Nach Recherchen von Buzzfeed und MAZ hat der 1. FC Union Berlin ein Diskriminierungsproblem in der Nachwuchsarbeit. Der Verein weist alle Vorwürfe von sich. Doch der Fall ist komplizierter.
Die Journalisten von BuzzFeed News Deutschland und der Märkischen Allgemeinen Zeitung (MAZ) hatten monatelang recherchiert. Sie hatten mit ehemaligen Jugendspielern vom 1. FC Union Berlin gesprochen, mit Angehörigen, mit Beratern, hatten mehrfach gehört, wie die Betroffenen den neuen Cheftrainer des Nachwuchsleistungszentrums, André Hofschneider, einen Diktator nannten und sie hatten Zahlen zusammengetragen, die ein Diskriminierungsproblem im Verein nahelegen. Dann konfrontierten die Journalisten den Bundesligisten mit ihren Ergebnissen. Doch wer als erstes wissen wollte, was die Redaktionen herausgefunden hatten, und wie der Verein auf die Anschuldigungen reagierte, musste am Montag die Website der Unioner aufrufen.
Die Geschichte der Diskriminierungsvorwürfe gegen Union Berlin hat zwei Dimensionen. Zum einen sind da die Vorwürfe, die im Raum stehen und Fragen aufwerfen: Wie werden Spieler im Jugendbereich des Bundesligisten wirklich behandelt? Werden systematisch Minderjährige mit arabischem Hintergrund aussortiert? Und welche Rolle spielt der ehemalige Berliner Cheftrainer und heutige NLZ-Chefcoach André Hofschneider? Da ist aber auch die Sache, wie Union Berlin mit der Anfrage der Journalisten umging – und die Frage, wie vieler Beweise es bedarf, um einen so schwerwiegenden Verdacht äußern zu können.
„Union weißt anonyme Vorwürfe zurück“, hieß es in einem Statement des Vereins am Montag. Im Anhang einer Pressemitteilung hatte Union Berlin 17 Fragen der Journalisten beantwortet und veröffentlicht. Es geht bei diesen Fragen um ein schwerwiegendes Thema: Nach Recherchen der Redaktionen ging am 6. September 2020 ein Brief beim Berliner Fußball-Verband ein. Darin heißt es, dass in der vergangenen Zeit ungewöhnlich viele Jugendspieler mit Migrationshintergrund Union Berlin verlassen mussten. Absender des Briefes sind besorgte Eltern. Sie nennen die Namen von 19 Spielern der Jahrgänge 2003 und 2004, den aktuellen A- und B‑Jugendkadern von Union, die aussortiert wurden. Sie alle fühlen sich schlecht behandelt. Und fast alle haben einen Migrationshintergrund. Sie sollen innerhalb der Mannschaften schlechter behandelt worden sein als Deutsche. In dem Brief fragen die Eltern, ob der NLZ-Chefcoach, Andre Hofschneider, eine „Ausländerquote“ durchsetze. BuzzFeed und MAZ gehen dieser Frage nach.
In Gesprächen schildern Spieler und Eltern anonym die Drucksituation im Verein. Es wird von „fehlendem pädagogischen Gespür und von Willkür“ gesprochen. Einem Spieler, der Union Berlin verlassen musste, soll an seinem Geburtstag am Telefon gesagt worden sein: „Du bist raus.“ In anderen Situationen seien die Jugendlichen verbal angegriffen worden. Einem schwarzen Torhüter soll von einem Trainer gesagt worden sein, er müsse mit seinen Füßen bis an die Latte springen können. Schließlich sei er Schwarz. Es ist nur eines von mehreren Beispielen dieser Art, die die Journalisten zusammengetragen haben. Zudem finden sie heraus, dass in den Jahrgängen 2003/04 bei Union Berlin die Quote von Spielern mit türkischem oder arabischen Migrationshintergrund innerhalb von nur etwa zwei Jahren von über 40 auf zehn Prozent gesunken ist.
In dem Fragenkatalog, den Buzzfeed und MAZ an Union Berlin schicken, geht es um genau diese Vorwürfe. Sie stellen Fragen zum Auswahlprozess von Jugendspielern, zu deren psychologischer Betreuung, zu konkreten Situationen und zur Rolle von André Hofschneider. Sie geben dem Verein drei Tage Zeit, um die Fragen zu beantworten – eine durchaus übliche Frist. Doch die Situation eskaliert. Buzzfeed-Chefredakteur Daniel Drepper schildert die Situation am Dienstagmorgen auf Twitter. Demnach habe Unions Pressesprecher Christian Arbeit die Redaktionen informiert, dass man die Fragen nicht beantworten werde, der Verein aber zu einem Gespräch eingeladen habe. Dazu sollte es an jenem Dienstag kommen. Stattdessen meldete sich der Verein jedoch bereits am Montag, einen Tag vor dem Gespräch, bei einem der Journalisten. Man habe Kenntnis darüber erhalten, dass die Redaktionen ebenfalls beim Berliner Fußball-Verband und beim DFB um Stellungnahmen gebeten hätten. Ebenfalls keine unübliche Praxis. Doch für Union Grund genug, um von dem Gesprächstermin Abstand zu nehmen und kurz darauf den gesamten Fragenkatalog samt Antworten zu veröffentlichen.
Der Grundtenor der Berliner: Sie weisen alle Vorwürfe von sich. „Die Auf- und Übernahmekriterien unseres NLZ sind auf die sportliche und schulische Leistungsfähigkeit sowie auf das Sozialverhalten ausgerichtet. Andere Kriterien, wie Religionszugehörigkeit oder Migrationshintergrund, existieren nicht“, heißt es in einem Abschnitt. Viele weitere Antworten ähneln diesem Grundtenor. Aber wieso hat der Verein nicht das Gespräch mit den Journalisten abgewartet? Pressesprecher Christian Arbeit sagt auf Nachfrage: „Wir haben es noch schwerer, unsere Unschuld zu beweisen, wenn die Anschuldigung erst einmal erhoben ist.“
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