nur noch halb so viele Zuschauer im Stadion wie beim Cupfinale, die Leute hatten plötzlich ganz andere Sorgen als Fußball. Acht Tage zuvor war Agdam von armenischen Truppen besetzt worden. 130 000 Bewohner flohen aus der Stadt und der näheren Umgebung. Niemand wusste, wie es weitergehen würde. Gleich nach Ende des Spiels packten die Spieler ihre Sachen zusammen, es gab Wichtigeres zu tun. Wie schlimm es um ihre Heimatstadt stand, hatte man ihnen erst nach Spielschluss gesagt, und die meisten machten sich direkt auf die Suche nach ihren Angehörigen.
Agdam sollte für immer unbewohnbar bleiben
Eine Meisterfeier gab es nicht. Kerimow, der Junge aus Baku, nahm die U‑Bahn und fuhr zum großen Boulevard der Stadt. Auf dem Schwarzmarkt kaufte er eine Dose Cola, ging zur Uferpromenade hinüber und schaute aufs Kaspische Meer hinaus. Er beschloss, dass er mit seinen Mannschaftskameraden noch mal eine richtige Meisterparty feiern würde. In diesem Moment konnte er allerdings nicht wissen, dass sein Klub das Schicksal vieler Menschen in der Region teilen würde.
Denn fortan konnte der FK Qarabag nicht mehr in Agdam spielen. Auf die massiven Zerstörungen des Krieges folgten Plünderungen. Fast alle Gebäude wurden demoliert, aus Häusern wurde Baumaterial. Agdam sollte für immer unbewohnbar und Teil einer weitgehend menschenleeren Pufferzone zwischen Armenien und Aserbaidschan werden. Auch vom kleinen Imaret-Stadion, wo der Klub fast fünf Jahrzehnte lang gespielt hatte, blieben nur Ruinen. Die Mannschaft aus der Geisterstadt wurde zu einer im Exil. Fortan trug sie nur noch Auswärtsspiele aus.
Neben den über 30 000 Toten vertrieb der Krieg bis zu seinem Ende 1994 rund 350 000 Armenier und 750 000 Aserbaidschaner aus ihrer Heimat. Damit kam dem FK Qarabag eine neue Rolle zu. Nun wärmten sich all jene an ihm, die ebenfalls im Exil waren. Jahrelang trug der Verein seine Heimspiele an wechselnden Orten im ganzen Land aus.