Die EM-Auslosung ist kompliziert? Mitnichten. 11FREUNDE erklärt den Modus und seine Winkelzüge. Vielleicht.
Die Setzliste
Hurra! Endlich wird der Fußball in Europa gerechter, denn mit dem neuen „Overall Ranking“ gibt es ein neues, besseres und revolutionäres System für die Setzliste zur Auslosung der Gruppen für die Europameisterschaft 2020. Doch der Teufel steckt wieder mal im Detail. Bei der Setzung der Mannschaften in den jeweiligen Töpfen kommt es nur darauf an, wie gut die Teams in der EM-Quali abgeschnitten haben. Es wäre daher Fußballzwergen wie den Färöer-Inseln möglich gewesen, erstmals als Gruppenkopf anzutreten. In der Praxis bleibt die Revolution allerdings auf theoretischer Ebene stecken, denn – und das konnte bei der UEFA wirklich keiner ahnen – als Gruppenerste setzten sich meist die Top-Teams durch. Frankreich, Spanien, Niederlande und England sind also als Gruppenköpfe gesetzt. Fast jedenfalls.
Denn um die Angelegenheit nicht weiter zu verkomplizieren, hat man bei der UEFA schnell gemerkt, dass für zehn Gruppensieger zwei Töpfe herhalten müssen. Die Top-Teams, die in Topf 2 müssen, haben dadurch einen Nachteil, weil sie sich in der Gruppe mit einem anderen Spitzen-Mannschaft duellieren müssten. Wer sich in Topf 1 und wer sich in Topf 2 schmeißen lassen darf, wird daher zunächst in einem Mensch-ärgere-dich-nicht-Turnier ermittelt. Die UEFA-Statuten sehen dabei insgesamt 105 Partien im Turniermodus vor, zu denen die jeweiligen Ehrenspielführer der Nationalmannschaften antreten. Von der Summe der Gesamtsiege einzelner Teams wird dann nochmals die Quersumme ermittelt. Die sechs Teams mit der höchsten Quersumme qualifizieren sich für Topf 1.
Playoffs
Auch für die Playoffs hat sich die UEFA etwas einfallen lassen, um im Hinblick auf Fan-Nähe und die mangelnde Übersicht bei Events wie der Nations League jedermann glücklich zu machen.
So besteht Topf 4 zunächst aus zwei Gruppenzweiten der EM-Quali, da die übrigen sechs im Topf 3 ihre eigene Suppe köcheln. Topf 4 muss also mit vier Mannschaften aus dem Playoff-Modus der Nations League angereichert werden. Und weil man bei der UEFA noch nicht genug Fußball gesehen hat, macht man aus den Playoffs für diese vier Startplätze einfach ein kleines Turnierchen. So richtig mit Finale, Pokal und David Guetta bei der Eröffnungsfeier! Nur die Gruppenphase schenkt man sich, denn die gab es schließlich bei der Nations League schon. Die Erstplatzierten der jeweils vier Gruppen jeder Liga duellieren sich dann in zwei Halbfinals miteinander, um sich ein paar Tage später im Finale für einen der begehrten Plätze zu qualifizieren. Und das dann eben mal vier. Ein bisschen kompliziert wird es nur, weil sich die Gruppenersten der Liga A schon alle für die Euro qualifiziert haben. Unerwartet, wenn man bedenkt, dass darunter die Niederlande, Portugal und England sind. Deshalb wird nun händeringend nach Mannschaften für den Playoff-Modus gesucht, denn auch die jeweiligen Gruppenzweiten sind bereits für die Euro qualifiziert.
Doch die Teams auf Platz drei liefern einen einen Suchtreffer. Die Isländer sind als einziger Drittplatzierter der Liga A nicht qualifiziert und bekommen damit einen Startplatz in einem der 24 Halbfinals. Um die restlichen Teilnehmer für die Liga A zu ermitteln, werden deshalb – im Sinne der sportlichen Fairness – die jeweiligen durchschnittlichen Jahrestemperaturen aus Nationen anderer Ligen ermittelt. Damit den kühlen Isländern kein Wettbewerbsnachteil zu schaffen macht, qualifizieren sich die Länder mit den niedrigsten Durchschnittstemperaturen für die beiden Halbfinals. Coole Idee eigentlich.
Das „Trojanische Pferd“
Einfacher als in Liga A stellt sich die Situation in Liga D der Nations League dar. Hier sind die beiden Halbfinals schon ermittelt. Sie finden zwischen Georgien und Weißrussland sowie Nordmazedonien und Kosovo statt. Das war’s dann aber auch schon mit dieser herrlichen Einfachheit, denn sollte sich Kosovo zunächst gegen Normazedonien durchsetzen, um im Finale dann auf Weißrussland oder Georgien zu stoßen, dann wartet nicht nur ein heißes Finale auf die Kosovaren, sondern verkompliziert sich das Turnier dadurch noch weiter. Denn bei einer Teilnahme der Kosovaren könnte bei der Gruppenauslosung weiterer Wirbel entstehen. Eine Partie zwischen dem Kosovo und Russland ist mit Blick auf die politischen Spannungen ausdrücklich untersagt. Ebenso steht es um mögliche Spiele gegen Serbien oder Bosnien-Herzegowina. Letztgenannte sind zwar bisher nicht qualifiziert, haben aber über die Nations-League ebenso wie der Kosovo die Chance zur Teilnahme. Da die drei Teams in jeweils unterschiedlichen Pfaden der Nations League antreten, ist die Chance auf eine Teilnahme aller drei Länder gegeben.
Doch auch hier hat sich die UEFA etwas Raffiniertes einfallen lassen. Als vereinfachenden Lösungsansatz präsentiert sie ein völlig neues Modell, das System des „Trojanischen Pferdes“. Sollten die Teams im Turnier aufeinander treffen, wäre es den Mannschaften erlaubt, Spieler anderer Nationen zu nominieren. Mit der Regelung will die UEFA die Brisanz aus den emotionalen Begegnungen nehmen. Ein unmotivierter Toni Kroos im kosovarischen Trikot soll wahre Wunder gegen jegliche politische Spannungen wirken. Außerdem hätten Spieler wie Cristiano Ronaldo die Chance, für gleich drei Nationalmannschaften innerhalb eines Turniers auf dem Feld zu stehen und damit einen heiß ersehnten Rekord aufzustellen. Die ursprüngliche Aufteilung der Mannschaften in die vier unterschiedlichen Töpfe bei der Auslosung kann dadurch zunächst beibehalten werden.
Die Gastgeber
Wo wir gerade schon beim interkulturellen Austausch sind. Noch übersichtlicher wird der Modus mit der Gastgeber-Regelung. Die qualifizierten Gastgeber werden nämlich direkt der Gruppe zugeteilt, deren Teilnehmer die Hälfte der Spiele im jeweiligen Land der Gastgeber spielen. Das führt unter anderem dazu, dass die deutsche Mannschaft sicher in der Gruppe F ist, denn der Spielort der Gruppe F ist München. Eine Auslosung ist für die deutschen Mannschaft also eigentlich gar nicht mehr notwendig. Doch wer sich über die Simplizität dieses Sachverhaltes freut, hat die Rechnung ohne die UEFA gemacht, die sich auch hier einen kleinen Kniff erlaubt. Um auf zwölf Gastgeberländer zu kommen, muss jede Gruppe nämlich zwei Spielstätten stellen und die zweite Spielstätte der Gruppe F ist Budapest. Weil nun also auch die Ungarn bei einer erfolgreichen Qualifikation über den Playoff-Modus in der Gruppe F landen müssten, wird die Auslosung am 30. November für die Gruppe F beinahe unnötig, immerhin sind zwei der Teams schon der Gruppe zugeteilt. Es stellt sich also nur noch die Frage, wer bei einer Teilnahme der Ungarn für das Duell der beiden Teams eigentlich Heimrecht hat.
Doch auch für dieses Dilemma hat die UEFA eine Lösung parat: Die beiden Nationen zunächst einen Teilnehmer, der sich nach einem internen Auswahlverfahren für das Duell qualifiziert. Nach jetzigem Stand treten hierbei Reiner Calmund und Gabor Kiraly gegeneinander an. Zunächst treffen sie bei einer Partie Wikingerschach aufeinander, bei der sie koordinativ gefordert sein werden. Anschließend werden sich die beiden Vertreter beim Topfschlagen versuchen, um im großen Finale am 15. Februar 2020 schließlich mit verbundenen Augen einen großen Parkour auf einem Hüpfpferd zu absolvieren. Der Gesamtsieger der Wettbewerbe erhält dann das Heimrecht für das Spiel zwischen den beiden Mannschaften in der Gruppe F.
Zugegebenermaßen hakt es an der ein oder anderen Stelle des Auslosungs-Modus mit Blick auf die Verständlichkeit noch ein wenig. Wenn sich der herkömmliche Fußball-Fan aber ein wenig in den Sachverhalt einarbeitet und sich die ein oder andere Stunde mit dem Regelwerk befasst, scheint eine geistige Durchdringung des Systems durchaus möglich.