Gerade erst wechselte Eduardo Camavinga für 31 Millionen Euro zu Real Madrid. Bei Stade Rennes ist er ausgebildet worden. Genau wie Yoann Gourcuff, dem eine Weltkarriere prophezeit wurde. Ein schlechtes Omen?
YouTube-Compilations haben so ihre spezielle Bewandtnis. Sie folgen in der Regel einem Muster, das schon beim Titel anfängt. Dort müssen nämlich mindestens die Schlagwörter „Magic Skills“, „Goals“ und „HD“ enthalten sein, zusätzlich der Name des Spielers, von dem der Zusammenschnitt handelt. Inhaltlich geht es in dem Video dann um die besten Szenen des Spielers, begleitet von einem basslastigen, doch sehr austauschbaren HipHop-Beat. Keine Vocals, bloß düstere Einschläge.
Auch von Eduardo Camavinga gibt es solche Videos. Das bekannteste von ihm ist 9:30 Minuten lang und wurde über 1,5 Millionen Mal angeklickt. Und tatsächlich zeigt das Video drei, vier ganz nette Tore, auch ist hie und da ein schicker Pass zu sehen. Ansonsten aber füllt sich das Bewegtbild-Material mit Fernschüssen, die nicht ins Tor gehen, Dribblings, die meist mit einem Foul an Camavinga enden und vor allem – und das ist untypisch für diese Form von Highlight-Clips – mit Tacklings. Camavinga grätschend, Camavinga, der klug seinen Körper zwischen Ball und Gegner stellt, Camavinga, der den Ball ins Seitenaus prügelt.
Allen Unstimmigkeiten in den Regularien von gewöhnlichen YouTube-Compilations zum Trotz, ließ sich Real Madrid den 18-Jährigen vor dieser Saison dennoch 31 Millionen Euro kosten. Seine Ablöse kann dank Bonuszahlungen noch auf 45 Millionen ansteigen. Ob Real Madrid dem freidrehenden Transfermarkt auf den Leim gegangen ist oder sich wirklich ein Wunderkind, ein Super-Talent, einen Mini-Zidane gekrallt hat, wird sich noch zeigen. Sein Einstand immerhin lässt eher letzteres vermuten.
Eduardo Camavingas Geschichte liest sich wie ein dramaturgisch ziemlich aufgeblasenes Drehbuch. Sein Leben verfügt über weit mehr Substanz, als ein schlecht abgemischtes 9‑Minuten-Video über YouTube fassen könnte.
Camavinga kommt in einem angolanischen Flüchtlingslager zur Welt, in das seine kongolesischen Eltern Anfang der 2000er-Jahre geflohen waren. Zwei Jahre nach seiner Geburt geht die Familie nach Frankreich. Anfangs verschlägt es die Camavingas nach Lille, später nach Fougéres in die Bretagne. Dort wird er groß, geht zur Schule, lebt mit seinen Eltern und seinen fünf Geschwistern zusammen. Camavinga beginnt mit Judo. Weil er in den Trainingssessions im Schlafzimmer zu viele Dinge kaputt macht, drängt seine Mutter ihn dazu, sich mit Fußball zu beschäftigen.
Camavinga beginnt für Drapeau-Fougères zu spielen. 2013, als er elf Jahre alt ist, brennt das Haus seiner Familie ab. Tagsdrauf geht er dennoch wieder zum Training. „Es half mir runterzukommen“, sagt er später. Immer schon habe der Fußball ihm einen Ausweg vorzeigen können. In erster Linie aus der Armut.
Kurze Zeit nach dem Brand, dem beinahe der gesamte Besitz der Familie zum Opfer gefallen war, ruft Julien Stephan ihn an, damaliger U19-Trainer von Stade Rennes. Er hatte Camavinga beobachtet und lädt ihn zu einem Jugendturnier ein, bei dem sich der Spieler präsentieren darf.
Und wie es für aufgeblasene Drehbücher üblich ist, überzeugt Camavinga auf Anhieb, erhält einen Vertrag bei dem Verein, der eine der besten Jugendakademien des Landes führt und der Spieler wie Ousmane Dembélé, Yoann Gourcuff oder Jimmy Briand hervorgebracht hat. Julien Stephan wird Trainer der ersten Mannschaft und Camavinga kommt mit 16 Jahren als erster Spieler der nach dem 1. Januar 2002 geboren ist zu seinem Debüt in der Ligue 1.
Auch Landry Chauvin soll eine kleine Nebenrolle in Camavingas Drehbuch spielen. Chauvin war nie ein sonderlich erfolgreicher Fußballer, sondern verbrachte den Großteil seiner Karriere im halb-professionellen Metier. Ein sonderlich erfolgreicher Trainer war der inzwischen 52-Jährige auch nie, über ein gutes Auge hingegen, so glaubt er, verfügt er schon. Jahrelang trainierte Chauvin Jugendteams in der Akademie von Stade Rennes. Er habe Yoann Gourcuff gesehen, als dieser 16 Jahre alt war, erzählt Chauvin. Auch Blaise Matuidi habe er in dem Alter genauestens beobachtet. Und Eduardo Camavinga. Er sei mit 16 Jahren schon weiter gewesen als Matuidi. Nicht aber als Gourcuff. „Gourcuff war der beste 16-jährige Mittelfeldspieler, den ich je gesehen habe“, sagt Chauvin.
Allerdings war genau das Gourcuffs Problem, dass ihm jeder eine Weltkarriere prophezeit hatte. Letztendlich versandete seine Karriere in der Ligue 1, weil er sich außerhalb dieser Spielklasse nie durchsetzen konnte.
Blickt man hingegen auf andere Referenzpunkt zu Camavinga, fallen häufig Namen wie Wayne Rooney, Lionel Messi oder Kylian Mbappe – alles Offensivspieler, die in ähnlich jungen Jahren furios starteten. Eduardo Camavinga hingegen ist zentraler Mittelfeldspieler. Das ist in der Regel eine Position, die eine gewisse Erfahrung voraussetzt, Fehler nicht verzeiht und die Experimente kaum zulässt.