Sebastian Kehl machte seine ersten Spiele in der Helmut-Kohl-Ära. Und als Claudio Pizarro nach Deutschland kam, telefonierten wir noch mit Antennenhandys. Jetzt ist für sie und viele andere Bundesligaprofis Schluss. Schade eigentlich.
Claudio Pizarro (Bayern München): Der beste Job der Liga
Gute Jobs sind rar, vor allem in der Bundesliga. Den mit weitem Abstand geilsten Beruf der Liga hatte zuletzt Claudio Pizarro. Er wärmte beim FC Bayern die Bank, durfte sich ab und an für zehn Minuten Spielzeit warmtraben, traf dann aber mit der Hacke und wurde dafür fürstlich entlohnt: Auf 4,5 Millionen Euro wurde sein Münchner Gehalt geschätzt.
Sein Spielstil sah immer etwas unorthodox aus: Den Kopf hielt er geduckt zischen den hochgezogenen Schultern, dahinter ein Kreuz, nicht unähnlich dem von Tim Wiese, trippelte Pizarro mit kurzen Schritten über das Feld. Als er 1999 als 20-Jähriger aus Lima nach Bremen kam, ploppten bei Südamerika und Fußball eher brasilianische Namen wie der von Giovanne Elber auf. Doch nach Pizarros zweitem Bundesligaspiel, in dem ihm 37 Minuten für einen Hattrick reichten, war Peru auf der Bundesliga-Landkarte eingemalt. Sechzehn Jahre später ist er mit 176 Toren der treffsicherste Ausländer, Elber hat er längst überholt.
Deutschland hatte es ihm angetan. Zwar versuchte er 2007 den letzten Schritt zur Weltspitze zu erklimmen und wechselte zu Chelsea, kam aber nach einem durchschnittlichen Jahr zurück nach Bremen. Fortan lieferte er wieder Tore, ab 2012 erneut in München.
An Pizarro klebte auch seit jeher eine feine Nase für Geschäfte. Nach seinem ersten Wechsel nach München, bei dem der Bayern-Sponsor Adidas sehr viel Geld für ihn beisteuerte, stieg Pizarro ins Geschäft mit Immobilien und Pferden ein. Sein damaliger Berater Carlos Delgado und er schoben hohe Summen über verschiedene Steueroasen, kurzzeitig interessierte sich das Münchner Finanzamt für das Steuersparmodell.
Nachgewiesen wurde ihm nichts. Jede Kritik zerschellte an seinem Grinsen, das breiter war als das von Roberto Blanco. Jahr für Jahr ballerte er sich zu neuen Kurzzeitverträgen, es gab eine Phase, da kam er rein und traf einfach. Die Tore kamen zuverlässig wie die erste Maß am Oktoberbest. 2014 gelangen ihm noch zehn Tore in 17 Spielen. Seine letzte große Aufgabe war es, auf der Bank zu sitzen, zu grinsen und als Südamerikaner den Spanier Guardiola durch die Fallen der traditionsgeschwängerten Miasanmia-Welt zu lotsen. In der aktuellen Saison blieb er ohne Tor, und jetzt ist Schluss. Nächste Station: Die USA oder irgendwas in der Wüste.
Sebastian Kehl (Borussia Dortmund): Echte Liebe
Ein letztes Ausrufezeichen wuchtete Kehl Anfang April ins Tor. Es war ein satter Dropkick, mit dem Kehl den BVB, seinen BVB, in der Verlängerung gegen die TSG Hoffenheim ins DFB-Pokal-Halbfinale schoss. Sein erstes Tor im DFB-Pokal und sein letzter großer Moment, sein Abschiedsgeschenk an die Südtribüne, die ihn seit 2002 „Heja Bevaubee“ entgegenschmetterte.
In Dortmund vergöttern sie Typen wie ihn. Weil er auch die dunklen Insolvenz-Monate 2004 und 2005 mitmachte und bis heute blieb. Weil er trotz Vorvertrag 2001 nicht zu den Bayern ging, sondern nach Dortmund und das Handgeld plus Zinsen wieder an die Münchner zurückschickte. Weil er nach dem jüngsten Elfmeter-Triumph über die Bayern mit BVB-Schal um den Hals und schelmisch grinsend in die Kameras sagte: „Dann müssen sie eben Elfmeterschießen üben.“ Weil er drei Mal Deutscher Meister mit dem BVB wurde. Die Liste der Dinge, die Kehl für den BVB und seinen Anhang so besonders macht, sie ist lang.
Ähnlich wie die Aufzählung seiner Verletzungen, die ihn regelmäßig heimsuchten. Besonders übel bleibt die Grätsche von Hasan Salihamidzic von 2006 in Erinnerung, die wie ein Säbel eine tiefe Fleischwunde aufriss. Lange kämpfte er mit den Narben dieser Attacke, und auch im Meisterjahr 2011 stand er kaum auf dem Platz. Einige befürchteten da schon das Ende. Er kam zurück, führte den BVB zum Double 2012 und ins Champions-League-Finale 2013.
Nun gehen er und Klopp. Es ist ein hartes Abschiednehmen für die, die es mit dem BVB halten. Aber auch passend, dass sie es zusammen machen. Sie sind die prägenden Figuren der letzten Jahre. Nichts könnte das besser ausdrücken, als die Szene nach Kehls Dropkick-Tor im Pokal: Klopp nahm seine gelbe Mütze, zog sie sich vom Kopf und verneigte sich.
Nikolce Noveski (1.FSV Mainz 05): Oh Captain, mein Captain!
Das Versprechen „Dir stehen bei uns alle Türen offen“ ist ein Klassiker am Karriereende. Meistens aber leider nur so viel wert wie „Lass uns Freunde bleiben“ nach der Trennung von der Freundin. Auch Nikolce Noveski wurde von Mainz-Manager Christian Heidel angeboten, künftig im Klub mitarbeiten zu dürfen. Weil sein Ende in Mainz ihm aber erst vor Kurzem mitgeteilt wurde, beantwortete er die Frage schön ironisch: „Vielleicht in der Kommunikationsabteilung!“ Noveski gehörte nie zu denjenigen, die den Mund weit aufrissen. „Viele Taten, wenige Worte“ schrieben die Mainzer Fans auf ein Banner zum Abschied und bedankten sich bei einem, der ihrem Verein elf Jahre lang treu blieb.
2004 kam der Mazedonier aus Aue. Im Sommer 2007 erreichte er Mainzer Heldenstatus, als er trotz Abstieg und Angebote anderer Vereine seinen Vertrag verlängerte. Jürgen Klopp machte ihn zum Kapitän. Noveski verkörpert den Wandel vom immer wieder gescheiterten Fast-Aufsteiger der zweiten Liga unter Klopp zum soliden Erstligisten heute. „Lebendige Tradition“ nannte Christian Heidel das. In der Bundesliga blieb ihm aber zuletzt meistens nur der Platz auf der Tribüne, nur zehn Mal stand er auf dem Feld. Es wurde Zeit zu gehen.
Der Verein ließ seine Karriere auf der Videowand vorbeiziehen, die Fans zeigten eine Choreographie mit „Oh Captain, mein Captain“ und skandierten minutenlang seinen Namen. Noveski weinte. Er ist Mainzer Rekordspieler, wird nun Ehrenspielführer und auch das wird ihm bleiben: Niemand schoss in der Bundesliga mehr Eigentore: sechs Stück.
Simon Rolfes (Bayer Leverkusen): Der Planer
Es geht ein Fußballer, den Spieler wie Bernd Schneider und Carsten Ramelow im Bundesliga-Alltag erzogen. Namen, die aus einer Zeit stammen, in der wir stolz auf unser graues Nokia 3210 waren und in denen es um Snake-Highscores ging.
Seitdem vollzog sich der Wandel vom Nokia zur Smartwatch für Rolfes zu schnell: „Das finde ich seltsam“, sagte er vor kurzem über die Art, sich vor allem digital zu unterhalten. Er beschritt eigene Wege, interessierte sich für Aktien von Toilettenfirmen und gründete eine Beraterfirma, in der er ab August arbeiten wird.
Rolfes plante sein Karriere versessen sorgfältig. Nachdem er sich im Bremer Doublesiegerteam von 2004 nicht durchsetzte, wechselte er nach Aachen und trainierte gemeinsam mit 400-Meter-Sprintern, um Wettkampfhärte zu erlangen. In Leverkusen verpasste er in seinen ersten Jahren kein einziges Bundesligaspiel, wurde 2008 Kapitän und spielte im gleichen Jahr bei der EM. Dort verdrängten ihn irgendwann Gündogan und Khedira, in Leverkusen aber blieb er bis zum Schluss Stammspieler einer Champions-League-Mannschaft: „Eine Karriere als Fußballer ist wunderbar und sollte wunderbar enden“, sagte er. Ein typischer Rolfes-Satz, der seine Worte in Interviews darauf prüfte, ob sie seiner Rolle als langfristigen Planer gerecht wurden. Es gab das Angebot von Rudi Völler, im Verein zu arbeiten, doch Rolfes möchte selbstständig sein, Profis am liebsten 30 Jahre lang durch die Karriere begleiten, wie er der „Bild“ erklärte. 30 Jahre, das wird spannend.
Das sind natürlich nur ein paar Spieler, die wir in Zukunft vermissen werden. Auch Rafael van der Vaart (Hamburger SV), Christian Pander, Jan Schlaudraff (beide Hannover 96), Filip Daems, Thorben Marx (beide Borussia Mönchengladbach), Pavel Krmas (SC Freiburg) und viele andere werden die Bundesliga am Ende dieser Saison verlassen.