Nach Recherchen von Buzzfeed und MAZ hat der 1. FC Union Berlin ein Diskriminierungsproblem in der Nachwuchsarbeit. Der Verein weist alle Vorwürfe von sich. Doch der Fall ist komplizierter.
Wollte der Verein also durch eine eigene Veröffentlichung etwaigen schlechten Schlagzeilen zuvorkommen? In den Kommentarspalten jedenfalls äußern sich viele Fans der Eisernen, schreiben Sätze wie „Super Antwort von Union. Es gibt halt auch dreckigen Journalismus und Neider… wir Unioner sind eine Familie“, „Riesen Sauerei was sich manche Schreiberlinge so heraus nehmen“, „Nicht verstecken, klar entgegen treten! So werden auch die letzten Neider abgewehrt“. Gäbe es einen Kampf um die Deutungshoheit, Union Berlin hätte die erste Schlacht gewonnen.
Neid? Dreckiger Journalismus? Sind Buzzfeed und MAZ im schlimmsten Fall einer Gruppe von aussortieren Spielern auf den Leim gegangen, die nun den Verein beschuldigen, ein Rassismusproblem zu haben, das es gar nicht gibt, das aber auch nur schwer zu widerlegen ist? Daniel Drepper, Chefredakteur von Buzzfeed, ist sich der Gefahr bewusst und anderer Meinung. „Wir haben ganz lange über diesen Aspekt gesprochen. Weil zu Anfang nicht klar war, ob das nur eine Handvoll frustrierter Leute ist oder ob sich ein wiederkehrendes Muster erkennen lässt.“ Doch nach den Gesprächen ist für ihn und die Redaktion klar, dass sich der Vorwurf halten lässt. „Auch wenn wir keine schriftlichen Belege für besondere Verhaltensweisen haben, sind mehr als 30 Gesprächspersonen, die immer wieder sehr ähnliche Vorgänge und sehr ähnliche Erlebnisse schildern – die das sehr glaubwürdig und unabhängig voneinander tun – die sich teilweise gar nicht kennen und keine homogene Gruppe sind, ein klares Zeichen für uns, dass sich hier eine differenzierte Geschichte aufschreiben lässt.“
Das ist möglicherweise die spannendste Frage: Wann ist ein Vorwurf so hart, dass es keine weiteren Belege braucht, um damit an die Öffentlichkeit zu gehen? Anders als im Fall der rassistischen Vorfälle am Campus des FC Bayern, liegen den Journalisten von BuzzFeed und MAZ zum Beispiel keine eindeutigen Chatnachrichten vor. Keine Beweise, die schwarz auf weiß belegen würden, dass ein solches Problem auch bei Union Berlin existiere. Pressesprecher Christian Arbeit sagt: „Am Ende der Recherche reicht es aus, Vorwürfe zu erheben, ohne konkrete Beweise vorzulegen? Das finde ich perfide.“
Was aber ist mit der drastisch gefallenen Quote von türkisch- und arabischstämmigen Spielern in den Jugendkadern von Union Berlin? Im Sommer 2018, vor dem Amtsantritt von André Hofschneider, verfügten 19 von 45 Jugendlichen der Jahrgänge 2003/04 über einen solchen Migrationshintergrund. Im Sommer 2020 sind es nur noch 3 von 30 Spielern. Die Quote ist von über 40 auf zehn Prozent gefallen. Zufall oder Beleg? „Nur wenn ich davon ausgehe, dass das eine relevante Größe ist“, sagt Christian Arbeit. „Abgesehen davon wird hier nur ein sehr kurzer Zeitraum betrachtet.“ Es ließe sich dagegen halten, dass hierbei ja eben genau die Amtszeit von André Hofschneider betrachtet wird. Und dass eine Veränderung von 40 auf zehn Prozent in zwei Jahren sogar bei der SPD für Diskussionsbedarf sorgen würde – bei Union Berlin sieht man das aber offenbar anders.
„Ein solches Vorgehen ist jedoch bereits durch die Vereinssatzung ausgeschlossen“
Für Verwunderung sorgte die Argumentation von Union Berlin: „Ein solches Vorgehen ist jedoch bereits durch die Vereinssatzung ausgeschlossen, gemäß derer der Verein ‚demokratischen und humanistischen Grundwerten verpflichtet‘ ist.“ So steht es in der ersten Pressemitteilung. Rassismus unmöglich, weil Rassismus schon in der Satzung ausgeschlossen wird? Eine Argumentationsweise, die schon bei Innenminister Horst Seehofer, als der eine Rassismusstudie bei der Polizei ablehnte, für reichlich Kopfschütteln gesorgt hatte.
Christian Arbeit argumentiert: „Man kann ja durchgehen, welche Spieler in den letzten Jahren den Profibereich erreicht haben: Darunter waren Maurice Opfermann Arcones, Deutsch-Spanier. Berkan Taz und Cihan Kahraman, beide türkischer Abstammung, Fisnik Asllani ist Kosovare. Mit Lennard Maloney hat ein Deutsch-Amerikaner sein Profi-Debüt bei uns gegeben.“ Auch das erinnert an die beliebte Ausflucht, man könne kein Rassist sein, einige der besten Freunde seien schließlich Ausländer. Zumal Opfermann Arcones, Asllani oder Maloney aufgrund ihrer Herkunft nicht in die Recherche einbezogen worden wären. Und als Deutsch-Spanier, Kosovaren oder Deutsch-Amerikaner ohnehin weitaus seltener mit Rassismus konfrontiert werden dürften.
Warum also weist Union Berlin den Verdacht so scharf von sich? Daniel Drepper sagt: „Uns war wichtig, dass wir den diskriminierenden und den schwierigen Umgang in den Vordergrund stellen und nicht durchgängig die Rassismuskeule schwingen.“ Wie also wird in einem Verein miteinander gesprochen? Wie sensibel sollte mit Kindern und Jugendlichen in einem leistungsorientierten Umfeld umgegangen werden? Christian Arbeit sagt: „Leistungsfußball bedeutet, sich durchzusetzen gegen andere. Da kann es auch mal rau oder weniger nett zugehen.“ Ein Satz, den vermutlich viele Akteure im deutschen Jugendleistungsfußball unterschrieben würden.
Drepper jedenfalls ist von der Recherche seiner Redaktion überzeugt. Er meint, viele Antworten des Bundesligisten im Fragenkatalog würden vom Thema ablenken. Eine Frage, ob sich der Umgangston mit der Installation von André Hofschneider als NLZ-Cheftrainer verändert habe – die Redaktion nennt an dieser Stelle mehrere Beispiele – beantwortet der Klub wie folgt: „Zu einem persönlichen Gespräch über die vorgetragenen Themen mit Personen, die diese Anschuldigungen erheben, stehen der verantwortliche Geschäftsführer, Lutz Munack, und der Leiter des Nachwuchsleistungszentrums, Janek Kampa jederzeit zur Verfügung.“
Drepper sagt: „Es waren genug Hinweise, um zu sagen: Es war nicht einfach in den letzten drei Jahren für Kinder mit Migrationshintergrund. Und dass das auf die eh schon harte Umgangsweise obendrauf gekommen ist.“ Ob das stimmt? Es scheint, als stünde aktuell zumindest Aussage gegen Aussage. Wichtiger sei der Buzzfeed-Redaktion ohnehin, die Diskrepanz zwischen den hohen Erwartungen hoffnungsvoller Jugendspieler, der pädagogischen Betreuung und dem harten Aussiebungsprozess der Bundesligisten zu thematisieren.
Christian Arbeit, als Sprecher des Vereins, wehrt sich gegen Vorwürfe dieser Art. Er betont, es sei unmöglich, zu beweisen, dass etwas nicht gesagt wurde und er stellt klar: „Wir sind verantwortlich dafür, wie es unseren Mitarbeitern und den uns anvertrauten Kindern und Jugendlichen geht.“ Die Frage ist nur, ob das auch für die Kinder und Jugendlichen gilt, die schon aussortiert wurden.
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